Ramersdorf:Die "Stammsteher" vom Bahnhofskiosk

Der Kiosk am Michaelibad ist für viele ein beliebter Treffpunkt. Die Anwohner sehen das gar nicht gerne. Sie sehen die Szene mit Skepsis und klagen über Glasscherben und Hunde. Die Kioskbetreiberin versteht die Aufregung nicht.

Renate Winkler-Schlang

Das Schild ist eindeutig: "Hier darf kein Alkohol getrunken werden. Auch nicht bei Regen." Zwei der Kunden, die sich an diesem nasskalten Dezembertag beim Kiosk am U-Bahnhof Michaelibad unter dem vorstehenden Dach aufhalten, haben Kaffee in ihren Tassen, einer hat eine Cola bestellt.

München, U-Bahnhaltestelle Michaelibad, Kioskbetreiberin Daniela Schmid,

Alkoholische Getränke dürfen am Kiosk an der U-Bahnhaltestelle Michaelibad nicht konsumiert werden. Auf die Einhaltung dieser Regel pocht nach eigenen Worten Kioskbetreiberin Daniela Schmid.

(Foto: ANGELIKA BARDEHLE)

Die Preise fürs Bier stehen in leuchtenderen Buchstaben auf größeren Tafeln. Und rund um das kleine Warenausgabe-Fenster hat Kiosk-Betreiberin Angela Schmid Flaschen mit verschiedenen Biersorten aufgereiht, zum Kauf animierend. Die Preise für kleine Klare und Magenbitter überm Fenster komplettieren das Angebot.

Anlieger wie Detlef Schaad sind sicher, dass dieses auch intensiv genutzt wird. Wenn die Sonne scheint, treffen sich hier an die 30 und manchmal noch mehr der sogenannten "Stammsteher": Der Bürger berichtete dem Bezirksausschuss Ramersdorf-Perlach von Hunden, von Scherben und von Kindern, die alle am U-Bahnabgang herumlungerten und den Fahrgästen Angst machten.

Für das Stadtteilgremium war das Problem nicht neu: Bereits vor elf Jahren hatte es dazu geführt, dass die Teestube "komm" des Evangelischen Hilfswerks, die zuvor nur mit Obdachlosen arbeitete, eine neue Stelle bekam für "Streetwork im Gemeinwesen".

Denn eines war schnell klar: Die meisten, die hier stehen, haben eine Wohnung. An diesem Dezembertag erklärt es einer der Kiosk-Gäste so: "Was soll ich daheim? Daheim sterben die Leut'". Wie mancher eine Stammkneipe hat, haben diese Bürger einen Stamm-Kiosk.

Schaads Brief hatte der Bezirksausschuss zum Anlass genommen, sich aus erster Hand über Hilfsangebote für die Menschen am Kiosk zu informieren. Doch die Bilanz war ernüchternd. Franz Herzog, sein Mitarbeiter Anton Auer von der Teestube und Birgit Gorgas aus dem Referat für Gesundheit und Umwelt RGU der Stadt berichteten von vielen Brennpunkten wie Gärtnerplatz und Hasenbergl, Münchner Freiheit und Sendlinger Tor.

Für Streetwork im Gemeinwesen habe die Teestube zweieinhalb Planstellen: "Stadtweit." Für die Arbeit mit Drogenabhängigen auf der Straße kämen zweieinhalb weitere beim RGU dazu, teils delegiert an Condobs beziehungsweise Pedro, die Perlacher Drogenhilfe.

"Kein Drogenabhängiger mit Nadel im Arm"

Vor allem sonntags sei es voll am U-Bahnhof Michaelibad. Dann träfen die Stammsteher, einige osteuropäische Arbeiter und bis zu 25 substituierte Drogenabhängige vom dann offenbar geschlossenen Kontaktladen an der Rosenheimer Straße an diesem Kiosk aufeinander, so die Beobachtung der Experten.

Diese warnten aber gleich davor, nach Sonntagsarbeit der Streetworker zu rufen: Das koste Zuschläge, es fehle dann die Arbeitszeit während der Woche, zudem könne ein Streetworker sonntags weniger ausrichten, weil die sozialen Institutionen geschlossen hätten.

Ferner, so Herzog, habe eine seiner Mitarbeiterinnen, die in der Nähe wohnt, festgestellt, dass sich nicht jeden Sonntag dieselben Leute dort treffen. Also wäre die Arbeit nicht effektiv. Die Gäste versuchten die Bürger auch zu beruhigen: Die Stammsteher seien friedlich. Wenn es zu Gerangel komme, dann allenfalls untereinander.

Jörg-Dietrich Haslinger (CSU) jedoch fand, es stimme etwas in der Struktur dieser Stellen nicht, wenn sie nicht dann einsatzbereit seien, wenn diese "Störungen im öffentlichen Raum" auftreten. Haslinger forderte eine weitere halbe Stelle fürs Streetwork. Gorges begrüßte das, wies aber gleichzeitig auf das Verbot von "Haushalts-Ausweitung" hin.

Doch auch die BA-Vorsitzende Marina Achhammer (SPD) erklärte die Hilfe für diese Menschen und den Erhalt des sozialen Friedens in den Wohngebieten zu obersten Zielen. Sie prophezeite, dass es sonst noch schlimmer kommen könne, zumal wenn die Förderung für den Bewohnertreff in der Maikäfersiedlung auslaufe. Auch die Stadtreinigung und die Polizei sollten hier nach dem Rechten sehen. Gorgas versprach, sonntägliche Einsätze zu prüfen.

Kioskbetreiberin Angela Schmid versteht die Aufregung nicht. Sie führe den Kiosk seit fünf Jahren, ihr Vater hatte ihn 25 Jahre lang betrieben. Ihr Urteil über die herumstehende Kundschaft: "Die sind harmlos. Kein Drogenabhängiger mit Nadel im Arm, die bekommen Methadon vom Arzt und sind ganz ruhig."

Es randaliere keiner: "Im Gegenteil, die helfen mir eher." Sie schenke keinen Alkohol aus, öffne auch die Flaschen nicht, und die Kundschaft wisse, dass sie nicht direkt am Kiosk trinken dürfe. Auch die Zahl großer Hunde habe abgenommen seit einer Sitzung mit Kreisverwaltungsreferat, Sozialarbeitern und Stammstehern vor einigen Jahren: "Toi, toi, toi."

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