Radikal Jung:Glotzen erlaubt

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Wild und ungezähmt: So stellt sich das Publikum einen richtigen Mongolen vor. Oder nicht? (Foto: Florian Krauss)

"Monster Truck" arbeitet mit Schauspielern mit Down-Syndrom

Von Christiane Lutz

Drei Schauspieler mit Down-Syndrom spielen auf der Bühne Mongolen, also Menschen aus der Mongolei. Das kann man makaber finden - oder clever. Das Theaterkollektiv "Monster Truck" jedenfalls fand die Idee lustig, gerade, weil sie politisch so gar nicht korrekt ist. "Dschingis Khan" heißt das Stück über Gewaltherrschaft, mit dem "Monster Truck" bei "Radikal jung" zu Gast ist. Die drei Schauspieler mit Down-Syndrom kommen vom Berliner Inklusionstheater "Thikwa".

Manuel Gerst, einer der Mitbegründer des Gießener Kollektivs "Monster Truck", sagt: "Uns war klar, dass die Besetzung dieser Schauspieler als Mongolen den Unterschied zu Schauspielern ohne Downsyndrom noch betonen würde." Dies sei erlaubt, ja geradezu notwendig, um die viel gerühmte Inklusion tatsächlich herzustellen. Inklusion heiße Teilhabe. Und Teilhabe bedeute, dass es egal sein muss, ob jemand behindert ist oder nicht, er könne Mongolen spielen - oder eben nicht. Dass diese Theorie noch lange nicht in der Praxis besteht, weiß Manuel Gerst allerdings. "Ein Mensch mit Down-Syndrom kann einfach nicht richtig lesen. Genauso, wie ein Rollstuhlfahrer keine Treppen steigen kann. Das kann man nicht ignorieren." Aber den Wunsch, dass es eines Tages zumindest normal ist, einen rollstuhlfahrenden Bäcker im "Tatort" zu sehen, ohne dass dahinter eine soziale Botschaft steckt, den hegt er. Dem dürfte entgegenkommen, dass mit "Prinz Friedrich von Homburg" des Staatstheater Darmstadt (Regie: Juliane Kann), eine Produktion eingeladen ist, die genau das versucht. Die Hauptrolle spielt der seit "Wetten, das . . ?"gelähmte Schauspieler Samuel Koch. Dieser Umstand wird mal als Inszenierungsidee verwendet, mal unkommentiert hingenommen. Wie jeder körperliche Umstand eines Schauspielers eben.

Bei der Uraufführung von "Dschingis Khan" 2012 war die Resonanz gemischt. "Monster Truck" nehmen "den ,Mongolismus' beim Wort und parodieren sein doppeltes Diskriminierungspotenzial", befand das Magazin Theater heute. Die Schauspieler mit Down-Syndrom würden "benutzt", da sie nicht in der Lage seien, "künstlerisch autonome Entscheidungen" zu treffen, schrieben andere.

Klar ist: Theaterprojekte mit körperlich oder geistig Beeinträchtigen verunsichern die Zuschauer häufig. Die Schauspieler einfach hinnehmen geht nicht. Noch immer wird ein radikales Statement der Regie vermutet, falls kein politisches, dann zumindest ein ästhetisches. Im Theater, wo das Zuschauen naturgemäß Teil des Prinzips ist, fühlt sich der Zuschauende dann doch als Voyeur. "Man denkt plötzlich viel über sich selbst nach", sagt Manuel Gerst, "und reflektiert: Darf ich jetzt lachen? Oder nicht?" Maßstäbe für eine objektive Kritik der gebotenen Leistung gibt es keine. Moralische Bedenken vermischen sich mit künstlerischem Empfinden. "Dschingis Kahn" spielt genau mit diesen Unsicherheiten. Eine vermeintliche Regisseurin gibt den Schauspielern aus dem Off Handlungsanweisungen, startet dabei aber regelmäßig erst, wenn die Figur schon gehandelt hat. Das, was also als Anleitung führungsbedürftiger Subjekte aussah, könnte auch die bloße Kommentierung ihres selbstbewussten Handelns sein.

Um jeglichen Vorwurf, die Darsteller seien entmündigt, zu entkräften, entwickelten "Monster Truck" ein weiteres Projekt mit den Schauspielern von "Theater Thikwa". In "Regie", ebenfalls bei "Radikal jung" zu sehen, führen sie nun selbst Regie. Jeder der Thikwa-Schauspieler hat dabei einen Teil des Stücks nach seinem Geschmack inszeniert. "Das fühlte sich zunächst wieder nach Ermächtigung an", sagt Manuel Gerst rückblickend, "da wir den Darstellern klarmachen mussten, dass sie uns jetzt sagen sollten, was wir tun sollen." Die Produktion selbst besinnt sich auf die wesentlichen Fragen der Regie: Was muss gegeben sein, damit aus einem Wunsch, einer Idee, Wirklichkeit werden kann?

Radikal Jung: Alle Termine unter www.muenchner-volkstheater.de/radikal-jung/das-festival

© SZ vom 18.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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