Pussy Riot in München:Schluss mit Anarcho

Pussy-Riot-Film in Müchen

Nadeschda Tolokonnikowa (links) und Maria Aljochina in München: Aus den Pussy-Riot-Mitgliedern sind Medienprofis geworden.

(Foto: dpa)

Sie brüllen im Punk-Stakkato ins Mikro, die Gesichter versteckt unter bunten Strumpfmasken - so zeigt der neue Film "Pussy vs. Putin" Nadeschda Tolokonnikowa und Maria Aljochina. Doch es ist lediglich ein Blick in die Vergangenheit, den ihr Auftritt in München bietet. Der Pussy-Riot-Aktionismus ist den beiden längst abhandengekommen.

Von Antonie Rietzschel

Die Kamera wackelt etwas, doch das Motiv ist trotzdem zu erkennen: schwarze Buchstaben auf einem nackten Rücken. Madonnas Rücken. "Pussy Riot" steht da. Es ist der August 2012. In Moskau warten Nadeschda Tolokonnikowa, Maria Aljochina und Jekaterina Samuzewitsch auf ihre Verurteilung. Als Mitglieder der anarcho-feministischen Gruppe Pussy Riot haben sie in der Christi-Erlöser-Kathedrale zu den Klängen von schrammelndem Punks gebetet, die Heilige Mutter Gottes möge das Land von Präsident Wladimir Putin befreien.

Die ganze Welt hat den Prozess gegen die drei Frauen beobachtet. Menschenrechtsgruppen unterstützten sie, aber auch Prominente. Die Aufnahme von Madonnas Konzert in Sankt Petersburg zeigt, wie sich die Künstlerin eine schwarze Strumpfmaske über den Kopf zieht. Dann singt sie "Like a Virgin". "Was soll noch daraus werden?", ertönt auf Russisch die Stimme des Filmenden. Ungläubig ob der Dimension, die das Ganze mittlerweile angenommen hat.

Die Szene ist Teil des Dokumentarfilms "Pussy vs. Putin", der in München Deutschlandpremiere feiert. Er liefert keine endgültige Antwort auf die Frage, wo das alles hinführt - er endet an dem Tag an dem Tolokonnikowa, Aljochina und Samuzewitsch nach der Urteilsverkündung in den Gefangenentransporter steigen.

Mittlerweile sind sie wieder frei. Samuzewitsch wurde bereits im Oktober 2012 frei gelassen. Tolokonnikowa und Aljochina amnestierte der russische Präsident vor Beginn der Winterspiele in Sotschi. Kurz danach haben die beiden eine Organisation gegründet, die russischen Gefangenen helfen soll. Derzeit sind sie viel im Westen unterwegs. In New York trafen sie auf die UN-Botschafterin der USA und standen mit Madonna auf der Bühne. Sie waren auf der Berlinale zu Gast. Immer unter dem Label Pussy Riot.

Doch das verstellt den Blick auf die Realität: Mehrere Mitglieder von Pussy Riot haben in einem offenen Brief erklärt, Tolokonnikowa und Aljochina gehörten gar nicht mehr dazu. "Sie sind so sehr mit den Problemen in russischen Gefängnissen beschäftigt, dass sie völlig unsere Ziele und Ideale vergessen haben: Feminismus, der Kampf gegen Autoritäten und jeglichen Personenkult." Ein wichtiges Merkmal sei auch, das die Aktionen der Gruppe grundsätzlich illegal und kostenlos seien.

Sie wirken wie Profis

Dennoch werden sie in München von den Veranstaltern als Pussy Riot angekündigt. Und hier zeigt sich dann auch der Widerspruch: "Pussy vs. Putin" zeigt Frauen, die im Punk-Stakkato ihre Texte in das Mikrofon brüllen. In Filmschnipseln zieht ihr Aktionismus vorbei: Konzerte auf dem Roten Platz, in einer Metrostation oder auf dem Dach eines Linienbusses. Sie bringen Milizionäre aus der Fassung, indem sie einfach die gesamte russische Gesetzgebung infrage stellen. Pussy Riot verstehe sich, so heißt es, als klare Opposition zu Putin.

Doch dann ist der Film zu Ende. Das Licht geht an. Auf die Bühne treten zwei völlig andere Frauen. Sie lächeln freundlich in die Kameras der Fotografen, zuvor haben sie unzählige Interviews bewältigt. Sie wirken wie Profis. Ihre Sätze sind geschliffen: "Wir werden uns für mehr Menschenrechte einsetzen." Das ist ihre Antwort auf die Frage, was sie Wladimir Putin entgegen setzen wollen. Einem Mann, der gerade Russlands neues Selbstbewusstsein durch die Annexion der Krim manifestiert. Aktionismus à la Pussy Riot? Nicht die Spur.

Ein echter Pussy-Riot-Moment

Die Professionalität bröckelt nur leicht, als die Frage nach Jekaterina Samuzewitsch aufkommt - eigentlich die Dritte im Bunde, doch nie bei öffentlichen Auftritten dabei. "Wo ist sie?" "Schauen Sie ins Telefonbuch, rufen Sie sie an", antwortet Maria Aljochina kurz. Es gibt Gerüchte, dass die beiden Aktivistinnen es zur Voraussetzung für Interviews gemacht haben, dass Jekaterina kein Thema ist.

Die folgenden Fragen der Journalisten sind Nadeschda Tolokonnikowa und Maria Aljochina gewöhnt:"Was denken Sie über Putin?" "Er ist gefährlich!" Andere offenbaren die Annahme, bei den beiden Frauen handle es sich um ein Orakel im Bezug auf die Psyche des russischen Präsidenten: "Was wird er nach den Sanktionen jetzt als Nächstes tun?" Dann reißt Nadeschda Tolokonnikowa die Augen auf, als wolle sie zurückfragen: "Woher soll ich das denn wissen?" Sie tut es natürlich nicht.

Das Publikum, von den Veranstaltern bisher zum Zuhören verdonnert, will jetzt auch mitreden. Besonders die Russen. "Ich will jetzt mal kritisch fragen", ruft einer. Er hat schon mehrmals dazwischengequatscht. "Ein Provokoteur", meint ein anderer älterer Herr. "Gehen Sie doch zurück nach Russland!" Nadeschda Tolokonnikowa ist jetzt hellwach, provoziert: "Das ist wie in der Ukraine. Da bezahlt der russische Staat auch Menschen dafür, dass sie die anderen aufwiegeln."

Sicherheitsmänner wollen den Störenfried nach draußen begleiten. Der protestiert. "Das ist wohl keine Zensur?" - "Dann stellen Sie Ihre Frage", sagt Tolokonnikowa. "Ist es wahr, dass sie in einem biologischen Institut Gruppensex hatten?" Eine Anspielung an eine alte Kunstaktion. Die Aktivistin muss lachen. "Das war gestellt. Die Aktion hieß: 'Fick den kleinen Bären' und richtete sich gegen Putin. Dann hätten wir das auch geklärt." Es ist ein echter Pussy-Riot-Moment - auch ohne Maske.

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