Puls im BR-Funkhaus:Kein Festival wie alle anderen

PULS-Festival im BR-Funkhaus

PULS-Festival im BR-Funkhaus

(Foto: Florian Peljak)

Der Bayerische Rundfunk präsentiert beim diesjährigen Puls-Festival ein enorm vielfältiges Programm. Und das experimentierfreudige Publikum kann gar nicht genug davon kriegen.

Von Theresa Hein

"Your temptations make me stay another night" singt der Soulsänger Kwabs im Studio 1 des Rundfunkhauses und beschwört damit die Grundstimmung des Abends herauf: Die Verführung, sehr, sehr lange zu bleiben, ist riesig, so viele lokale und internationale Musiker treten am Samstagabend auf dem Puls-Festival auf. Man wagt kaum zu glauben, dass das Programm funktioniert. Bis man es hört.

So sorgen die Opener Adulescens in einem der ehemaligen Orchesterstudios des Funkhauses für solides Indie-Geschrammel, Ja, Panik erfüllen die Deutsch-Pop-Quote des Abends und der Rapper BBou beweist, dass Mundart nicht nur in Verbindung mit Akkordeon und Blasmusik funktioniert, sondern eben auch zu Beats und Bass: "Es gibt nix bessas wey was guads", skandiert BBou. Die Kombination aus bayerischem Dialekt, die zunächst beängstigend, weil aufgesetzt und künstlich klingt, ist in Bbous Musik unverfälscht und bringt die Zuhörer in der Kantine zum Toben.

Von so viel Authentizität kann sich sogar Rapper Cro noch eine Scheibe abschneiden, als er von Songwriter Teesy zur musikalischen Unterstützung auf die Bühne geholt wird. Aussagekräftig für das gesamte Festival ist dabei, dass Cro tatsächlich zu den am wenigsten originellen Künstlern des Abends gehört. Das Publikum scheint jedoch milde gestimmt. Vor allem aber ist es experimentierfreudig wie selten: Jeder Stilmix wird begrüßt, genug Abwechslung kann es auf dem Puls, das als das größte Indoor Festivals Europas gilt, scheinbar gar nicht geben.

Neben den Orchesterstudios wurde auch die Kantine zum kleineren, aber nicht weniger wirkungsvollen Konzertsaal umfunktioniert. Hier setzt Martin Brugger alias Occupanther mit Jazzgitarrist Lukas Häfner elektronische Klänge neben atmosphärische Gitarrenmusik, unterstützt werden sie dabei unter anderem von der stimmgewaltigen Frontfrau der Band Claire. Die Kombination aus elektrischer Gitarre und Synthesizersounds erscheint simpel. Wie wirkungsvoll sie sein kann, beweist Occupanther live. Die Wirkung des jungen Münchners ist enorm: "Ich will elektronische Zuhörmusik machen", sagt Martin Brugger und zupft nachdenklich am Rauschebart.

Gänsehautcrescendos und eine intime Atmosphäre

Das ist allerdings Untertreibung, denn wer am Samstagabend in der überfüllten Kantine war, weiß, dass Occupanthers Musik nicht nur wunderbar zum Zuhören, sondern auch sehr tanzbar ist. Brugger studiert E-Bass an der Musikhochschule, im Februar dieses Jahres hat er seine ersten Songs auf Soundcloud veröffentlicht und traf damit einen Nerv: Mittlerweile ist Occupanther ein Begriff nicht nur in München, sondern auch in Frankreich oder Australien, nächste Woche steht ein Konzert mit dem renommierten Elektrokünstler und Produzenten Sohn an.

Was Martin Brugger am Puls-Festival schätzt: "Ich treffe permanent Leute, mit denen ich schon zusammengearbeitet habe, nicht nur Künstler, sondern auch Techniker oder Produzenten. Das sorgt alles für eine sehr familiäre Atmosphäre."

Was macht "Effi Briest" auf dem Puls?

Für die Intimität dieser Atmosphäre sorgt auch das Münchner Rundfunkorchester, das den Sound von drei Künstlern unterstützt, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Auf die Frage der Mainzer Sängerin Mine: "Gehst du mit oder lässt du's sein?", antwortet das Rundfunkorchester mit leisen, aber eindrucksvollen Arrangements, ja, sie gehen auf jeden Fall mit. Für die Sängerin mit der markanten Stimme, deren Spezialität Gänsehautcrescendos sind, ist es nicht das erste Mal, dass sie mit dem Orchester zusammenarbeitet: Der Song "Nicht für mich" wurde bereits im vergangenen Sommer mit dem Rundfunkorchester erprobt.

Dass Mine es nicht scheut, zwischen den Hip-Hop-Größen Cro und Deltron 3030 eine melancholische Ballade anzustimmen, ist mutig. Aber es funktioniert: Dem Rundfunkorchester gelingt es eben nicht nur, die chaotischen Elektrorocker Bonaparte stimmig zu begleiten und das Team von Deltron 3030 rhythmisch zu bereichern, sondern auch die sensiblen Texte von Mine in Szene zu setzen, ohne dabei die Stimme der Sängerin zu überlagern.

Bei der Gaderobe gibt es "Effi Briest"

Aufdrehen darf das Orchester dann im Anschluss bei einer US-amerikanischen, sogenannten Hip-Hop-Soupergroup. Der hierzulande durch seine Zusammenarbeit mit den Gorillaz bekannt gewordene Rapper Del tha funky homosapiens tritt ganz klassisch mit Mütze und Sonnenbrille auf und will Hände sehen, DJ Kid Koala mixt Beats und wärmt sich für die After-Show-Party auf, und wer wäre besser geeignet, das Rundfunkorchester zu dirigieren als Produzent Dan The Automator, der als gelernter Violinist selbst auf eine Klassik-Ausbildung zurückblicken kann.

Dem Orchester macht die musikalische Abwechslung sichtlich Spaß. Als einer der Streicher gefragt wird, ob er es sich je hätte träumen lassen, mit Hip-Hop-Legenden zusammen zu arbeiten, antwortet dieser trocken: "Ja klar, warum denn nicht." Eine Einstellung, mit der das Publikum an diesem Abend gut fährt. Bei der Garderobe liest jemand aus "Effi Briest", aber warum nicht! Im Foyer legen die DJs Soul auf, aber warum nicht! Es gibt Puls-Festivalbier, warum auch nicht! Dieses Konzept funktioniert nun seit mehr als zehn Jahren, getragen wird es aber natürlich vor allem von den jungen und jung gebliebenen, aber in jedem Fall innovativen Künstlern.

Eines der Highlights des Abends bildet ohne Frage die englische Spoken-Word-Künstlerin, die den Abend beschließt und auf den schönen Namen Kate Tempest hört. Humoristisch, rhythmisch und mit beeindruckend tief gehenden Texten vermischt die junge Künstlerin Poesie und Rap, übt Gesellschafts- und Selbstkritik und bringt ein Stück Südlondoner Aufmüpfigkeit nach München. Bei all den jungen Ideen und der unverfälschten Freude der Künstler am Festival, wünscht man sich man könnte, wie Kwabs es in seinem Hit formuliert, noch ein paar Nächte mehr bleiben. So muss man sich mit der Vorfreude aufs nächste Jahr vertrösten. Aber warum auch nicht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: