Max-Planck-Institut für Psychiatrie:Inhaltliche Neuausrichtung zum 100. Geburtstag

Max-Planck-Institut für Psychiatrie: Emil Kraepelin trieb den Aufbau eines neuen psychiatrischen Forschungsinstituts voran.

Emil Kraepelin trieb den Aufbau eines neuen psychiatrischen Forschungsinstituts voran.

(Foto: Max-Planck-Institut für Psychiatrie und Neurobiologie)
  • Anfang 1917 gründete Emil Kraepelin den Vorläufer des heutigen Max-Planck-Instituts in Schwabing.
  • Die Einrichtung galt wegen ihrer Größe und Vielfalt als weltweit einzigartig und prägte mit ihren Methoden die Fachrichtung.
  • Viele Jahre war das Institut stark biologisch ausgerichtet und setzte vor allem auf die Psychopharmakologie.
  • Künftig soll die Arbeit in eine andere Richtung gehen - man will stärker personalisierte Therapien entwickeln, vor allem im Bereich der Depressionen.

Von Christian Weber

Der König war anwesend, als am 13. Februar 1917 in München die Stiftung "Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie" (DFA) gegründet wurde. Vielleicht war Ludwig III. die Notwendigkeit einer solchen Institution eher bewusst; schließlich hatte er den bayerischen Thron nur besteigen können, weil zuvor sein Cousin Otto I., der eigentliche Thronanwärter, für geisteskrank und deshalb regierungsunfähig erklärt worden war.

Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, damals der wichtigste deutsche Geldgeber in der Forschung, hatte sich zuvor geweigert, die Einrichtung finanziell zu unterstützen. Erst 1924 übernahm sie dann doch das Institut. In diesen Tagen feiert die Nachfolgeorganisation - die Max-Planck-Gesellschaft - das 100-jährige Bestehen ihres psychiatrischen Instituts.

Die Gründung einer wirklich großen Einrichtung, die sich ausschließlich mit der Erforschung psychischer Störungen beschäftigt, war damals überfällig. Zwar hatte sich die Psychiatrie bereits seit 1860 als moderne akademische Disziplin etabliert. Doch herrschte zur Jahrhundertwende Ernüchterung: Man kam nicht wirklich voran. Es gab ein Durcheinander an klinischen und theoretischen Ansätzen, noch nicht mal die Krankheitsbilder waren klar definiert, zugleich drängten große praktische Probleme.

So hatte sich die Zahl der stationären Patienten allein in Preußen zwischen 1880 und 1910 mehr als verfünffacht, von 27 000 auf 143 000. Dies führte wiederum zu einer psychiatriekritischen Bewegung. Die Situation verschärfte sich weiter, als im Ersten Weltkrieg die sogenannten Kriegszitterer - Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen - aus den Schützengräben zurückkehrten.

Es war der damals schon international renommierte Münchner Psychiater Emil Kraepelin (1856-1926), Direktor der "Königlichen Universitätsklinik für Psychiatrie an der Nußbaumstraße", Verfasser eines berühmten Lehrbuches, der den Aufbau des neuen Institutes vorantrieb, das primär der Forschung dienen sollte. Kraepelin organisierte Mittel unter anderem beim Verband der Deutschen Chemischen Industrie und dem Industriellen Gustav Krupp von Bohlen und Halbach. Der wichtigste Mäzen wurde der jüdische Bankier James Loeb, ein deutschstämmiger Amerikaner, der seine Depressionen wiederholt in München behandeln ließ.

Es gab weltweit kein ähnliches Institut

1918, ein Jahr nach der Gründung, wurde die "Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie" in den Räumen der Uniklinik tatsächlich eröffnet, 1928 - zwei Jahre nach dem Tod Kraepelins - zog sie in einen Neubau direkt neben dem Schwabinger Krankenhaus, wo sie heute immer noch, jetzt als Max-Planck-Institut für Psychiatrie, in der Kraepelinstraße 2 residiert.

"In Größe und Vielfalt war das Institut weltweit einmalig", schreiben die Medizinhistoriker Heinz Schott und Rainer Tölle in ihrer "Geschichte der Psychiatrie". Es trug wahrscheinlich wesentlich bei zum Aufstieg der biologischen Psychiatrie. Und dazu, dass sich die Nosologie - die Krankheitslehre - Kraepelins durchsetzte und bis heute diskutiert wird. Zuvor waren die meisten Ärzte davon ausgegangen, dass es sich bei den schweren psychischen Krankheiten im Wesentlichen um unterschiedliche Ausprägungen einer Grundstörung handelt.

Der Direktor will die Forschung neu ausrichten

Kraepelin plädierte für das sogenannte "dichotome Modell" mit zwei Formenkreisen: Die sogenannte Dementia praecox - heute würde man Schizophrenie sagen - beginne häufig bereits in der Jugend und zeichne sich durch einen chronischen Verlauf aus. Daneben gebe es die episodisch verlaufenden manisch-depressiven Erkrankungen, die mittlerweile bipolare affektive Störungen heißen.

Heutige Ärzte würden das nicht mehr ganz so sehen. Und so liegt Kraepelins größte Leistung nach Ansicht vieler Historiker eher "in der Durchsetzung der klinischen Forschungsmethode, die erst durch ihn allgemeine Anerkennung seitens der Psychiatrie erfuhr", so Schott und Tölle. Er erkannte, dass eine psychische Störung im langfristigen Verlauf betrachtet werden muss. Kraepelin gilt zudem als Begründer der transkulturellen Psychiatrie, die er durch Forschungsreisen nach Südostasien bereicherte.

Max-Planck-Institut für Psychiatrie: Das erste eigene Gebäude aus dem Jahr 1928 steht heute noch in Schwabing.

Das erste eigene Gebäude aus dem Jahr 1928 steht heute noch in Schwabing.

(Foto: Max-Planck-Institut für Psychiatrie und Neurobiologie)

Umso mehr erstaunt, dass Kraepelin zugleich ein völkischer Weltverbesserer und fanatischer Abstinenzler war. Er verantwortete die Bestellung des schweizerisch-deutschen Rassenhygienikers und Eugenikers Ernst Rüdin (1874-1952) zum Leiter der "Genealogisch-Demographischen Abteilung", der dann nach einem Zwischenaufenthalt in Basel 1928 auch geschäftsführender Direktor der DFA wurde.

Das spätere NSDAP-Mitglied war maßgeblich an der Formulierung des "Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" beteiligt, er befürwortete Sterilisierungs- und Euthanasie-Programme an psychisch Kranken. Bis weit in die Nachkriegszeit untersuchten Forscher Hirnschnitte von Patienten, die anderswo ermordet worden waren.

Während das MPI für Psychiatrie unter seinem langjährigen Direktor Florian Holsboer stark biologisch ausgerichtet war und vor allem auf die Psychopharmakologie setzte, kündigt der seit 2014 amtierende Martin Keck eine neue Ausrichtung an: "In der Medikamentenforschung herrscht Ernüchterung." Keck will deshalb neurowissenschaftliche Erkenntnisse aus Bildgebung und Genetik nutzen, um in Verbindungen mit modernen psychotherapeutischen Verfahren eine stärker personalisierte Therapie zu entwickeln, vor allem im Bereich der Depressionen.

Die Max-Planck-Gesellschaft wird diesen Ansatz in den nächsten Jahren mit 30 Millionen Euro fördern, zusätzlich zu 70 Millionen für einen Klinik-Neubau. Ein weiterer Grund zum Feiern - obwohl der Ministerpräsident beim Festakt nicht anwesend sein wird.

Zum Jubiläum veranstaltet das MPI am 13. und 14. März ein Symposium. Am 16. März um 18.30 Uhr geben die Direktoren beim öffentlichen Max-Planck-Gesundheitsforum Einblicke in ihr Institut.

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