Prunk-Boulevard Maximilianstraße:Alles hat seinen Preis

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Dolce Vita mit dekorativer Chanel-Verwüstung: Der Herbstwind bläst, die Luxusbranche boomt, aber irgendetwas bleibt auf der Strecke in der Münchner Maximilianstraße. Eine Zustandsbeschreibung.

Anne Goebel

So ist es nicht, man bekommt schon einiges geboten in dieser Straße. Im Fenster von Nummer 20 haben Lavabrocken eine dekorative Chanel-Verwüstung angerichtet. Schräg gegenüber ist ein Schauer lederner Ahornblätter hinter der Scheibe niedergegangen über vollkommen untauglichen Gartengeräten aus poliertem Chrom.

Herbsttheater in den Auslagen: Hochpreisiges findet sich zuhauf in der Maximilianstraße. (Foto: Stephan Rumpf)

Bei Dolce und Gabbana wurde anscheinend einer größeren Menge Leoparden das Fell abgezogen, und die als Dienstmagd verkleidete Schaufensterpuppe von Louis Vuitton hantiert in Lackstiefeln anzüglich mit dem Staubwedel.

Großes Herbsttheater in den Auslagen der Maximilianstraße: Die tonangebenden Konzerne der Luxusbranche enthüllen mal wieder, was man angeblich sofort haben muss - wobei die Vitrinenschau in Zeiten des taumelnden Euro zum absurden Drama tendiert.

Was Cartier und Co. offerieren im kulturgesättigten Bezirk zwischen Oper und Kammerspielen, kann kein normaler Mensch bezahlen. Doch die Schuldenkrise ist hier so weit weg wie die Wutgriechen hinter dem Balkan oder das Hasenbergl irgendwo im Norden. Wer als 99-Prozent-Münchner durch die Prachtmeile seiner Stadt spaziert, gerät in eine Parallelwelt mit surrealen Zügen.

Leute, die 12.000 Euro für ein Glitzerhandy ausgeben, tragen Trophäen in winzigen oder sehr großen Schachteln durch die Gegend. Die Durchschnittsverdienerin betrachtet, sagen wir, das Valentino-Fenster, entdeckt das Preisschild, murmelt die Zahl, während eine von zwei tütenbehängten Russinnen mit der freien Hand nach dem schweren Türknauf greift.

So sind die Regeln auf Deutschlands teuerstem Pflaster. Die einen schauen, die anderen kaufen - ein ausbalanciertes Spiel. Besser gesagt: So waren die Regeln. Bisher hatte es ja durchaus etwas, gelegentlich vorbeizuschauen im Gehege der Reichen.

Aber jetzt verschieben sich die Gewichte, und es gibt Befürchtungen, dass der Nobelboulevard noch mehr aus dem Gefüge fällt, ein Fremdkörper wird in der eigenen Stadt. Die letzten Traditionsläden, die noch existierten, räumen das Feld. Das Teppichhaus am Ring macht dicht. In den Arkaden vis à vis der Oper ist der Schuhhändler verschwunden, für die Espressobar, die Schmuckgalerie läuft die Zeit ab.

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Sie müssen weichen, weil ein Neubau für noch mehr exklusive Marken entstehen soll. Kurz, es verschwindet die Handvoll individueller Geschäfte, die bisher das Tempo, den frisierten Look der Luxusrennstrecke abbremsten wie störrisches Gewächs am Straßenrand.

Gar nicht gerne gesehen bei den Immobilienmaklern: Ruheinseln. "Caféstühle, Arkaden, sowas stört den Runway", heißt es da. (Foto: Stephan Rumpf)

Die lokalen Einsprengsel erhöhten gerade die Faszination der Hochglanz-Boutiquen, zumindest in den Augen einheimischer Flaneure. Aber die reine Monotonie des Unerschwinglichen, wird dadurch die Straße nicht öde, das Spiel fad? Das gilt natürlich nicht für die Kundschaft aus Dubai und Düsseldorf. Sie ist am liebsten unter sich.

"In den letzten fünf Jahren ist es rapide gegangen", sagt Brigitte Landwehr. "Was nicht ins Konzept passt, kann nicht standhalten." Die Büroleiterin der Immobilienfirma "Engel&Völkers" war lange im "Luxury retail" tätig, dem gehobenen Einzelhandel. In der Branche gilt die Achse zwischen Oper und Maximilianeum als Paradies für High-End-Produkte: Nirgendwo in Deutschland sei die Grenze zwischen normaler Einkaufs-und lupenreiner Luxuslage so scharf gezogen wie in München. Kaufinger Straße für die Mittelschicht, gehobenes Segment in der Theatinerstraße, ab Max-Joseph-Platz ostwärts das Revier der Goldkarteninhaber. "Eine fast ideale Trefferquote", erklärt Brigitte Landwehr. Wer sich hier einmietet, muss keine Nachbarn befürchten, die das Niveau verwässern.

Der durchschnittliche Preis für ungestörte Geschäfte: Knapp 300 Euro pro Quadratmeter. Weil der Nachfrageüberhang aber "außerordentlich hoch ist", so Landwehr, werden für einen 40 Quadratmeter-Schlauch schon mal monatliche 20.000 Euro geboten.

Ob sich ihr Laden rechnet, sei für Marken vom Kaliber Etro oder Jil Sander zweitrangig. "Ein Shop in der Maximilianstraße gehört zum Marketing. Wer oben mitschwimmt, will unbedingt vertreten sein." Das wollen immer mehr. Viele Hausbesitzer zögern nicht lange. Und diejenigen mit hehren Prinzipien wie Treue zu langjährigen Mietern werden, das weiß die Maklerin, "am Ende meistens über den Preis geködert". Die maßgeschneiderten Maximilianhöfe am Marstall hätten die Monokultur stark befeuert.

Heute, sagt Brigitte Landwehr, sei ein Lokal, ein netter kleiner Laden vielleicht gut für die Atmosphäre. Aber "für den Retailer ein Graus. Caféstühle, Arkaden, sowas stört den Runway." Der Kunde müsse bei Kauflaune gehalten werden, "und bei Unterbrechungen kommt ihm womöglich der Gedanke, hab' ich nicht genug für heute?"

Für jemanden wie Fred Jahn sind das todtraurige Geschichten. Der 67-Jährige lehnt am Türpfosten seiner Galerie im ersten Stock, an den Wänden hängt Graphik von Penck, aber dass draußen schon seit längerem Weltuntergang ist, lässt er sich nicht anmerken.

Imperium eines TV-Kochs
:Schuhbecks Platzl

Das Platzl galt mal als leicht verrucht, aber das ist lange her. Heute trifft sich hier die halbe Welt. Blitzsauber geht es zu, die Geschäfte laufen gut - und ein Fernsehkoch mischt überall mit. Ein Porträt in Bildern.

Fotos: Johannes Simon

Nein, Jammern wird man nicht hören von einem der Letzten seiner Zunft - sofern die Kunsthändler an der Maximilianstraße als eigene Kaste durchgehen. Aber es war schon eine besondere Gruppe, die knapp zwanzig Galeristen, die in den glorreichen Zeiten der ehemaligen Kunstmeile hier ansässig waren. Legendäre Vernissagen in den Achtzigern, man feierte gemeinsam, heizte sich an bei der Jagd nach großen Namen. Heute sind sie noch fünf.

Das Sterben der Galerien begann, als die Mieten nach oben schnellten. Hinzu kam die Anziehungskraft des Pinakothekenviertels. Wer bleiben wollte, musste nach oben ziehen - Räume im Parterre wurden unbezahlbar. Das hat mehr verändert als die Schaufenster.

Denn auch wenn es in der goldenen Ära hinter den neugotischen Fassaden genauso ums große Geld ging wie heute in den Boutiquen: Die Menschen auf der Straße, die Klientel war anders, wählerischer, auch exzentrischer; sie investierte auch in Kunst, in Unikate.

Fred Jahn, seit 1978 in der Maximilianstraße 10, kräuselt süffisant die Oberlippe. "Inzwischen sieht es hier ja aus wie Madison Avenue. Aber nicht nach Weltstadt. Ich seh' Fußballtorwarte und Schlagersänger." Er blickt auf die Spitzen seiner italienischen Schuhe. Wehmut? Viel zu süßliches Wort. Jahn tarnt sein Bedauern lieber als Schnoddrigkeit, und man muss sagen, es gelingt ihm schlecht. "Was hier so war, das ist eigentlich ein bisschen, tja, fertig."

Inzwischen erglühen draußen Bürkleins denkmalgeschützte Spitzbögen im Abendrot. Der Ton changiert ins Kamelhaarfarbene, vor dem Vier Jahreszeiten entsteigt eine Blondine theatralisch einem bulligen Auto. Schaukelnde Busse karren Abonnenten vor die Oper, im Brenner sind die Tische gedeckt.

Das 2003 eröffnete Lokal des Erfolgsduos Rudi Kull und Albert Weinzierl bringt die Münchner auf den Geschmack puristischer Grillküche und ist sicher eine der Neuerungen zum Positiven in der Maximilianstraße. Das Brenner zieht, trotz gehobener Preise für Steaks und Oktopus, einigermaßen gemischte Gäste an.

Am Altstadtring sorgt die Eröffnung des Kinderausstatters Schlichting demnächst für eine Prise normalen Alltag, obwohl auch diese Kunden recht zahlungskräftig sein dürften. Und schließlich sind da noch die drei Bühnen, Kammerspiele, Oper, Residenztheater. Das Publikum, das abends an den Gucklöchern in die seltsame Glitzerwelt vorbeizieht, sieht bunt aus. Jeans, Pailletten von Prada, gediegener Loden, es ist alles dabei.

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Es gibt also durchaus Verbindungskanäle zwischen der teuersten Straße und der Stadt. Aber gerade am Entrée in die Luxusmeile vom Zentrum her wird sich das Bild verändern - also dort, von wo die meisten Münchner kommen. Die ehemalige Residenzpost, entkernt und noch immer verhüllt, heißt ab 2012 "Palais an der Oper": Mit repräsentativen Büros und Wohnung sowie einem hochtrabend "Maison Louis Vuitton" genannten Shop, von dem man sich ausmalen kann, wie er aussehen wird.

Bisher fügte sich die Klenze-Fassade mit dem dunkelroten Bogengang perfekt in das Gesamtkunstwerk Max-Joseph-Platz. Künftig wird der Eckbau zum Vorposten der nachfolgenden Boutiquenlandschaft.

Nächste Station: die Bürklein-Arkaden. In dem schattigen Gang ducken sich die Überbleibsel der Epoche, als die Maximilianstraße eine Adresse für feine Geschäfte war, in denen die bessere Münchner Gesellschaft diskret Einkäufe tätigte. Der Schuhsalon Italy Ninetta pflegte mit Messing und Samt bis vor kurzem den Charme der Sechziger - dann kam das Aus, weil der Eigentümer des Gebäudes große Pläne hat. Man darf annehmen, dass ihm Mietflächen in lukrativen Maison-Dimensionen vorschweben.

Auch für Karoline Telkamp, die in ihrem Laden antike Schmuckstücke verkauft, läuft die Zeit ab - nach 54 Jahren. Die Inhaberin deutet auf ihr filigranes Sortiment. "Das hier ist mein Leben", sagt sie. Ihr Mitarbeiter überhört taktvoll das Präsens.

Schließlich Brigitte Pichlers Café Opern-Espresso, das in den 14 Jahren seines Bestehens für Flaneure, erschöpfte Shopperinnen, Theatermenschen zur Oase wurde, ein Rückzugsort im geschäftigen Innenstadtbetrieb. Ende des Jahres ist Schluss. Die Betreiberin lebt inzwischen in Wien. Ihr Vertrag wurde nicht verlängert. "Das war's", sagt sie am Telefon. Und dass die Straße, in der sie aufwuchs, ihr Gesicht verliere.

Was eigentlich unglaublich ist: Dass es in der Maximilianstraße noch Quadratmeter gibt, die bewohnt werden. In einem Haus, das der Stadt gehört, lebt Petra Malec mit ihrer Familie. Die Therapeutin hat sich, als sie vor zwölf Jahren aus Haidhausen über die Isar in ein überraschend bezahlbares Quartier zog, für die Adresse geschämt. "Es klang angeberisch", sagt die 54-Jährige. Inzwischen liebt sie es, hier zu wohnen. Wie unter ihrem Balkon das Schauspielhaus seinen breiten Rücken dehnt. Dass ihr morgens um sieben auf dem Weg zum Zeitungskasten mal Anne-Sophie Mutter im Trainingsanzug begegnete.

Bloß manchmal, sagt Petra Malec, komme ihr die schöne prächtige Straße vor wie erstarrt. "Die Häuser sind leblos. Das ist erschreckend." Wenn abends in der Galerie vis à vis ihrer Wohnung eine Vernissage stattfindet, winken die Leute immer aufgeregt herüber. "Sie können nicht glauben, dass da Menschen sind."

© SZ vom 29.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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