Prügelattacke an Münchner S-Bahnhof:Zivilcourage mit Todesfolge

Mit Dominik B. haben die S-Bahn-Schläger von München auch den bürgerlichen Mut getötet. Das Strafrecht verfügt über notwendige Sanktionen, doch die Zivilcourage braucht Hilfe vom Staat.

Heribert Prantl

Er hat nicht weggeschaut, er hat sich nicht weggedreht. Er hat das getan, wofür in den Veranstaltungen geworben wird, in deren Titel "Gemeinsinn" steht: Er hat Zivilcourage gezeigt. Er hat Pöbeleien und Attacken auf Fahrgäste in der S-Bahn nicht hingenommen, hat versucht zu schlichten, die Täter gemahnt, die Opfer in Schutz genommen.

Prügelattacke an Münchner S-Bahnhof: Zivilcourage hat dem 50-jährigen Dominik B. das Leben gekostet. Das ist das besonders Furchtbare an dem Verbrechen an der S-Bahn Haltestelle in München-Solln.

Zivilcourage hat dem 50-jährigen Dominik B. das Leben gekostet. Das ist das besonders Furchtbare an dem Verbrechen an der S-Bahn Haltestelle in München-Solln.

(Foto: Foto: dpa)

Am Ende ist er deshalb selber zum Opfer geworden. Sein Mut war tödlich, seine Zivilcourage hat ihm das Leben gekostet. Das ist das besonders Furchtbare an dem Verbrechen an der S-Bahn Haltestelle in München-Solln: Die Täter haben dort den bürgerlichen Mut erschlagen. Das kann böse Folgen haben, weit über die böse Tat hinaus.

Die Staatsanwaltschaft wird Anklage erheben wegen Mordes oder wegen Körperverletzung mit Todesfolge; sie wird, auch aus Abschreckungsgründen, wohl zu einer Mordanklage neigen. Und das Gericht wird dann klären, ob in der Münchner S-Bahn präpotente Rabauken kraftmeiernd die Kontrolle über sich verloren haben oder die Lust an der Gewalt schon vorsätzlich in die S-Bahn zugestiegen war.

Noch ermitteln die Ankläger in einem anderen Fall, jenem der jugendlichen Schläger aus Küsnacht, die bei einem Berufsschul-Ausflug in München Passanten wahllos zusammengeschlagen haben; auch hier wird eine Anklage wegen versuchten Mordes erwogen.

Das Strafrecht verfügt über alle notwendigen Sanktionen. Wenn also nach einer Tat wie der in Solln Politiker nichts anderes zu sagen hätten als "mehr Strafe", dann wäre das recht armselig. Es muss darum gehen, Zivilcourage zu schützen und zu stärken, ihr einen Halt zu geben - auch durch mehr Polizeipräsenz in den S-Bahnen. Das kostet, sicher. Aber Zivilcourage ist systemrelevant.

Zivilcourage ist in vielen Fällen vor allem der Widerstand gegen die eigene Angst, gegen die eigene Bequemlichkeit, gegen das Angepasstsein: "Alleine kann man eh nichts machen", so heißt das Motto dieser Haltung.

Das Verbrechen von München kann diese Haltung stärken; es wäre eine gesellschaftsgefährliche Folge. Es geht auch um die Selbstüberwindung, einen mutigen Mann wie den in der S-Bahn in München nicht alleine zu lassen. Zivilcourage darf kein Todeskommando sein, Zivilcourage braucht die schnelle Verständigung mit anderen, mit Gleichgesinnten, sie braucht Unterstützung, sie braucht Selbstüberwindung vieler, die noch zögern.

Zivilcourage braucht aber auch die Hilfe eines Staates, dessen Sicherheitsdenken sich nicht auf Computerwanzen und heimliche Lauschaktionen kaprizieren darf. Sicherheitsgefühl entsteht so nicht, im Gegenteil. Die Demonstration vom Samstag in Berlin war eine Manifestation des Unbehagens und des bürgerlichen Zorns.

Ein starker Staat ist einer, der seine Bürger stark macht. Die Bürger fühlen sich nicht dann sicher, wenn der Staat Wanzen verschickt, sondern wenn er Beamte auf die Straßen schickt und in die S-Bahnen.

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