Prozess wegen Vergewaltigung:Albtraum im Aufzug

Ein 38-Jähriger vergewaltigt eine Frau in einem Bürogebäude in Neuhausen, einen Tag später sucht er sich ein weiteres Opfer, um seine Gewaltphantasien auszuleben. Vor Gericht erklärt der Angeklagte, Stimmen in seinem Kopf hätten ihn dazu aufgefordert.

Von Christian Rost

Es war ein wahrer Albtraum, den eine 30-jährige Angestellte auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz erlebte. Ein Mann drängte sich in einem Bürogebäude in Neuhausen zu ihr in den Aufzug, um sie zu vergewaltigen. Auf der Suche nach seinem Opfer war er zuvor an einer Polizeiinspektion vorbeigelaufen und von Kameras gefilmt worden. Doch erst nach einem weiteren Überfall auf eine Frau in Neuperlach konnte der psychisch kranke Ibil B. gefasst werden. Polizisten erkannten ihn am Marienplatz. Seit Mittwoch muss sich der 38-Jährige am Landgericht verantworten.

Im Verhandlungssaal der dritten Strafkammer gibt Ibil B. eine einigermaßen gepflegte Erscheinung ab. Das ist wohl ein Effekt der Medikamente, die er in der Psychiatrie bekommt, in der er vorläufig untergebracht ist. Bis zu seiner Festnahme vor knapp einem Jahr lebte der Mann völlig verwahrlost in einer Wohnung in der Maxvorstadt. Dort stapelte sich der Müll, B. duschte maximal einmal im Monat, seine Tage und Nächte verbrachte er mit seiner Sammlung von rund 300 Gewaltpornovideos.

Eine Beziehung zu einer Frau hatte er schon lange nicht mehr: 2002 war seine Ehe auch infolge seines Heroin- und Marihuanakonsums gescheitert. Einmal im Monat besuchte er seither Prostituierte. 150 Euro von seinem Hartz-IV-Satz gab er aus, damit die Frauen mit ihm seine Vergewaltigungsphantasien auslebten. Auch Ende Juli 2012 war er bei einer Hure, traute sich aber nicht, seine Vorlieben einzufordern. "Frustriert" von diesem Erlebnis ging er nach Hause. Am nächsten Tag suchte er sich ein Zufallsopfer für seine Gewaltphantasien in der U-Bahn.

Die Staatsanwaltschaft wirft Ibil B. Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und vorsätzliche Körperverletzung vor. Am 1. August 2012 verfolgte er Sonja M. (Name geändert) von einem U-Bahnhof aus bis zu einem Bürogebäude an der Landshuter Allee. Wie B. einräumte, drängte er sich mit ihr in den Aufzug und fiel über sie her. Er presste seine linke Hand auf ihren Mund und griff mit der anderen Hand unter ihren Rock. Etwa 20 Sekunden lang drückte sich der korpulente Mann so fest gegen sein Opfer, dass beide zu Boden gingen.

Stimmen im Kopf

Sonja M. versuchte verzweifelt, die Hand des Mannes wegzudrücken und um Hilfe zu rufen. Als der Lift endlich im fünften Stockwerk angekommen war, wurde sie von einer Zeugin aus dem Fahrstuhl gezogen. Ibil B. fuhr wieder hinunter ins Erdgeschoss und verließ in aller Ruhe das Gebäude. Zu Hause angekommen, so sagte B. auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters Anton Winkler, habe er schon nicht mehr an den Vorfall gedacht. Wie er auf die Tat gekommen sei? "Stimmen" hätten ihm in der U-Bahn gesagt, dass "alle Frauen" von ihm vergewaltigt werden wollten.

Nur einen Tag später hörte der an einer Psychose leidende B. angeblich erneut diese Stimmen. Er saß wieder in der U-Bahn, ihm gegenüber eine 24-Jährige, die sich von seiner ungepflegten Erscheinung angewidert abwandte. Als Tanja F. (Name geändert) um 23 Uhr in Neuperlach ausstieg, nahm B. nahm die Verfolgung auf.

In der Carl-Wery-Straße griff er sie unvermittelt von hinten an. Er packte die Frau, warf sie zu Boden, würgte sie und drohte, sie umzubringen, falls sie schreien würde. Sie wehrte sich trotzdem und klammert sich an einen Baum, bis Ibil B. von ihr endlich abließ und verschwand. Danach machte er sich wieder keine Gedanken über die Tat: Die Stimmen seien an allem schuld.

Gab es diese Stimmen überhaupt in seinem Kopf? Wenn seine frühere Ehefrau oder Prostituierte Gewaltspiele abgelehnt hätten, habe er das doch auch akzeptiert, hielt ihm die Staatsanwältin vor. Dass B. psychisch krank ist und deshalb möglicherweise nur eingeschränkt oder gar nicht schuldfähig, zweifelte sie am ersten Verhandlungstag nicht offen an. Aber dass ihn womöglich nicht Stimmen, sondern seine Lust auf gewaltgeprägten Sex getrieben haben, das will die Staatsanwältin noch geklärt wissen. Der Prozess dauert an.

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