Urteil:Waffenhändler muss nach OEZ-Anschlag sieben Jahre in Haft

  • Im Prozess um die Waffenlieferung an den OEZ-Attentäter von München ist der Angeklagte zu sieben Jahren Haft wegen fahrlässiger Tötung verurteilt worden.
  • Die Tat hatte München im Juli 2016 schwer getroffen: Neun Menschen wurden erschossen, die Stadt war in Panik.
  • Der Täter erschoss sich selbst und kann nicht zur Verantwortung gezogen werden. Nun muss der Verkäufer der Tatwaffe jahrelang ins Gefängnis.

Aus dem Gericht von Martin Bernstein

Der Waffenlieferant des Münchner OEZ-Attentäters muss für sieben Jahre ins Gefängnis. Die zwölfte Strafkammer des Landgerichts München I hat den 33-jährigen Philipp K. wegen fahrlässiger Tötung in neun Fällen, fahrlässiger Körperverletzung und zahlreicher Verstöße gegen das Waffengesetz verurteilt und ist weitgehend dem Strafantrag der Staatsanwaltschaft gefolgt. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig - mehrere Opferanwälte deuteten eine mögliche Revision vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe an.

Die Familien der neun Todesopfer wollen eine Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord. Die Verteidiger des Marburgers hatten zuvor beantragt, den Haftbefehl gegen ihren Mandanten aufzuheben und ihn zu einer Freiheitsstrafe von lediglich dreieinhalb Jahren wegen Verstößen gegen das Waffengesetz zu verurteilen. Den Nebenklägern warfen die Verteidiger "Wut, Hass und Rachegedanken" vor.

Philipp K., der einem Freund gesagt haben soll, er wolle "im Kugelhagel der Polizei sterben", schwieg bis zum letzten Tag der Hauptverhandlung. In seinem Schlusswort wandte er sich an die Angehörigen, von denen die meisten zu diesem Zeitpunkt allerdings den Saal verlassen hatten, und sagte: "Ich habe das nicht gewollt. Es tut mir leid."

Mit dem Urteil vom Freitag hat sich die Staatsanwaltschaft München I mit ihrer Rechtsauffassung durchgesetzt: Erstmals wurde ein Waffenhändler in Deutschland für ein Tötungsdelikt belangt, an dem er nicht direkt beteiligt war. Durch den illegalen Verkauf der Waffe habe K. die neun in München verübten Morde überhaupt erst ermöglicht. Die Strafkammer gelangte dagegen nicht zu der Überzeugung, dass der Angeklagte über die Anschlagspläne informiert gewesen war. Im Gegenteil: Laut Vorsitzendem Richter Frank Zimmer hätte K. die Waffe nicht verkauft, wenn er von den Plänen gewusst hätte.

Die Strafkammer sagte, Ermittler und Staatsanwaltschaft hätten äußerst gewissenhaft und gründlich gearbeitet. Dem Waffenhändler bescheinigte der Vorsitzende eine "widerwärtige Gesinnung": K. sei ohne Zweifel ein Rassist und rechtsradikal, ein überzeugter Anhänger Hitlers und des Dritten Reichs. Doch eine Strafkammer sei "kein parlamentarischer Untersuchungsausschuss" - sie habe klären müssen, was strafbar gewesen sei und wie hoch die Strafe dafür auszufallen habe.

Gleichwohl wandte sich der Vorsitzende Richter am Ende seiner Urteilsbegründung auch an die Politik. Zimmer regte eine Verschärfung der Waffengesetze an. Und er stellte den OEZ-Anschlag in eine Reihe mit anderen rechtsextremistischen Taten wie den NSU-Morden, dem Oktoberfestattentat und dem Brandanschlag in Mölln. "Es besteht nicht der geringste Zweifel, dass die Tat rassistisch und fremdenfeindlich motiviert gewesen ist." Es sei wichtig, dass der Staat sich stärker gegen solche Taten organisiere. Anschläge von rechts dürften nicht relativiert und damit verharmlost werden.

Im Mai und Juli 2016 hatte Philipp K. dem späteren OEZ-Attentäter bei zwei Treffen eine Pistole des Typs Glock 17 sowie fast 500 Schuss Munition verkauft. Den Deal hatten die beiden zuvor im Darknet, einem abgeschirmten Bereich des Internets, eingefädelt. Am Freitagabend des 22. Juli erschoss der 18-jährige David S. mit der Waffe im und vor dem McDonald's in der Hanauer Straße sowie im Olympia-Einkaufszentrum neun Menschen. Seine Opfer wählte S. nach optischen Gesichtspunkten aus - sie sollten "türkisch" oder "balkanstämmig" aussehen. Die Mehrzahl der Mordopfer waren Jugendliche, die jüngsten von ihnen gerade einmal 14 Jahre alt.

David S. sagte K. offen, dass er "ein paar Kanaken abknallen" wollte

Im Prozess, der zunächst auf zehn Verhandlungstage angesetzt war, dann aber mehr als doppelt so lange gedauert hat, stand die Frage im Mittelpunkt, was K. von den Anschlagsplänen seines Kunden gewusst hatte. Nach Ansicht der drei Berufs- und zwei Laienrichter konnte ihm jedoch keine Mitwisserschaft nachgewiesen werden. Dass S. beim zweiten Treffen mit K. offen davon sprach, mit der Munition "ein paar Kanaken abknallen" zu wollen, reichte für eine Verurteilung wegen Beihilfe nicht aus.

Ungeklärt blieb bis zuletzt auch die Rolle, die verdeckte Ermittler in dem Darknet-Waffenforum spielten. Überraschend förderte der Prozess zutage, dass David S. schon ein Jahr vor den Münchner Morden bei seiner Suche nach einer Waffe an Zollfahnder geraten war, die den Darknet-Account eines Waffennaren übernommen hatten. Doch der Kontakt blieb folgenlos. Verdeckt operierende Zollfahnder waren es auch, die K. am 16. August 2016 festnahmen. Der Waffenhändler hatte nur drei Wochen nach den Münchner Morden versucht, ihnen ein Sturmgewehr zu verkaufen.

Der Anschlag am OEZ hatte München für mehrere Stunden in eine Art Ausnahmezustand versetzt. Zunächst waren die Sicherheitsbehörden von einem Terroranschlag mit möglicherweise mehreren Tätern ausgegangen. Von rund 70 angeblichen Tatorten im gesamten Stadtgebiet wurden im Laufe der Nacht Schießereien oder Geiselnahmen gemeldet. Später stellte sich heraus: S. war allein und hatte das OEZ-Umfeld nicht verlassen. Relativ schnell legten die Behörden sich darauf fest, dass die Tat ein "Amoklauf" als Rache für in der Schule erlittenes Mobbing gewesen sei. Mehrere Experten, die Opferfamilien und ihre Anwälte sowie Politiker aus den Reihen der Grünen, der SPD und auch der CSU sehen in dem Anschlag jedoch inzwischen eine rechtsextremistisch motivierte Tat.

Trotz der schrecklichen Folgen des Anschlags hätte aber alles noch schlimmer kommen können - auch das wurde durch den Prozess deutlich. S. plante zunächst ein Attentat in einem Moosacher Jugendtreff. Und noch kurz vor der Tat soll er laut darüber nachgedacht haben, ob er am zentral gelegenen Karlsplatz ("Stachus") nicht noch mehr Opfer finden würde. Außerdem fragte er seinen Waffenhändler, ob dieser ihm eine automatische Waffe liefern könnte. Doch die angebotene Maschinenpistole war funktionsuntüchtig. Was der aus einer deutsch-iranischen Familie stammende S. mit seiner Tat bezwecken wollte, dokumentierte er im Internet: "Die AfD wird durch uns in die Höhe gepusht, die Salafisten werden in die Zielscheibe geraten."

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