Prozess um Verkehrsschild:Beschädigte Vorfahrt

Weil ein 24-Jähriger ein Vorfahrtsschild mit einem Anti-Nazi-Aufkleber beklebt hat, muss er sich jetzt vor Gericht verantworten. Er ist wegen "gemeinschädlicher Sachbeschädigung" angeklagt.

Alexander Krug

Nichts lieben Juristen mehr, als sich über Paragrafen und ihre Auslegung zu streiten. Hier sind sie in ihrem Element, hier packt sie der Ehrgeiz. Im Amtsgericht liegt ein großes Vorfahrtsschild auf dem Richtertisch. Das Corpus Delicti ist in der Mitte mit Aufklebern verzunziert, einer davon lautet: "Nazistrukturen angreifen - in München und überall." Aufgepappt hat es Sebastian P., Lehrling und Nazigegner. Alles kein Drama, denkt der juristische Laie, aber da hat er die Rechnung eben ohne die Männer und Frauen in den schwarzen Roben gemacht.

Parklizenzschilder in Haidhausen, 2006

Wer ein Verkehrsschild mit einem Aufkleber bekleben will, sollte sich das gut überlegen - das ist nämlich starfbar.

(Foto: sz.lokales)

Die Staatsanwaltschaft hat Sebastian P. wegen "gemeinschädlicher Sachbeschädigung" angeklagt. Der junge Mann, 24 Jahre alt, hat offenbar wichtigeres vor, zum Termin im Amtsgericht erscheint nur sein Anwalt Marco Noli. Er habe versucht, seinen Mandanten übers Handy zu erreichen", sagt er. "Aber da ist wohl was dazwischen gekommen." Was also ist zu tun? Amtsrichter, Staatsanwältin und Verteidiger blättern gleichzeitig eifrig in ihrem Gesetzbuch, nach kurzer Diskussion herrscht dann Einigkeit. Auf das "persönliche Erscheinen" des Angeklagten kann ausnahmsweise verzichtet werden, Anwalt Noli legt dafür im Namen seines Mandant ein Geständnis ab: "Er hat den Aufkleber angebracht."

Damit aber ist der Fall mitnichten abgeschlossen, die Debatte beginnt jetzt erst richtig. Denn unter dem Anti-Nazi-Aufkleber verbirgt sich noch mindestens ein weiterer Aufkleber der "Schickeria", einer Ultra-Fan-Gruppe des FCBayern. Von wem dieses Wapperl stammt, ist nicht bekannt - und damit beginnen die (juristischen) Probleme. Aus Sicht von Anwalt Noli ist das Überkleben eines bereits vorhandenen Aufklebers kein Straftatbestand, da die "Substanz des Schildes" nicht beschädigt wurde. Eine "bloße Veränderung des Erscheinungsbildes" sei noch keine Sachbeschädigung. Das Gericht hat zur Klärung dieser Frage extra einen Straßenmeister als Zeugen geladen. "Das kriegt man nur mit einem Spachtel runter", sagt der. Die reflektierende Schutzfolie des Schildes werde dabei sicher beschädigt. 27 Euro koste ein solches Schild neu. Würde man die Aufkleber entfernen, würden bis zu 70 Euro an Kosten anfallen.

"Da nimmt man ein Lösungsmittel und in fünf Minuten ist das Ding runter", widerspricht der Verteidiger. Außerdem sei das Verkehrszeichen doch schon deutlich gealtert. Der Zeuge pflichtet ihm bei: Turnusgemäß wäre es in einem Jahr wohl ausgewechselt worden - nach dann zehn Jahren im Einsatz. Na also, frohlockt Anwalt Noli und regt eine Einstellung des Verfahrens an.

Die junge Staatsanwältin lehnt das ab. Sie habe klare Direktiven von ihren Vorgesetzten, sagt sie. Und außerdem lägen hier "generalpräventive Gründe" vor: "Es kann nicht sein, dass ich einen Aufkleber mit einem anderen überklebe, um den Tatbestand der Sachbeschädigung zu umgehen."

Nun ist der Amtsrichter an der Reihe. "Das ist eine interessante Rechtsfrage", sinniert er - und verurteilt den abwesenden Sebastian P. schließlich zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 20 Euro: Man habe es hier zumindest mit einer "teilweisen Beschädigung" der Grundsubstanz zu tun. Ob das Schild möglicherweise kurze Zeit später ausgetauscht worden wäre, sei strafrechtlich nicht relevant.

Der Straßenmeister ist zu diesem Zeitpunkt schon wieder bei der Arbeit. Das Schild hat er da gelassen. Es wird vorsorglich in die Asservatenkammer gebracht. Dort wartet das bepflasterte Verkehrszeichen nun auf den nächsten Akt im Schilder-Streit: Anwalt Noli will nämlich Berufung zum Landgericht einlegen.

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