Prozess um Transplantationsmedizin:In der Hand des Arztes

Drei Jahre lang steht eine Frau auf der Warteliste für eine Spenderniere. Nach einem Streit streicht das Klinikum Großhadern ihren Namen. Reine Willkür, sagt die Patientin und klagt jetzt. Das Urteil könnte grundsätzliche Bedeutung haben.

Von Christina Berndt

Spenderorgane sind ein knappes Gut. Wie sie gerecht und sinnvoll an die vielen wartenden Patienten zu verteilen sind, dafür gibt es ein umfassendes Regelwerk. Nur: Um überhaupt die Chance auf ein Spenderorgan zu haben, muss ein Patient erst einmal auf dieser Warteliste stehen. Und auf die setzt ihn sein Arzt - oder eben auch nicht.

Für das Ehepaar K. aus Süddeutschland war es ein Schock, als das Transplantationszentrum am Münchner Klinikum Großhadern die nierenkranke Ehefrau im Jahr 2012 von der Warteliste für eine Spenderniere strich. Das Paar empfand es als reine Willkür und fühlte sich den Entscheidungen der Ärzte ausgeliefert. Um zurück auf die Warteliste zu gelangen, wandte sich die Frau an die Deutsche Stiftung Patientenschutz, mit deren Hilfe sie beim Verwaltungsgericht München eine Klage gegen das Klinikum einreichte. An diesem Donnerstag beginnt der Prozess.

Jahrelange Leidensgeschichte

Drei Jahre lang hatte die heute 45 Jahre alte Frau schon auf der Warteliste in Großhadern gestanden, als ihr Name wieder gestrichen wurde. Sie litt unter einer schweren Autoimmunerkrankung, dem Lupus erythematodes, in deren Folge ihre Nieren versagten. Seit dem Jahr 2002 schon war sie auf regelmäßige Dialyse angewiesen. Weil es ihr immer schlechter ging, entschied sich 2012 ihr Mann, ihr eine seiner Nieren zu spenden. Eine Untersuchung in Großhadern sollte im Juni 2012 zeigen, ob die Spende möglich war.

Doch der Leiter des Nierenprogramms an dem Universitätsklinikum kam zu dem Schluss, dass die Risiken zu groß seien und die Frau wegen ihrer schweren Erkrankung wohl ohnehin bald ein Organ von einem hirntoten Spender bekommen würde. Die Blutuntersuchung erfolgte nicht, was den Ehemann erzürnte. Mehrmals fragte er nach Gründen, schrieb Mails - und wurde, weil diese zum Teil nicht beantwortet wurden, schließlich auch unfreundlich: "Ich nehme an, dass ich mich mit der Beantwortung meiner Fragen nicht an die Klinikleitung bzw. die KV (Kassenärztliche Vereinigung, Anm. d. Red.) wenden muss", drohte er.

Darf das sein?

Für den Münchner Chirurgen war damit das ohnehin angeschlagene Vertrauensverhältnis zu dem Paar endgültig zerstört. Er nahm die Frau, die einige hundert Kilometer von München entfernt wohnte, in Absprache mit seinen Kollegen von der Warteliste und empfahl ihr, sich von einer Klinik in der Nähe ihres Wohnortes erneut listen zu lassen. Er schrieb dem Ehemann: "Aufgrund Ihrer unverhohlenen Drohung" sei "eine vertrauensvolle Behandlung Ihrer Ehefrau an unserem Zentrum nicht mehr möglich."

Darf das sein? Dürfen Ärzte entscheiden, welche Patienten sie auf die Warteliste setzen und welche sie wieder herunternehmen? Das Klinikum betont, dass sich die Entscheidung über die Warteliste "nach einer ganzen Reihe unterschiedlicher, vor allem medizinischer aber auch darüber hinaus gehender Kriterien" richte.

"Abgesehen von der eigentlichen Transplantation ist sowohl in der präoperativen Vorbereitung als auch in der langjährigen Nachsorge eine enge, vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Arzt und Patient essenziell für den Erfolg der Therapie, so das Klinikum. "Gerade bei einem so kostbaren Gut wie einer postmortal gespendeten Niere muss hier eine entsprechende Vertrauensbasis bestehen."

"Bedeutung weit über den Einzelfall hinaus"

Zu der besagten Patientin gebe es "aufgrund einiger dokumentierter Vorfälle, die wir aus Datenschutzgründen jedoch nicht näher erläutern können, bedauerlicherweise" ein solches Vertrauensverhältnis nicht mehr. Das Klinikum betont zudem, dass der Patientin durch die Abmeldung von der Warteliste in Großhadern kein Nachteil entstehe, da sich die Wartezeit für eine Nierentransplantation nach dem Datum der ersten Dialyse richte. "Es gibt mehr als zehn Nierentransplantationszentren, die näher am Wohnort der Patientin liegen als München." Auch aus praktischen und ökonomischen Gründen sei es wegen der langen Nachbetreuungszeit "sinnvoller, ein näher gelegenes Zentrum zu suchen."

Tatsächlich hat die Frau im Dezember 2013 an einem anderen Transplantationszentrum eine neue Niere erhalten.

Für den Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, zeigt sich an diesem Fall das ganze Ausmaß der Intransparenz und Willkür im deutschen Transplantationswesen. Von dem Prozess verspricht er sich deshalb viel: "Das Verfahren hat weit über den Einzelfall hinaus große Bedeutung", so Brysch. "Denn der Prozess soll erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik klären, auf welche Weise Patienten auf der Warteliste Entscheidungen der Transplantationsmediziner überprüfen lassen können."

Das Transplantationsgesetz macht darüber keine Aussage. Ausgerechnet für ein so sensibles Gebiet wie die Transplantationsmedizin, bei der es um die Verteilung von Lebenschancen gehe, gebe es keine politische und staatliche Verantwortung, so Brysch. Bei all dem müsse das Gericht in dem nun beginnenden Prozess noch eine wesentliche Frage klären, meint der Patientenschützer: "Wie muss man sich eigentlich verhalten, um nicht von einer Behandlung ausgeschlossen zu werden?"

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