Prozess um Schmerzensgeld:"Ich werde nie wieder auf einen Gully-Deckel treten"

  • Eine Münchnerin geht einen Fußweg entlang und stürzt in ein Gully-Loch.
  • An den Folgen des Unfalls leidet sie bis heute. Vor Gericht kämpft die Frau seit zweieinhalb Jahren um ihr Recht.
  • Die Stadt ist in dem Fall nicht in der Verantwortung, sondern die Eigentümerin des Anwesens. Aber deren Versicherung will nicht zahlen und die Hausbesitzerin ebenfalls nicht.

Von Ekkehard Müller-Jentsch

Schon der Gedanke daran ist gruselig: Man geht einen schmalen Fußweg entlang, plötzlich tut sich der Boden unter einem auf, alle Lichter gehen aus - und man steckt bewusstlos bis zur Hüfte in einem Gully-Loch. Passiert ist das einer heute 76-jährigen Münchnerin in der Plinganserstraße, nahe dem Harras. Sie hat erhebliche Verletzungen erlitten: Muskelfaserrisse, Nervenquetschungen und Wirbelprellungen.

An deren Folgen leidet sie seither jeden Tag und jede Nacht. Wer muss für solch einen Unfall auf einer öffentlichen Straße haften? Bisher jedenfalls niemand. Schon zweieinhalb Jahre kämpft die Münchnerin um ihr Recht.

Der Gully-Deckel ist in dem Fall keine Sache der Stadt

Gully-Deckel, öffentlicher Bürgersteig - natürlich liegt zunächst der Gedanke nahe, dass die Stadt in der Verantwortung steht. Doch die winkt ab: Hier handele es sich um den Verschluss des Inspektionsschachtes einer Regenwasserfallleitung des angrenzenden Hauses - also reine Privatsache. Die Eigentümerin des Anwesens ist sich keiner Schuld bewusst. Das über 100 Jahre alte Gebäude habe sie 1978 so gekauft, sagt ihr Anwalt. Der Gully-Deckel sei niemals beanstandet worden, es habe bis zu dem Unfall nie Probleme gegeben. Und es habe keine Anzeichen gegeben, dass mit dem Deckel etwas nicht in Ordnung sein könnte. Ihre Versicherung will deshalb nichts bezahlen, die Besitzerin selbst schon gar nicht.

Die Verunglückte reichte Klage beim Landgericht München I ein. Rechtsanwalt Wilfried Sydow spricht von einem "Falltüreffekt". Ohne Reaktionsmöglichkeit sei seine Mandantin bis zur Hälfte in den Schacht gesackt. Eine Radfahrerin habe zum Glück sofort reagiert, mit einem Passanten die Bewusstlose herausgehoben und Hilfe gerufen. Der vom Gericht beauftragte Sachverständige, ein Bau-Ingenieur und Wasserwirtschaftler, erklärt in der Verhandlung, dass der nur 3,2 Kilo schwere Deckel aus Stahlblech mit Waffelmusteroberfläche keiner seit den Dreißigerjahren geltenden Norm entspreche - ältere Vorschriften ließen sich heute nicht mehr finden. Nach heutiger Din-Norm müsste eine 58 Kilo schwere Abdeckung verwendet werden, die keinesfalls von alleine verrutschen könne. Außerdem habe sich der alte Deckel in einem mangelhaften Zustand befunden.

Auf dem Gully-Deckel herumgesprungen

Der Ehemann der beklagten Hausherrin und ihr Anwalt widersprachen in der Verhandlung energisch. Mann und Frau seien nach dem Unglück regelrecht auf dem Deckel herumgesprungen, ohne dass dieser aus seiner Haltung gerutscht sei, sagte der Anwalt. Er zieht auch die vom Sachverständigen aufgezählten Normen in Zweifel, zumal der kaum 1,60 Meter breite Gehweg nicht einmal von Kraftwagen befahren werden könne. Im Rahmen seiner Verkehrssicherungspflichten habe der Eigentümer keine Gefahrenquelle für Passanten erkennen können.

Die Richterin der 23. Zivilkammer nennt den Vorfall eine "krasse Geschichte": Plötzlich vom Boden verschluckt zu werden, sei natürlich ein Albtraum - bis heute anhaltende psychische und physische Beschwerden könne man sich da gut vorstellen. Sie schlägt vor, dass die Beklagte freiwillig 8000 Euro bezahlt, die Hälfte der gestellten Forderung. Die Verunglückte würde das akzeptieren, der Anwalt der Beklagten will mit der Versicherung darüber reden. Sollte der Vergleich scheitern, wird das Gericht Ende März sagen, wie es weitergeht: Wohl mit Medizingutachten über die Unfallfolgen. Für die Münchnerin ist derzeit nur eines sicher: "Ich werde nie wieder auf einen Gully-Deckel treten."

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