Prozess um Reizgas-Attacke:Glaubensfragen im Bierstüberl

"Solche Themen gehören hier nicht her": Zwei Gäste streiten sich in einer Münchner Kneipe über eine Frage des Glaubens. Der eine will aus der Kirche austreten und bekommt vom anderen eine Ladung Pefferspray ab. Der Fall landet vor Gericht, bleibt jedoch unlösbar.

Von Christian Rost

Bierstüberl sind gemeinhin nicht die vornehmsten Orte, wo Glaubensfragen erörtert werden. Es sei denn, es geht um Fußball: Ob man glaubt, dass aus dem TSV 1860 je wieder eine erfolgreiche Mannschaft oder ob der FC Bayern mit seinem schicken neuen Trainer wieder Meister wird, zum Beispiel. Die Lokalität "Zur Hexe" am Mangfallplatz ist mir ihrer geografischen Nähe zum Trainingsgelände der Bayern und zum Grünwalder Stadion eigentlich prädestiniert für solche Themen.

Tatsächlich aber werden dort echte Glaubensfragen ausdiskutiert, die die katholische Kirche betreffen. Am 12. Dezember 2012 artete ein solches Gespräch allerdings derart aus, dass sich jetzt das Münchner Amtsgericht mit einigen Stüberlgästen beschäftigen musste.

Karl S. saß am Dienstag wegen gefährlicher Körperverletzung auf der Anklagebank. Die Staatsanwaltschaft hielt dem 67-Jährigen vor, im Streit einem 48-Jährigen Pfefferspray ins Gesicht gesprüht zu haben. Dass der Gast in der "Hexe" Reizgas abbekommen hatte, stellte niemand in Abrede - auch der Angeklagte nicht. Die Frage war nur, ob Karl S. seinen Kontrahenten verletzen wollte oder ob er in Notwehr gehandelt hatte.

Es war gegen 22.10 Uhr, als sich der später Geschädigte Max N. mit einem anderen Gast unterhielt. Schließlich landete man beim Thema Kirche, über die sich N. mächtig aufregte: Er werde austreten, schon weil er keine Kirchensteuer mehr zahlen wolle. Karl S. bekam die tiefen Zweifel des Mannes am Tresen mit und ermahnte ihn: "Solche Themen gehören hier nicht her." Und überhaupt: Man solle nicht über Gott lästern.

Max N. verbat sich die Einmischung, woraufhin der in Bedrängnis geratene S. auf das Pfefferspray in seiner Tasche verwies, das er immer bei sich trägt. N. ließ sich davon nicht beeindrucken, er werde sich zu wehren wissen, mit seiner "Geheimwaffe": einem Taschenmesser. Zum Glück ließ er das Messer stecken, er warf aber den Barhocker um, auf dem Karl S. saß. Der Rentner landete auf dem Boden, zückte sein Reizgas und sprühte, bis N. nichts mehr sah. Die Stüberlwirtin brachte den Verletzten auf die Toilette, um ihm die Augen auszuwaschen.

Ob die Spray-Attacke Notwehr war, konnte das Gericht letztlich nicht klären: Jeder Zeuge erzählte eine andere Version des Hergangs - das viele Bier hatte den Stammgästen offenbar die Sinne vernebelt. Man war damals schließlich nicht in der Kirche, sondern im Stüberl. Das Verfahren gegen Karl S. wurde eingestellt.

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