Prozess um Doppelmord von Krailling:Mutter schildert das Unfassbare

Brutal soll der Onkel seine beiden Nichten getötet haben, die Mutter selbst entging offenbar nur knapp einem Mordanschlag. Zehn Monate nach der Tat von Krailling muss Anette S. vor dem Münchner Gericht in den Zeugenstand - und ringt um Fassung. Ein Zusammentreffen mit dem mutmaßlichen Mörder Thomas S. bleibt ihr allerdings erspart.

Anna Fischhaber

Den schwersten Teil der Vernehmung muss die Mutter gleich zu Anfang absolvieren. An diesem dritten Prozesstag um den Doppelmord von Krailling schildert Anette S. unter Ausschluss der Öffentlichkeit, wie sie ihre beiden blutüberströmten Mädchen in der Mordnacht fand. Sie muss sich erinnern an den 24. März 2011, als ihre beiden Töchter brutal ermordet wurden. Die Frau bemühe sich tapfer vollständige Angaben zu machen, sagt Oberstaatsanwältin Andrea Titz im Landgericht München II. Aber natürlich sei sie sehr aufgewühlt, weine immer wieder.

Fortsetzung Prozess Doppelmord Krailling

Prozess im Doppelmordfall Krailling: An diesem Montag muss die Mutter der getöteten Mädchen aussagen.

(Foto: dpa)

Zwar tritt Anette S. in dem Prozess als Nebenklägerin auf, bislang hat sie die Verhandlungen aber gemieden. An diesem Montag muss sie in den Zeugenstand - sie war als Erste am Tatort, die Staatsanwaltschaft erhofft sich von ihr Hinweise zur Auffindsituation. Die Öffentlichkeit bekommt die 42-Jährige auch an diesem Vormittag nicht zu sehen. Durch einen Hintereingang wird sie in den Verhandlungssaal geführt, während ihrer Aussage müssen Zuschauer und Presse draußen warten.

Die Frau habe zunächst geschildert, wie sie gegen halb fünf Uhr morgens nach Hause kam, schildert Titz den ersten Teil der Vernehmung. Sofort sei ihr eine Dose Terpentin aufgefallen, die nicht in den Haushalt gehöre. Und eine Hantelstange in der Küche. Mit dieser Hantelstange soll der Mörder auf die Mädchen eingeschlagen haben.

Die Frau habe dann beschrieben, wie sie ins Obergeschoss gerannt sei und dort die achtjährige Chiara auf dem Bett gefunden habe. Schnell sei ihr klar gewesen, dass ihre jüngere Tochter kein Lebenszeichen mehr von sich gebe, erzählt Oberstaatsanwältin Titz. Im Kinderzimmer im ersten Stock stößt Anette S. dann auch auf Sharon, elf Jahre alt. Polizisten und Notärzte versuchen noch die Mädchen wiederzubeleben - ohne Erfolg.

Anette S. sei um Fassung bemüht, sagt Titz. Wie schwer ihr die Erinnerung aber auch zehn Monate nach der Tat noch fällt, wird bereits vor ihrem Auftritt vor Gericht deutlich. Weil ihre Anwältin den Ausschluss von Öffentlichkeit und dem Angeklagten beantragt hat, hört das Gericht zunächst einen Psychologen. Er soll helfen, sich ein Bild vom emotionalen Zustand der Mutter zu machen. Laut Strafprozessordnung ist die Entfernung des Angeklagten aus dem Gerichtssaal nur in Ausnahmefällen möglich, etwa wenn für Zeugin "in Gegenwart des Angeklagten die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für ihre Gesundheit besteht".

Günther Lauber, der die Mutter vergangene Woche untersucht hat, spricht von einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung: "In diesem Fall kann es keinen Zweifel geben, dass es sich um ein Trauma handelt - ein Trauma gigantischen Ausmaßes", sagt er - und warnt, ein Zusammentreffen mit dem Angeklagten würde für die Frau eine massive Stresssituation bedeuten: "Es besteht die hohe Gefahr der Retraumatisierung", erklärt er vor Gericht.

Und so sagt Anette S. an diesem Montagvormittag nicht nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit aus - auch ein Zusammentreffen mit dem mutmaßlichen Mörder ihrer Kinder bleibt der Frau erspart. Der Angeklagte darf die Verhandlung aber per Liveübertragung verfolgen.

Nur knapp selbst dem Mordanschlag entgangen

Thomas S., selbst Vater von sechs Kindern, ist mit der Schwester von Anette S. verheiratet. Bei seiner Verhaftung hatte er die Tat abgestritten, vor Gericht schweigt er bislang. Zwar hat niemand den Täter in der Mordnacht beobachtet, doch die Beweise sind erdrückend - allein sieben Finger- oder Handabdrücke weisen darauf hin, dass der Angeklagte vor Ort war. Und das obwohl Anette S. bei ihrer Vernehmung aussagt, ihr Schwager sei schon seit Jahren nicht mehr in ihrer Wohnung gewesen. Das Verhältnis zu ihrer Schwester und deren Mann habe sie als distanziert beschrieben, sagt Titz.

An den ersten beiden Prozesstagen blickte Thomas S. immer wieder interessiert in den Zuschauerraum, ab und zu lächelte er. An diesem dritten Prozesstag wirkt er sichtlich blasser, nervös knetet er seine Hände. Wieder trägt er eine Jeans und ein kurzärmliges Jeanshemd.

In der Anklageschrift heißt es, der Postzusteller habe kurz vor der Tat erfahren, dass er finanziell am Ende sei. Für die Staatsanwaltschaft ist dies das Motiv der Tat.

Als die Zwangsversteigerung seines Eigenheims in Peißenberg drohte, soll Thomas S. seine Schwägerin gebeten haben, den Anteil an einer weiteren gemeinsamen Eigentumswohnung abzulösen.

Ob Anette S. von der finanziellen Misere des Angeklagten wusste, wird bei der Vernehmung nicht klar. Oberstaatsanwältin Titz erklärt aber, die Frau sei laut eigener Aussage nicht abgeneigt gewesen, den Handel mit ihm einzugehen. Offenbar wollte sie die Angelegenheit aber noch prüfen.

Dennoch soll Thomas S. dann losgezogen sein, um seine Nichten mit Hantel, Messer und Seil zu ermorden. Doch sein Plan war offenbar noch furchtbarer: Auch seine Schwägerin sollte laut Staatsanwaltschaft sterben - der 52-Jährige hatte laut Anklage gehofft, seine Frau würde dann alleinige Erbin ihrer Familie.

Am Tatort stießen die Ermittler auch auf eine Badewanne, gefüllt mit Wasser. Daneben ein eingesteckter Küchenmixer ohne Stäbe, halbverdeckt von Badetüchern. Nur weil seine Schwägerin so spät nach Hause kam, sei sie dem Mordanschlag entgangen, heißt es in der Anklageschrift. Demnach wollte Thomas S. den Mord wie einen erweiterten Suizid aussehen lassen.

Insgesamt sollen in dem Prozess 63 Zeugen aussagen - unter ihnen auch die Schwester von Anette S. und Ehefrau des Angeklagten. Am Montagnachmittag wird der Lebensgefährte von Anette S. erwartet. Der Wirt des Schabernacks hatte mit der Mutter die Mordnacht im Lokal verbracht - und mit ihr die Kinder gefunden. Auch er soll sich nun im Zeugenstand an diese Nacht erinnern. Auch für ihn hat die Nebenklage den Ausschluss des Angeklagten und der Öffentlichkeit beantragt. Oberstaatsanwältin Titz geht aber davon aus, dass Presse und Zuschauer dem Prozess dann wieder folgen dürfen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: