Prozess um abgebranntes Mietshaus:Schwierige Wahrheitsfindung

Bewohner berichten vor Gericht über Brand in der Dachauer Straße

Von Susi Wimmer und Fabrizio Zalpur

Es ist wie ein Puzzle, das das Landgericht München I in monatelanger Arbeit Stück für Stück zusammensetzen muss. Dutzende Zeugen müssen aussagen, wo sie wann in der Nacht des 2. November 2016 waren, in welcher Sprache sie "Feuer" riefen, wer wann auf den Flur rannte, welche Nachbarn sie dabei gesehen haben - und wie die Matratze in das Treppenhaus an der Dachauer Straße 24 kam, an der der Brand ausbrach. Ein Vater und seine beiden Töchter kamen bei dem Feuer ums Leben. Die Kette der Indizien jedenfalls muss stark sein, denn für den 43-jährigen Mohamed E. auf der Anklagebank geht es darum, ob er wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt wird.

"Ja", sagt ein Bewohner des Hauses vor Gericht, "die Haustüre stand manchmal auf". Es habe keine Kontrolle darüber gegeben, wer in dem Gebäude an der Dachauer Straße ein- und ausging. Die Zustände dort zu schildern, "da fehlen mir die Worte", sagt er. Dreckig, eng, Wäscheständer im Gang. Er selbst wohne mit seiner Frau und Baby im Hinterhaus, zwölf Quadratmeter für 500 Euro, bar auf die Hand bezahlt. Ein einziges Zimmer ohne Küche, eine Etagendusche für zehn Personen und zwei Toiletten, eine für Frauen, eine für Männer. Er habe ständig auf dem Wohnungsamt Fotos herumgezeigt, "wir wollten unbedingt umziehen, aber keiner hat uns geholfen". Es war seine Frau, die in jener Nacht durch das Klirren einer Fensterscheibe gegen 1.50 Uhr erwachte. Sie habe gedacht, dass wieder einmal jemand irgendwas aus dem Haus auf die Straße geworfen hat, erzählt der 29-Jährige. Dann habe sie "Es brennt" gerufen. Durch das Fenster sah der Bauarbeiter die Flammen im Treppenhaus des Vorderbaus. Das Paar flüchtete auf die Straße, gesellte sich zu den bulgarischen Landsleuten. Und die Gruppe stellte fest, dass einer fehlte: Aleksandar M. "Wir haben ihn ständig am Handy angerufen, aber er hat nicht abgehoben", erzählt der Arbeiter. Und plötzlich sei die Leitung verstummt. Zu dem Zeitpunkt hatte der Vater mit seinen neun und 16 Jahre alten Töchtern vermutlich versucht, die Dachgeschosswohnung über das brennende Treppenhaus zu verlassen. Die drei brachen im Flur des Hauses zusammen und starben.

Das Gericht interessiert sich vor allem auch für die Frage, wer in der Tatnacht zuerst von einer brennenden Matratze als Brandursache gesprochen hatte. Mohamed E. erklärte nämlich kurz nach dem Brand gegenüber einer Polizeibeamtin, dass vor etwa einem Jahr auch eine Matratze gebrannt habe. Ob es sich dabei um reines Täterwissen handelt oder ob etwa Feuerwehrleute oder andere Personen schon vor Ort über den möglichen Brandherd gesprochen hatten, das gilt es zu klären.

"Ich kenne ihn nicht", sagt die nächste Zeugin mit Blick auf den Angeklagten. Dabei hatte der Vorsitzende Richter Michael Höhne die 54-Jährige aufgrund ihrer widersprüchlichen Aussagen bei der Polizei vorab schon ermahnt: "Heute sagen's uns die Wahrheit, sonst gibt's Ärger." Ein paar Sekunden später folgt auf Nachhaken des Gerichts die Erkenntnis, dass sie Mohamed E. doch kenne, dass er im zweiten Stock des Hauses ihr Nachbar war. Die Frau hatte in ihrer Wohnung noch zwei Untermieter, von denen einer ausgerechnet in der Nacht des 2. November auszog. Er hatte ausgesagt, dass er sich noch von der Vermieterin verabschiedet habe. "Nein", sagt sie, "ich habe geschlafen. Ich weiß nicht, wann er gegangen ist."

Mohamed E. sagte aus, dass er durch Rufen und Klopfen die Bewohner vor dem Brand gewarnt hatte. Dasselbe erzählt am Mittwoch auch ein 41-jähriger Nachbar. All diese Aussagen zu sortieren, damit sich am Ende ein klares Bild ergibt, das wird das Gericht auch an diesem Donnerstag tun, dann nämlich wird die Verhandlung fortgesetzt.

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