Prozess:Taxifahrer sticht 16-jährigen Schüler nieder

Ein 57-jähriger Taxifahrer hat einen 16-jährigen Schüler niedergestochen. Angeblich sei dieser aggressiv auf ihn losgegangen. Das bestreitet der Jugendliche jedoch. Nun ist der Fall vor Gericht.

Alexander Krug

Nach eigener Einschätzung ist er ein "besonnener" Mensch, der "jedem Streit aus dem Weg geht". Dieses Urteil steht jedoch in krassem Widerspruch zur Tat, derer Josef I., 57, seit Montag im Schwurgericht angeklagt ist. Wegen eines nichtigen Anlasses hat er einem 16-jährigen Schüler ein Messer in die Schulter gestoßen. Der Jugendliche wurde lebensgefährlich verletzt und überlebte nur dank einer Notoperation.

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(Foto: Foto: ddp)

Josef I. fährt mit Unterbrechungen seit Jahrzehnten Taxi, mal als Selbständiger, mal als Angestellter. Am 14. Juli vorigen Jahres gibt er frühmorgens sein Taxi ab und radelt nach Hause. In der Laimer Unterführung wird er Zeuge eines lautstarken Streits zwischen einem 16-jährigen Schüler und seiner gleichaltrigen Freundin, die von einem Discobesuch kommen.

"Das Mädchen schrie: Geh' weg, ich will nicht mehr." Der Junge habe einen "aggressiven" Eindruck auf ihn gemacht und er habe gerufen: "Lass sie doch in Ruhe." Daraufhin habe der Schüler geantwortet, "Hau ab, das geht dich nichts an". Josef I. radelt weiter, ruft den 16-Jährigen aber nochmals zur Ordnung.

Laut Anklage rennt ihm der Jugendliche daraufhin nach, Josef I. bemerkt das, zückt ein Taschenmesser und klappt die fast zehn Zentimeter lange Klinge während der Fahrt auf. Als ihn der Junge erreicht, sticht er ohne Vorwarnung zu. Der Stich trifft den Schüler in die rechte Achselhöhle und durchtrennt eine Armvene. Der Junge gerät schnell in einen lebensbedrohlichen Zustand, weil er fast drei Liter Blut verliert.

Der Staatsanwalt wirft Josef I. versuchten Mord vor, weil er die Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers gezielt ausgenutzt habe. Das bestreitet der Angeklagte entschieden. Nach seiner Version sei der Jugendliche wie wahnsinnig auf ihn zugerannt und habe ihn an der Schulter gepackt. "Ich hatte große Angst, das er mich zusammenschlägt", so Josef I., "ich war nicht mehr fähig zu denken."

Taxifahrer sticht 16-jährigen Schüler nieder

Eine mögliche Erklärung für die Tat liefert vielleicht die Lebensgeschichte des Angeklagten. Aufgewachsen ist er in Niederbayern in ärmlichsten Verhältnissen. Früh schon muss er auf dem elterlichen Hof mitarbeiten, schlägt sich als Tankwart durch und absolviert eine Schlosserlehre.

Mit 27 Jahren fährt er erstmals im Leben in den Urlaub - nach Südfrankreich. Dort wird er von einer Jugendbande zusammengetreten. Josef I. erleidet zahllose Trümmerbrüche im Gesicht, noch heute trägt er Drähte, die seine Kiefer zusammenhalten. Seit dem Überfall habe er ständig "Angst vor jungen Leuten", sagt er.

Auch als Taxifahrer geriet er mehrmals mit jüngereren Fahrgästen aneinander, einmal teilte er selbst eine "Ohrfeige" aus, ein anderes Mal bekam er einen Tritt. Richter Manfred Götzl hält ihm vor, in "Selbstmitleid" zu zerfließen. Und warum führe er überhaupt ein solches Messer mit sich? Josef I. seufzt tief, gibt dann aber zu, das Taschenmesser (ein Geschenk von Taxi-Kollegen) zum "Schutz" bei sich getragen zu haben. "Wäre er mir nicht nachgelaufen, wäre es nicht passiert", sagt er trotzig.

Der Schüler beteuert, er habe Josef I. überhaupt nicht berührt. "Ich wollte ihn nur zu Rede stellen", sagt er. Seinen rechten Arm kann er seit der Tat nur eingeschränkt bewegen, ein dauerhafter Schaden ist nicht ausgeschlossen. Über seine Anwältin fordert er "mindestens 20.000 Euro" Schmerzensgeld.

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