Prozess:Wer haftet für Verstöße in einem freien Wlan?

Auch das Oberlandesgericht tut sich bei dieser Frage ziemlich schwer. Der Piratenpolitiker Tobias McFadden hatte 2010 ein offenes Wlan eingerichtet - leider nutzte das jemand für Illegales.

Von Stephan Handel

Von Gauting nach München, von hier nach Luxemburg zurück nach München - und jetzt? Luxemburg, noch einmal? Oder doch Karlsruhe? Der Rechtsstreit um den Gautinger Tobias McFadden ist mittlerweile eine größere Tour durch Europa geworden, und auch nach der Verhandlung am Oberlandesgericht (OLG) am Donnerstag sieht es nicht so aus, als würde die Angelegenheit bald zu einem Ende kommen. Bezeichnend: Den Auslöser des Streits, die Band "Wir sind Helden", gibt es schon lange nicht mehr - den Streit schon.

2010 hatte Tobias McFadden, wie es sich für ein Mitglied der Piratenpartei gehört, in den Räumen seiner Gautinger Firma ein offenes Wlan eingerichtet, das jedermann in dem Mehrfamilienhaus ungefragt nutzen konnte. Irgendjemand nutzte es jedoch für Illegales und bot das Album "Bring mich nach Hause" von "Wir sind Helden" zum Download an. Es dauerte nicht lange, bis Sony Music, die Plattenfirma der Band, das bemerkte und McFadden eine Abmahnung schickte. Damals war das so im Recht: Wenn der eigentliche Missetäter nicht ausfindig gemacht werden konnte, dann haftete der Betreiber des Wlans, "Störerhaftung" heißt das im Juristendeutsch.

Damit wäre nun alles klar - wenn nicht die Bundesregierung wäre

McFadden fand das ungerecht - dass nachweislich nicht er den Rechtsverstoß begangen hatte, aber jetzt dafür bezahlen sollte. Das Landgericht München I, vor dem 2014 verhandelt wurde, fand die Situation zumindest verwirrend und legte deshalb dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg Fragen zu dem Sachverhalt vor.

Der EuGH benötigte kaum zwei Jahre, um die Fragen zu beantworten, und als die Antworten dem Münchner Landgericht übermittelt waren, urteilte dieses im Sinne der Europa-Richter und von Sony Music. Dagegen allerdings wehrt sich McFadden nun vor dem OLG - und bringt den 6. Zivilsenat dadurch nicht wenig ins Schwitzen, wofür er allerdings gar nichts kann.

Der EuGH hat nämlich in mehrzeiligen, kaum verständlichen Sätzen ungefähr geurteilt, dass die Rechteinhaber etwa von Musikstücken einen Anspruch haben, geschützt zu werden. Daraus folgt, dass der Inhaber des Wlans wissen muss, wer sich seines Netzes bedient - und wenn er das nicht kann oder will, kann er selber haftbar gemacht werden für Rechtsverstöße.

Damit wäre nun alles klar - wenn nicht die Bundesregierung wäre. Die hat nämlich Ende September 2017 das Telemediengesetz in genau den Punkten geändert, die für diesen Fall von Bedeutung sind. Dort heißt es jetzt, dass ein Diensteanbieter - wie McFadden - nicht verantwortlich ist für das, was in seinem Netz alles so getrieben wird, und wenn er nicht verantwortlich ist, dann ist er auch nicht haftbar.

"Wegen der Brisanz der Thematik"

So steht nun der ehrwürdige 6. Zivilsenat vor einem Dilemma. Was die vergangene Tat betrifft, so ist die Rechtslage klar: 2010 galt die Störerhaftung, also wird McFadden deshalb verurteilt werden. Die Klage von Sony beinhaltet aber auch ein Unterlassungsbegehren, dass McFadden solche oder ähnliche Taten nicht mehr begeht also - und das ist ein Anspruch, der in die Zukunft gerichtet ist, für die nun das geänderte Bundesgesetz gilt. Aber gilt es tatsächlich? Offensichtlich widerspricht es ja dem Urteil des EuGH, europäischer Rechtsprechung. Die Sony-Anwälte argumentieren, das Gesetz sei mit Unionsrecht nicht vereinbar und daher unwirksam, weshalb McFadden zu verurteilen sei.

Soweit wollte Konrad Retzer, der Vorsitzende des Senats, dann aber doch nicht gehen - dass er von der Prielmayerstraße aus der Bundesregierung sagt, wie sie ihre Gesetze zu gestalten habe. Der Senat betrachte das Gesetz als gültig, sagte Retzer, und zeigte zwei Szenarien auf: Er könne selber nun noch einmal den EuGH anrufen und um die Klärung der strittigen Fragen ansuchen. Da sagte er aber selber, dass das ungewöhnlich wäre, die Europa-Richter zwei Mal mit der selben Sache zu behelligen. Die zweite Möglichkeit wäre, die Angelegenheit mit einem Urteil - vorerst - abzuschließen, aber die Revision zum Bundesgerichtshof zuzulassen.

Um diese beiden Alternativen zu diskutieren, zog sich der Senat für fast eine Stunde zur Besprechung zurück, was den im Gerichtssaal sitzenden Anwälten die Gelegenheit zu einem kollegialen Schwätzchen gab. In zwei Dingen waren sie sich dabei einig: "Wir werden uns sicher noch öfter hier sehen", und: "Wenn's zum BGH geht, dann legt's der hundertprozentig dem EuGH vor." Als der Senat zurückkehrte, verkündete Konrad Retzer nur noch, dass er und seine Kollegen sich Zeit nehmen wollen - "wegen der Brisanz der Thematik bis 15. Februar."

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