Prozess in München:Kriegsverbrecher vor Gericht

In München beginnt im September der Prozess wegen 14-fachen Mordes gegen den 89-jährigen ehemaligen Kompanieführer Josef S. Er soll 1944 bei einem Massaker deutscher Soldaten an italienischen Zivilisten beteiligt gewesen sein.

Alexander Krug

Die Massaker deutscher Soldaten an italienischen Zivilisten 1944 werden erstmals ein Münchner Gericht beschäftigen. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung hat das Schwurgericht die Anklage der Staatsanwaltschaft gegen den ehemaligen Offizier Josef S. aus Ottobrunn wegen 14-fachen Mordes zugelassen. Der Prozess wird am 15. September beginnen. Nach SZ-Recherchen ist einer der Verteidiger Klaus Goebel. Er pflegt seit Jahren enge Kontakte zur "Stillen Hilfe", einer als mildtätiger Verein getarnten Nazi-Organisation.

Der heute 89 Jahre alte Josef S. war 1944 Kompanieführer im Gebirgsjäger-pionier-Bataillon 818, das in Mittelitalien den deutschen Rückzug sichern sollte. Im Juni 1944 reparierte die Einheit in dem kleinen Weiler Falzano bei Cortona (Toskana) eine von Partisanen gesprengte Brücke. Am 26. Juni geriet eine deutsche Streife bei dem Versuch, von Bauern ein Pferd zu requirieren, in einen Hinterhalt. Zwei Soldaten der von dem Angeklagten geführten 1. Kompanie wurden dabei getötet.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem ehemaligen Leutnant Josef S. vor, einen Vergeltungsschlag befohlen zu haben, bei dem insgesamt 14 italienische Zivilisten, überwiegend Bauern aus der Umgebung, getötet wurden. Zunächst erschossen Soldaten vier Zivilisten, darunter eine 74-jährige Frau und einen 21-jährigen Bauernsohn auf der Straße. Danach sperrte die Einheit elf zusammengetriebene Männer im Alter zwischen 16 und 66 Jahren in das Haus eines Bauern. Die anschließende Sprengung der "Casa Cannicci" mit Dynamit überlebte nur einer.

Gino M. ist heute 79 Jahre alt und diente 43 Jahre bei den Carabinieri. Rache empfindet er heute nicht mehr, im Gegenteil. Er habe den Deutschen verziehen, erklärte er kürzlich in einem Interview der SZ-Landkreisausgabe: "Ich will diese furchtbaren Momente einfach vergessen." Eine Entschädigung hat der bei der Sprengung schwer verletzte Gino M., der bis heute ein Stützkorsett tragen muss, nie erhalten.

Kriegsverbrecher vor Gericht

Josef S. hat die Vorwürfe bislang bestritten. Er lebte jahrzehntelang unbehelligt in Ottobrunn, wo er als honoriger Bürger galt. Für die Freien Wähler saß er 20 Jahre lang im Gemeinderat, bei der Feuerwehr war er Ehrenkommandant, 2005 bekam er die Bürgermedaille überreicht. Im September 2006 verurteilte ihn ein Militärgericht in La Spezia in Abwesenheit zu lebenslanger Haftstrafe. Ottobrunns Bürgermeister Thomas Loderer (CSU) ließ es sich dennoch nicht nehmen, vor wenigen Wochen eine "Ehrenerklärung" für S. abzugeben.

Das Dorf Falzano existiert heute nicht mehr, an die Geschehnisse von damals erinnern nur noch eine Gedenktafel und ein steinernes Kreuz. Doch für die Gemeinde Cortona ist das Massaker noch immer eine "offene Wunde" wie Bürgermeister Andrea Vignini unlängst der SZ sagte. Den Angeklagten wolle man nicht hinter Gittern sehen, aber "wir wollen, dass endlich anerkannt wird, dass es sich bei dem Massaker um ein Kriegsverbrechen handelt".

Die Staatsanwaltschaft München I stützt ihre Anklage auf Dokumente und eine Reihe von Zeugen. Der Mordvorwurf wird mit den Mordmerkmalen niedrige Beweggründe und Grausamkeit begründet. Das Massaker in Falzano zählt in der Serie deutscher Kriegsverbrechen in Italien eher zu den weniger bekannten. Berüchtigt sind die Greuel von Marzabotto, einer Apenninen-Gemeinde in der Nähe der italienischen Stadt Bologna in der Emilia-Romagna. Hier töteten deutsche Soldaten 1944 mindestens 770 Zivilisten. Auch in diesem Fall wurden zehn beteiligte SS-Männer 2007 in La Spezia in Abwesenheit verurteilt.

Die deutsche Justiz hat im Fall Marzabotto bislang noch keine Anklage erhoben. Die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg verzeichnet seit Kriegsende insgesamt 6498 rechtskräftig verurteilte NS-Täter. Hinzu kommen etwa 5000 Verurteilte durch Militär- und Besatzungsgerichte der drei Westalliierten und rund 12.000 Verurteilte in der ehemaligen DDR beziehungsweise der sowjetischen Besatzungszone.

Der Prozess gegen Josef S. soll am 15. September beginnen. Der 89-Jährige wurde untersucht und von Gutachtern als verhandlungsfähig eingestuft. Es ist aber aufgrund seines hohen Alters davon auszugehen, dass man nur stundenweise verhandeln können wird.

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