Prozess:Gericht weist Psychiaterin wegen fehlerhaften Gutachtens zurecht

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Eine Gutachterin forderte Maria S. in der Psychiatrie des Isar-Amper-Klinikums in Haar unterzubringen. (Foto: Claus Schunk)
  • Obwohl eine Gutachterin empfiehlt, Maria S. in die Psychiatrie einzuweisen, sieht ein Gericht davon ab.
  • Es gibt Unstimmigkeiten im Gutachten.
  • Maria S. leidet an paranoider Schizophrenie und hat einem Nachbarn zwei Finger gebrochen.

Von Christian Rost

Der Fall Gustl Mollath hat gezeigt, wie leicht ein Mensch Opfer eines Justizirrtums werden kann. Sieben Jahre saß er zu Unrecht in der Psychiatrie - wegen fehlerhafter psychiatrischer Gutachten. Einer 76-jährigen Münchnerin drohte jetzt ein ähnliches Schicksal. Das Landgericht München I erkannte aber noch rechtzeitig, dass bei der Begutachtung der an paranoider Schizophrenie leidenden Maria S. eklatante Fehler gemacht wurden.

Maria S. kleidet sich modisch-bunt, sie legt Wert auf ein gepflegtes Äußeres. Das Erscheinungsbild der früheren Warenhausverkäuferin lässt jedenfalls nicht vermuten, dass sie aufgrund ihrer Erkrankung mitunter völlig die Beherrschung verlieren kann. In solchen Situationen ist sie nicht in der Lage, Situationen richtig einzuschätzen und angemessen zu reagieren. Maria S. schlägt auch mal zu, wenn ihr jemand nicht passt. 2009 zum Beispiel versetzte sie einer Elfjährigen eine Ohrfeige, weil die Frau der Meinung war, dass die Schülerin in dem Mietshaus an der Orleansstraße nichts zu suchen hatte.

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Was Maria S. getan hat

Tatsächlich wohnte das Mädchen mit seinen Eltern im selben Haus wie Maria S. Ein andermal ging die Seniorin, die sich mal für eine "judäische Adlige", mal für "das bayerische Staatsoberhaupt" hält, aus unerfindlichen Gründen auf eine Nachbarin mit einem Regenschirm los. Und am 11. Januar 2013 passierte schließlich das, was Maria S. am Donnerstag vor die 10. Strafkammer brachte. Die Staatsanwaltschaft hatte beantragt, die Frau auf unbestimmte Zeit in die Psychiatrie einzuweisen. Die Begründung: ein Übergriff von Maria S. auf einen ebenfalls betagten Nachbarn.

Seit Jahren schon ist ihr Dieter S. ein Dorn im Auge. Wenn sich die beiden im Treppenhaus zufällig begegneten, beschimpfte die 76-Jährige den gebrechlichen Mann als "grässlicher Penner" und versetzte ihm Hiebe auf den Hinterkopf. Dagegen unternommen habe er nichts, sagte Dieter S. vor Gericht, weil es keine Zeugen für die Angriffe gegeben habe und deswegen eine Anzeige sinnlos gewesen sei. Er versuchte aber, Maria S. aus dem Weg zu gehen.

An jenem Januartag um die Mittagszeit liefen sie sich allerdings wieder über den Weg. Im Treppenhaus im ersten Stock begann die Frau sofort wieder, auf seinen Kopf einzuschlagen. Er habe im Haus nichts zu suchen, schrie sie ihn an. Dann schubste sie ihn so heftig, dass Dieter S. Angst hatte, von ihr aus einem offenen Fenster geworfen zu werden. In Panik klammerte er sich ans Treppengeländer, die Seniorin riss aber derart an ihm herum, dass er sich zwei Finger brach. Zufällig bekam der Hausmeister des Anwesens den Vorfall mit und rief die Polizei.

Was eine Gutachterin dazu sagt

Seit etwa 40 Jahren leidet Maria S. an paranoider Schizophrenie. Bis zum Ausbruch der Krankheit führte sie ein normales Leben mit ihrem Mann, der längst verstorben ist, und zwei Kindern, deren Existenz sie heute bestreitet. Nachdem sie 2009 das Nachbarskind geohrfeigt hatte, kam sie erstmals zur Behandlung ins Isar-Amper-Klinikum nach Haar. Der Attacke auf Dieter S. folgte der zweite Klinikaufenthalt. Maria S. wurde jeweils von einer Psychiaterin begutachtet. Das Ergebnis: Es bestehe die erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass die Patientin auch künftig erheblich rechtswidrige Taten begehe. Deswegen sei sie für die Allgemeinheit gefährlich. Nach diesem Gutachten hätte das Gericht die Einweisung verfügen müssen.

Die Richter jedoch blieben skeptisch, weil die Sachverständige berichtet hatte, Maria S. habe schon in den 1970er Jahren "Körperverletzungsdelikte" begangen, "zu denen noch weitere hinzu kamen". Tatsächlich hatte die Frau zeitweise bis zu zwölf Einträge im Bundeszentralregister. Dabei handelte es sich aber nicht um Gewalttaten, sondern um fünf Fälle des Schwarzfahrens, sechs Diebstähle und eine Unterschlagung.

Das Gericht machte die Psychiaterin darauf aufmerksam und betonte, dass nur die Übergriffe auf das Kind, die Nachbarin und Dieter S . dokumentiert seien. Außerdem habe sich Maria S., die mittlerweile umgezogen ist, seit Januar 2013 unauffällig verhalten. Die Psychiaterin meinte, dann müsse man den betreffenden Passus aus ihrem Gutachten streichen. Bei ihrer Gefährlichkeitsprognose blieb sie: "Ich kann ja nichts ausschließen."

Der Kammer reichte das nicht. Sie lehnte den Unterbringungsantrag ab.

© SZ vom 10.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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