Prozess gegen Josef Scheungraber:Verteidiger fordern Einstellung

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Die Anwälte des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Scheungraber halten eine Anklage nach 64 Jahren für untragbar. Und der Kronzeuge der Anklage ist wohl nicht mehr vernehmungsfähig.

Alexander Krug

Der Prozess gegen den mutmaßlichen Kriegsverbrecher Josef Scheungraber, 90, steht an einem entscheidenden Wendepunkt. Die Verteidiger beantragten am Donnerstag, das Verfahren gegen ihren hochbetagten Mandanten einzustellen. Nach der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sei ein Prozess 64 Jahre nach der angeklagten Tat nicht mehr vertretbar.

Der 90-jährige Josef Scheungraber im Gerichtssaal. (Foto: Foto: ddp)

Immer misslicher stellt sich auch die geplante Vernehmung von greisen Zeugen dar: Nachdem etliche bereits vor Prozessbeginn verstorben sind, häuft sich die Zahl derer, die nicht mehr vernehmungsfähig sind. Dazu zählt auch der wohl wichtigste Zeuge der Anklage.

Der in Ottobrunn lebende Scheungraber war 1944 als Leutnant im Gebirgs-Pionier-Bataillon 818 in Italien eingesetzt. Dort soll er am 27. Juni in dem Weiler Falzano di Cortona (Toskana) nach einem Partisanenüberfall den Befehl zu einem Vergeltungsschlag gegeben haben, bei dem 14 italienische Zivilisten getötet wurden. Die Anwälte Rainer Thesen und Klaus Goebel berufen sich nun darauf, dass ein Verfahren laut der beiden Menschenrechtskonventionen "innerhalb angemessener Frist" verhandelt werden müsse.

Italienisches Urteil bereits rechtskräftig

Dass die italienischen Behörden "aus politischen Gründen" erst Mitte der 90er Jahre begonnen hätten, gegen Scheungraber zu ermitteln, könne diesem nicht angelastet werden. Überdies sei es durch den langen Zeitablauf "dem Zufall" überlassen, welche Zeugen überhaupt noch zur Verfügung stünden. "Brauchbare Aussagen" seien von den wenigen noch zur Verfügung stehenden Zeugen auch nicht mehr zu erwarten.

Anwalt Goebel forderte die Richter auf, das Verfahren auch mit Blick auf das Doppelbestrafungsverbots des Schengener Übereinkommens einzustellen. Danach darf niemand, der bereits innerhalb der EU verurteilt wurde, erneut strafrechtlich belangt werden. Scheungraber wurde in Italien bereits in Abwesenheit wegen Mords zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Urteil ist seit dem 11. November dieses Jahres rechtskräftig.

Verweis auf Prozess gegen Mielke

Für Staatsanwalt Hans-Joachim Lutz greift diese Regelung jedoch nicht, da das Urteil bislang noch nicht vollstreckt, Scheungraber somit faktisch auch noch nicht bestraft wurde. Auch Nebenklagevertreterin Gabriele Heinecke wies die Anträge der Verteidiger ("warum stellen Sie die eigentlich erst jetzt?") als unbegründet zurück. Sie verwies dabei auf den Prozess gegen den Ex-Stasi Chef Erich Mielke, der 1931 in Berlin zwei Polizisten erschossen hatte. Mielke wurde für den Doppelmord auch erst 1993 verurteilt - 62 Jahre nach der Tat.

Mittlerweile gilt der wohl wichtigste Zeuge des Massakers in der Toskana als nicht mehr vernehmungsfähig: Der ehemalige Obergefreite Josef M., 85, war im Juni 1944 als Melder des Bataillons eingesetzt. In einer polizeilichen Vernehmung vor wenigen Monaten soll er Scheungraber noch als seinen Zugführer und als Befehlsgeber benannt haben.

Dieser habe die Sprengung des Hauses angeordnet, in das die gefangenen Zivilisten getrieben worden waren. Der Kronzeuge lebt heute in Oberösterreich, sein Gesundheitszustand soll sich in den letzten Monaten erheblich verschlechtert haben. Nicht einmal eine Vernehmung mittels Videoschaltung scheint mehr möglich. Josef M. soll in einer Art Lebensbeichte auch erklärt haben, dass die Soldaten damals geahnt hätten, dass es normale "Familienväter" und nicht etwa Partisanen gewesen seien, die in Falzano getötet wurden.

© SZ vom 19.12.2008/pfau - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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