Prozess gegen Hebamme:"Sie werden heute sicher keine ruhige Nacht haben"

Prozess gegen Hebamme wegen versuchten Mordes

Arbeitskolleginnen beschreiben Regina K., hier bei der Urteilsverkündung vor dem Landgericht München, als "kühl, humorlos, introvertiert".

(Foto: dpa)
  • Hebamme Regina K. soll schwangeren Frauen im Klinikum Großhadern blutverdünnende Medikamente verabreicht und sie damit in Lebensgefahr gebracht haben.
  • Das Landgericht München I zweifelt nicht an ihrer Schuld und verurteilt sie zu 15 Jahren Haft.
  • Für K. sei es "eine Genugtuung" gewesen, dass die Mediziner mit kaum mehr beherrschbaren Situationen konfrontiert wurden, so der Vorsitzende Richter.

Von Christian Rost

Für den Mann und seine hochschwangere Frau sollte es "der schönste Tag im Leben werden, es wurde aber der schlimmste", wie er sagt. Als die Frau per Kaiserschnitt entbunden wurde, geriet die Situation im Kreißsaal völlig außer Kontrolle. Die Patientin verlor aus unerklärlichen Gründen große Mengen an Blut. Die Blutungen ließen sich nur mit Mühe in mehreren Notoperationen stillen. Transfusion um Transfusion retteten ihr das Leben.

Dem Vater hatte man schon gesagt, er solle sich darauf einstellen, das Kind möglicherweise alleine erziehen zu müssen. Das war in einem Moment, als "der Chefarzt mehr Angst hatte als ich", berichtete der Mann. Bei sieben hochschwangeren Frauen in den Kliniken Großhadern und Bad Soden nahe Frankfurt am Main traten solche massiven Komplikationen auf.

Verantwortlich dafür war jeweils die Hebamme Regina K., wie das Münchner Schwurgericht am Freitag feststellte. Die große Strafkammer unter dem Vorsitz von Michael Höhne verurteilte die 35-Jährige wegen siebenfachen versuchten Mordes, gefährlicher und schwerer Körperverletzung zu 15 Jahren Haft und einem lebenslangen Berufsverbot. Damit blieb das Gericht zwar unter der Forderung der Staatsanwaltschaft, die eine lebenslange Freiheitsstrafe gefordert hatte. Dennoch wich der Angeklagten bei der Urteilsverkündung ihr überlegen wirkendes Lächeln aus dem Gesicht, das sie während dieses neun Monate dauernden Prozesses stets gezeigt hatte.

Sie hatte wohl mit einem Freispruch gerechnet, den ihre Verteidiger beantragt hatten. Doch das Gericht, das sich auf Indizien stützen musste, weil es keine Tatzeugen und unmittelbaren Beweise gegen Regina K. gab, hatte letztlich "keinen Zweifel" an ihrer Schuld, wie Höhne sagte. Es habe sich nicht um fahrlässige Behandlungsfehler gehandelt, sondern um die geplanten Taten einer Hebamme, der das Leben der Schwangeren "völlig gleichgültig" gewesen sei.

Das Gericht zeigte sich überzeugt, dass Regina K. die Frauen nur benutzte, um ihren Vorgesetzten, den Klinikärzten, auf mörderische Art und Weise eins auszuwischen. Indem sie den Frauen heimlich den Blutverdünner Heparin vor der Kaiserschnittentbindung verabreichte oder - in einem Fall - einer Patientin eine Tablette zum Abbruch von Schwangerschaften einführte, habe sie die Betroffenen in Lebensgefahr gebracht. Regina K. habe die Ärzte an die Grenzen ihrer medizinischen Fähigkeiten bringen wollen, die sie aufbieten mussten, um die Patientinnen zu retten.

Für K. sei es "eine Genugtuung" gewesen, so der Vorsitzende Richter, dass die Mediziner mit kaum mehr beherrschbaren Situationen konfrontiert wurden. Für die werdenden Mütter, die sich in der geschützten, klinischen Umgebung sicher fühlten, sei die Geburt zum traumatischen Erlebnis geworden.

"Kühl, humorlos, introvertiert", so beschrieben ehemalige Kollegen Regina K., die 2004 in Kiel als eine der Klassenbesten die Prüfung zur Hebamme abgelegt hatte. Ständig habe sie während ihrer Dienste über pathologische Geburtsvorgänge gesprochen und ihre Rolle dabei aufgebauscht, berichteten die Zeugen. Damit ging ihnen Regina K. derart auf die Nerven, dass sie sogar Dienste tauschten, um nicht mit ihr zusammen arbeiten zu müssen.

Der Angeklagten entging das freilich nicht, und sie ärgerte sich in Bad Soden besonders über einen Assistenzarzt, dessen Anweisungen sie nur höchst widerwillig befolgte. Im April 2012 wollte sie ihn offenbar abstrafen. Am Ende ihres Dienstes verabschiedete sie sich von dem Mediziner mit den Worten: "Sie werden heute sicher keine ruhig Nacht haben." Zuvor hatte sie einer werdenden Mutter ein Präparat vaginal eingeführt, das Schwangerschaften abbricht. Als der Arzt die Frau später untersuchte, fand er noch Reste der sechseckigen Tablette. Sie hatte sich noch nicht vollständig aufgelöst.

Eine Patientin musste mit 44 Bluttransfusionen gerettet werden

Dennoch setzte in der Nacht bei der Patientin ein Wehensturm ein, es bestand die Gefahr, dass das Kind im Mutterleib nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird. Mit einem Notkaiserschnitt musste der Bub zur Welt gebracht werden. Für die Verantwortlichen im Krankenhaus stand nun fest, dass für diese Komplikation Regina K. verantwortlich war. Wie sich später zeigten sollte, hatte sie schon vorher bei Kaiserschnittentbindungen Patientinnen in Gefahr gebracht. Sie mischte Infusionen heimlich Heparin bei.

Die Schwangeren, die die Infusionen vor dem Eingriff bekamen, verbluteten beinahe. Einer 41-jährigen Frau mussten 44 Bluttransfusionen verabreicht werden, bei einer 38-Jährigen wurde nahezu das komplette Blut im Körper ausgetauscht, um sie zu stabilisieren. Die Frau hatte Todesangst. Einige betroffene Paare leiden nach wie vor schwer unter den Folgen. Zwei Frauen musste die Gebärmutter entfernt werden. Eine weitere Frau, die sich noch ein zweites Kind gewünscht hatte, verlor ihre Eierstöcke. Andere Patientinnen, die noch ein Kind bekommen könnten, wollen dies nicht mehr nach ihren furchtbaren Erfahrungen.

Nachdem Regina K. 2012 in Bad Soden vom Dienst suspendiert wurde, wechselte sie nach München. Der Chefarzt der Gynäkologie in Bad Soden informierte seine Kollegen in Großhadern über seinen Verdacht. Doch weil ihr damals nichts nachgewiesen werden konnte, wurde die 35-Jährige nur unter Beobachtung gestellt. Davon unbeeindruckt, mischte sie offenbar auch in Großhadern vier Mal Heparin mit Infusionen für Schwangere. Sie habe sich über ihren Chef, den Leiter der Frauenklinik geärgert, weil der ihre Arbeitszeit reduzierte, ist sich Richter Höhne sicher. "Sie fühlte sich herabgewürdigt", sagte er.

Erst nach dem dritten Vorfall im Kreißsaal verabredeten die Ärzte, die Hebamme nicht mehr aus den Augen zu lassen. Das war am 25. Juni 2014. An diesem Tag gelang es ihr erneut, Heparin mit einem Antibiotikum zu mischen. Eine Schwangere bekam das Mittel - und hatte Glück. Ihr Kaiserschnitt wurde wegen eines Notfalls um Stunden verschoben. Bei dem Eingriff verlor auch sie Blut, die Wirkung des Heparins war aber nicht mehr so verheerend.

Regina K. schwieg während des Prozesses. Zuvor hatte sie aber einen bemerkenswerten Satz gesagt: "Wenn ich das gewesen wäre, wäre ich ja der Todesengel vom Kreißsaal." Das Urteil tilgte nun den Konjunktiv aus diesem Satz. Zwei der betroffenen Frauen, die als Nebenklägerinnen auftraten, sprach das Gericht Schmerzensgeldansprüche zu. Die Verteidigung will in Revision gehen.

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