Prozess:Entführer von Ottobrunner Bankiersfrau entschuldigt sich

Beginn Prozess gegen mutmaßlichen Entführer

Vor Gericht entschuldigte sich der Angeklagte (rechts) für seine "extrem dumme Idee".

(Foto: Sven Hoppe/dpa)
  • Der Angeklagte Mario S. hat am 10. Juni 2015 versucht, die Frau eines Sparkassenmanagers zu entführen, um 2,5 Millionen Euro Lösegeld zu erpressen.
  • Die Bankiersfrau litt nach der Tat an Albträumen und musste sich in eine Traumatherapie begeben.
  • Nun steht der 53-Jährige vor Gericht.

Von Christian Rost

Mario S. taugt nicht zum Kriminellen, so viel steht am zweiten Verhandlungstag vor dem Landgericht München I fest. Der 53-Jährige, der versucht hat, die Frau eines Sparkassenmanagers zu entführen, ging bei seiner Tat dermaßen dilettantisch vor, dass sein Opfer dachte: "Der hat zu viel RTL gesehen." Über das Skurrile an der Situation damals kann die 46-jährige Ergotherapeutin heute einigermaßen befreit sprechen.

Doch als Mario S. ihr am 10. Juni 2015 eine vermeintlich scharfe Waffe vors Gesicht hielt, stand sie Todesängste aus: "Ich befürchtete, der sperrt mich irgendwo im Wald in ein Loch und lässt mich verschimmeln", sagte die Zeugin am Montag vor Gericht.

Nachdem sich die 20. Strafkammer unter Vorsitz von Sigrun Broßardt am ersten Prozesstag vorige Woche ausschließlich mit Anträgen des Verteidigers Adam Ahmed beschäftigt hatte, kamen nun Täter und Opfer der gescheiterten Entführung zu Wort. Wobei Mario S. lieber seinen Anwalt sprechen ließ - der Angeklagte selbst blickte betreten zu Boden und schämte sich für das, was er der Ottobrunner Familie angetan hat mit seinem Versuch, an Geld zu kommen.

Schon der Erpresserbrief zeigte, dass der Plan zum Scheitern verurteilt war

Spätestens als der Staatsanwalt die Anklage verlas, musste es S. anhand dieser Zusammenfassung klar geworden sein, dass sein Plan von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Schon sein Erpresserbrief zeigte das: Er forderte 2,5 Millionen Euro in 2500 Scheinen à 500 Euro - was aber nach Adam Riese nur 1,25 Millionen Euro ergibt.

2012 war S. nach Thailand ausgewandert, zusammen mit seiner von dort stammenden Frau, er hatte 350 000 Euro im Gepäck, eine Abfindung seines früheren Arbeitgebers IBM und den Erlös aus dem Verkauf zweier Immobilien. In Thailand baute er sich ein Haus und setzte dabei buchstäblich sein Erspartes in den Sand.

2014 war er jedenfalls so pleite, dass er weder genug Geld hatte, um seine Bonität für die Verlängerung seines Visums nachweisen zu können. Noch konnte er eine Augenoperation bezahlen, der er sich wegen einer Netzhautablösung hätte unterziehen müssen. Da kam ihm die Idee, in München irgendeinen leitenden Bankmitarbeiter oder einen von dessen Angehörigen zu entführen und Lösegeld zu erpressen.

S. war enttäuscht, dass die Frau nur einen Polo fährt

Mario S. flog also nach München, mietete sich im Westend eine Wohnung für einen Monat und suchte im Internet und Telefonbuch nach einem Opfer. Er kam auf einen 47-jährigen Generalbevollmächtigten der Stadtsparkasse. Schon diese Wahl zeugte von unglaublicher Naivität des Entführers. "Ich hätte das geforderte Geld gar nicht aufbringen können", sagte der Manager, er habe auch keinen Schlüssel zum Tresor seiner Bank.

S. ließ sich von seinem Vorhaben aber nicht abbringen, obwohl er bei heimlichen Beobachtungen feststellen musste, dass es sich bei seinen Opfern nicht um Millionäre, sondern um eine vierköpfige Familie handelt, die in einem Dreifamilienhaus unter dem Dach lebt.

Vor der Wohnungstüre tauchte er dann laut seinem Geständnis mit einer Softairpistole in der Hand auf, bedrohte die Frau und ihren zwölfjährigen Sohn, der sich mit Kabelbindern an eine Heizung fesseln musste. S. erklärte, ihr Mann habe die Millionen mehrerer Anleger verspekuliert, deshalb müsse sie mitkommen. Er führte die Frau dann zu ihrem Auto und war sichtlich enttäuscht, dass sie nur einen Polo und keinen BMW fährt.

"Lieber Gott, wenn es sein soll, dass ich heute sterben soll, sterbe ich"

Über die Autobahn ging es Richtung München. Die Frau war hin- und hergerissen von Panik einerseits und dem Gefühl, dass sie den Mann eigentlich nicht ernst nehmen konnte. Sie fragte ihn zunächst, ob er überhaupt wisse, welche Strafe ihn als Entführer erwarte. "Das wollte er aber nicht so genau wissen", erinnerte sich die Zeugin. Im Auto überwog dann die Angst: "Ich betete: Lieber Gott, wenn es sein soll, dass ich heute sterben soll, sterbe ich. Es wäre mir zu einem anderen Zeitpunkt aber lieber."

Mario S. wollte den Wagen im Westend in einem Hinterhof neben der von ihm gemieteten Wohnung parken, musste aber feststellen, dass ihm eine Schranke den Weg versperrte. Also fuhr er auf einen Supermarktparkplatz und ließ die Bankiersfrau, die eine zugeklebte Sonnenbrille tragen musste, dort aussteigen.

Als sie durch einen winzigen Sehschlitz eine junge Frau in ihrer Nähe ausmachte, riss sie sich vom Angeklagten los, stolperte und schrie um Hilfe. Mario S. entglitt die Waffe, die zu Boden fiel, wobei das Magazin heraussprang. Er selbst behauptete, er habe die Frau ohnehin freilassen wollen, weil er erkannt habe, dass sein Plan zu nichts führen würde. Als eine "extrem dumme Idee" bezeichnete er die Entführung.

Als die Frau flüchten wollte, rannte S. davon

Nach der Schilderung des Opfers hatte er auf dem Parkplatz allerdings sehr überrascht auf den Fluchtversuch reagiert: "Er schaute mich regelrecht vorwurfsvoll an nach dem Motto: ,Hey, so war das aber nicht geplant.'" Mario S. habe einen Moment lang unschlüssig gewirkt, so die Frau. Dann rannte er aber davon und warf unterwegs seine Pistole in einen Container.

Ein Gast in einem Hotel ganz in der Nähe, der die Hilferufe gehört hatte, zückte sein Handy und fotografierte den davonlaufenden Täter. Die Polizei stöberte ihn in Thailand auf. In der Auslieferungshaft in Bangkok bekam er eine Abreibung vom Zellenchef, weil der annahm, bei S. handle es sich um einen Kinderschänder.

Die Ottobrunner Familie war froh, als er endlich gefasst war. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Polizei Personenschutz angeordnet. Die Frau, die als Nebenklägerin vor Gericht auftritt, litt nach der Tat an Albträumen und musste sich in eine Traumatherapie begeben. Ihr Mann nahm binnen zwei Wochen zehn Kilo ab. Anfangs war er sogar verdächtigt worden, etwas mit der Entführung zu tun zu haben. Die Polizei wollte nichts ausschließen.

Der Sohn, der erst nach Stunden von seinen Fesseln befreit worden war, ist bis heute nicht in der Lage, über die Ereignisse an jenem Junitag zu sprechen, als ein bewaffneter Mann seine Mutter mitnahm. Die Entschuldigung von Mario S. nahm die Frau schließlich an. Der Prozess wird fortgesetzt.

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