Prozess:Elfjährige bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt: Obdachloser vor Gericht

  • Ein 27-Jähriger muss sich vor dem Landgericht München wegen versuchten Mordes an einem elfjährigen Mädchen verantworten.
  • Der Mann soll das Kind beim Spazierengehen angefallen und so lange gewürgt haben, bis es bewusstlos zusammenbrach.

Von Susi Wimmer

Vor mehr als einem Jahr sorgte der Fall für Entsetzen und Ratlosigkeit: Ein Unbekannter fällt an der Paosostraße in Pasing über ein elfjähriges Mädchen her, das seinen Hund Gassi führt. Er würgt sie, bis das Kind bewusstlos zusammenbricht, dann wird er durch Passanten gestört und flüchtet. Das Motiv des Mannes ist völlig unklar. Nun sitzt der mutmaßliche Täter auf der Anklagebank vor dem Landgericht München I und muss sich wegen versuchten Mordes und versuchten Totschlags in noch einem anderen Fall verantworten.

Und er hilft nicht wirklich mit, das Verbrechen an dem Mädchen zu klären, besser: zu erklären. Es tue ihm sehr leid, versichert Damian C. Aber er wisse auch nicht, was in ihm vorgegangen sei, er sei betrunken gewesen und könne sich nicht genau erinnern.

Die Einlassungen des 27 Jahre alten Mannes vor dem Schwurgericht wirken wenig glaubhaft. Immer wieder tauchen Widersprüche auf, plötzliche Erinnerungslücken oder die Aussage von ihm, dass sein Anwalt ihm geraten habe, zu schweigen. Verteidiger Olaf Groborz verliest eine Erklärung, dass Damian C. an jenem 26. August 2016 stark betrunken gewesen sei und Marihuana geraucht hätte. In Pasing, wo er in einem Kinder-Baumhaus in einem Zelt nächtigte, habe er sich im Bereich Paosostraße, Ecke Joseph-Haas-Weg, auf eine Bank gesetzt, Wodka getrunken und spontan das Mädchen angesprochen, das in der Grünanlage unterwegs war.

Was ihm dabei durch den Kopf gegangen sei, wisse er nicht. Die Erinnerungen seien vage. Er sei "schlagartig erwacht", als er das Mädchen gewürgt habe. Er habe gedacht: "Mensch, was zum Teufel machst du da." Er habe gesehen, dass sie atme und sei davongelaufen. "Ich wollte sie nicht töten."

Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft klingt etwas anders. Sie wirft Damian C. sehr wohl planvolles Vorgehen vor. Er habe dem Mädchen vorgegaukelt, sein Kollege sei verletzt und sie solle mitkommen und ihm helfen. Er habe den Hund des Mädchens mit der Leine an einen Baum gebunden. Als die Elfjährige meinte, sie wolle lieber gehen und ihre Mutter verständigen, soll er sie gewürgt haben, bis sie das Bewusstsein verlor.

Die Staatsanwaltschaft ist der Meinung, dass Damian C. aus Frust über sein verkorkstes Leben sich an einem unterlegenen Opfer habe abreagieren wollen. Dabei habe er den Tod des Mädchens in Kauf genommen. Sie sieht die Mordmerkmale Heimtücke und niedere Beweggründe als erfüllt an. Der Angeklagte habe nur von dem Mädchen abgelassen, weil sie um Hilfe gerufen hatte und Passanten aufmerksam geworden waren.

Nach der Tat fahndete die Polizei nach einem 15 bis 19 Jahre alten Mann mit blondem, lockigem Haar. Der Angeklagte sieht auch wirklich sehr jung aus. Heller Haarflaum am Kopf, Pausbacken; und wenn er oder sein Anwalt nicht Entschuldigungsschreiben verlesen, dann grinst er immer wieder etwas frech. Die Polizei nahm ihn sechs Tage nach dem Angriff fest, allerdings in anderer Sache. Am 1. September soll er nachts um 3 Uhr einen polnischen Landsmann mit einem Leihfahrrad und einer Steinplatte beworfen haben. Zufällig kam eine Polizeistreife vorbei. Erst nachdem er ein paar Tage in Untersuchungshaft gesessen hatte, bemerkte die Polizei über einen DNA-Abgleich, dass er auch für den Fall in Pasing in Betracht kommen könnte.

Die Lebenslinien des mutmaßlichen Täters laufen in eine Richtung: Alkohol, Drogen, Diebstähle, Einbrüche. Der gebürtige Pole erzählt, dass die Mutter die Familie verlassen habe, als er noch ein Säugling gewesen sei. Sein Vater sei Altmetall-Sammler gewesen, und Alkoholiker. Einen Schulabschluss oder eine Ausbildung habe er nie geschafft, "keine Motivation". Er habe lieber mit Kumpels rumhängen wollen. Im Alter von etwa 15 Jahren begann seine kriminelle Suchtkarriere.

Dreimal saß er in seiner Heimat Polen im Gefängnis, dann ging er nach Deutschland, angeblich um Geld zu verdienen, das er den Opfern seiner früheren Straftaten schuldig war. Kaum in Deutschland, beklaute er einen Landsmann und saß in Untersuchungshaft. Wodka, Bier und Essen habe er gestohlen, die Drogen mit dem Klauen und Verkaufen von teuren Parfüms finanziert, erzählt Damian C. Bislang, so versichert er, sei er aber weder wegen Gewalttaten noch Sexualdelikten in Erscheinung getreten. Er habe auch kein sexuelles Interessen an Minderjährigen.

Vor Gericht will sich Damian C. zur Sache nicht äußern. Dem psychiatrischen Gutachter Cornelis Stadtland hatte er vorab erzählt, dass er nach seinem Alkoholexzess an jenem Tattag erst zu sich gekommen sei, als er auf dem Mädchen gesessen sei und sie gewürgt habe. Die psychologische Gutachterin Karoline Pöhlmann zitiert den Angeklagten mit den Worten, er sei erst aufgewacht, als er auf dem Opfer gelegen sei. Die Verhandlung wird am Mittwoch fortgesetzt.

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