Prozess:Die Grenzen des Mietspiegels

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Bewohner am Ackermannbogen wehren sich vor Gericht gegen Kostensteigerungen

Von Ellen Draxel, Schwabing

Die ersten Prozess-Termine am Donnerstag waren erst der Anfang. Weil sie sich die Mieterhöhungen für ihre Wohnungen nicht mehr leisten können, haben sich 20 Mietparteien der Häuser an der Adams-Lehmann-Straße 83-95 jetzt von der GBW verklagen lassen. Sie wollen endlich "Klarheit für die Zukunft". Seit die bayerische Landesbank das ehemals staatliche Unternehmen GBW im April 2013 an die börsennotierte Immobiliengruppe Patrizia verkauft hat, steigen die Mieten in der Anlage am Ackermannbogen unaufhörlich. Obwohl ihr Wohnraum durch eine sogenannte einkommensorientierte Förderung (EOF) staatlich bezuschusst ist, erreichte die Bewohner bereits im Februar die dritte "Mietanpassung".

Die Kernfrage all dieser Fälle lautet: Ist der Mietspiegel auf EOF-Wohnungen anwendbar - oder ist er es nicht? "Eine schwierige Materie", konstatierte Richterin Regina Wolfrum bei der ersten Verhandlung im Münchner Amtsgericht am Donnerstag. Nguyen Chau ist von Beruf Koch, er lebt seit 26 Jahren in Deutschland, hat nie Wohngeld oder Hartz IV beantragt. Mit seinem Verdienst von 1600 Euro netto muss der Vietnamese eine fünfköpfige Familie ernähren. "800 bis 850 Euro warm könnte ich für die Miete aufbringen", sagt er. Schon jetzt aber zahlt er 1109 Euro. Eine nochmalige Steigerung kann er sich nicht leisten. Ebenso wenig wie Margrita Hennig, die wie viele weitere Nachbarn als Gast erschienen ist. Die Schwabingerin hat als Sekretärin gearbeitet und bekommt nun 760 Euro Rente. 460 Euro davon gehen allein für die Warmmiete drauf. "Wenn ich noch mehr zahlen soll, blieben mir weniger als 300 Euro pro Monat zum Leben."

Dass die GBW die Miete erhöhen darf, steht rechtlich nicht zur Debatte. Der Bewilligungsbescheid der Stadt erlaubt ihr dies. Doch bis zu welcher Höhe? Während die Vermieterin und ihr Anwalt Florian Gritschneder den Mietspiegel für "direkt anwendbar" erachten, weil nach einem Urteil des Münchner Landgerichts EOF-Wohnungen keinen Sondermietmarkt darstellen, argumentiert Mieteranwältin Evelyne Menges sozialpolitisch. "Preisgebundener Wohnraum", und dazu zählten auch EOF-Wohnungen, sei laut der aktuellen Dokumentation zum Münchner Mietspiegel bei der Erstellung eines Mietspiegels "nicht zu berücksichtigen". Die CSU-Stadträtin zitiert außerdem ein Schreiben des Sozialreferats, wonach "der Mietspiegel für EOF-Wohnungen nicht anwendbar" ist und "ein Mieterhöhungsverlangen mit dem Mietspiegel allein demnach unwirksam wäre". Öffentlich geförderter Wohnraum, betont die Politikerin, sei mit frei finanziertem "nicht vergleichbar".

Dass die Stadt "gerade am Ackermannbogen in den Bescheiden anfangs geschlampt" hat, will Menges nicht beschönigen. Ihren Vorschlag zur Güte, die Mietsteigerung deshalb wenigstens für drei oder vier Jahre auszusetzen, um den Bewohnern die Chance zu geben, anderweitigen bezahlbaren Wohnraum zu finden, lehnt GBW-Anwalt Gritschneder jedoch ab.

Für die Familie Nguyen/Mai endet die Verhandlung ergebnisoffen, Richterin Wolfrum möchte sich noch nicht festlegen. Ihre Richter-Kollegin bei einer zweiten Verhandlung hat schon durchblicken lassen, wohl im Sinne der GBW urteilen zu wollen.

Sollte der juristische Weg nicht fruchten, will Menges mit Sozialreferentin Dorothee Schiwy sprechen. "Das Ganze muss dann politisch gelöst werden." Etwa, indem man den Mietern Wohnraum bei der GWG oder Gewofag anbietet. "Wir haben hier Menschen, die als Erzieherinnen, Kindergärtnerinnen, Busfahrer tätig sind. Berufe, die wir in der Stadt dringend brauchen."

© SZ vom 20.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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