Prozess:Der Waffenhändler und seine tödlichen Geliebten

Amok-Waffenhändler vor Gericht

Diese Waffen, darunter eine Glock 17 (in der Hand), präsentierten die Ermittler nach der Festnahme des mutmaßlichen Waffenhändlers in Marburg.

(Foto: Arne Dedert/dpa)
  • Der mutmaßliche Waffenhändler Philipp K. soll kurz vor dem Amoklauf in München beabsichtigt haben, sein "Geschäftsfeld zu erweitern".
  • Im Prozess wird außerdem nochmal sein seltsames Verhältnis zu Waffen thematisiert: Die Pistole, mit der die neun Morde verübt wurden, nannte K. liebevoll "junge Österreicherin".

Aus dem Gericht von Martin Bernstein

Dijamant war 20 Jahre alt, als er im OEZ verblutete. Giuliano starb mit 18, Hüseyin war 17, als der Mörder ihn, der bereits am Boden lag, aus nächster Nähe erschoss und dazu sagte: "Selber schuld." Armela starb mit 14, als sie gerade mit Freunden im McDonalds zusammensaß. Vier von neun Opfern des sogenannten Amoklaufs. Ihre Eltern, Großeltern, Geschwister sind im Saal des Münchner Landgerichts, als Ermittler des bayerischen Landeskriminalamts am Dienstag fürchterliche Details der Bluttat schildern.

Andere Opferfamilien haben ihre Anwälte geschickt, um sie als Nebenkläger zu vertreten im Prozess gegen den Marburger Philipp K. Er wolle einmal im Kugelhagel der Polizei sterben, soll K. gegenüber Freunden getönt haben. Doch im Kugelhagel gestorben sind die Kinder, Enkel, Brüder und Schwestern dieser Münchner Familien. Gestorben, weil ein junger Mann, der Hitler toll fand und Migranten hasste, einem noch jüngeren Mann, der genauso dachte, eine Pistole verkaufte. Fahrlässig? Oder in dem Wissen oder zumindest einer Ahnung davon, was passieren könnte? Das muss in zehn Verhandlungstagen geklärt werden. Ein gerechtes Urteil wollen die Hinterbliebenen, damit sie abschließen können, wie ein Vater sagt.

Gegen den Schützen David S. kann nicht mehr verhandelt werden. Er hat sich nach den Morden am OEZ selbst getötet. Mit dem gleichen Pistolenmodell, das auch der norwegische Attentäter Anders Breivik bei seinem Massenmord genau fünf Jahre zuvor auf der Insel Utøya benutzt hatte. David S. hatte seine Tat akribisch geplant und vorbereitet. Ursprüngliche Anschlagspläne gegen die Moosacher Freizeitstätte "Boomerang" ließ er irgendwann fallen. "Ich bin kein Kanake", schrie David S. während seines Amoklaufs. "Ich bin Deutscher."

Sein Hass galt Jugendlichen vom Balkan mit türkischem oder albanischem Hintergrund. Gezielt wählte er am Tattag junge Menschen aus, die diesem Bild entsprachen, um sie regelrecht hinzurichten. Verhandelt wird gegen den Waffenhändler Philipp K. Der 32-Jährige sitzt im Saal B 275 des Landgerichts, Auge in Auge mit den Verwandten der Ermordeten.

Nur wenige Meter trennen den Waffenhändler von der Schwester eines Opfers, deren Gesicht wie versteinert ist bei der Schilderung des Tathergangs, vom Vater einer Getöteten, der es irgendwann nicht mehr aushält und schließlich den Saal verlässt, von der Großmutter, die lautlos zu schluchzen beginnt. Das Gesicht des Marburgers ist unbewegt, der Blick hinter Brillengläsern meist nach unten gerichtet. Manchmal rutscht der stämmige Mann auf seinem Stuhl hin und her oder blickt zu seinen Anwälten. Einmal, während der Verlesung der Obduktionsergebnisse, wischt er sich kurz über die Augen.

K. schweigt. Seine Beileidsbekundung hat er von seinen Verteidigern zum Prozessauftakt verlesen lassen. Die Pistole Glock 17, mit der am 22. Juli 2016 die neun Morde verübt wurden, nannte der Waffenhändler liebevoll "junge Österreicherin", von einem Schnellfeuergewehr in ihrem Besitz sprachen K. und sein bester Freund wie von einer Geliebten, "Sabine". Er wolle Sabine wieder loswerden, schrieb der Freund, damit er nicht in "Versuchung" komme.

Im Gegenzug erfuhr der Kumpel aus Schultagen, dass K., der laut Zeugen "geil" auf Waffen war und darauf, leere Patronenhülsen aus einem Gewehrlauf fliegen zu sehen, kurz vor dem Münchner Anschlag sein "Geschäftsfeld erweitern" wollte. Von einem früheren Knacki ließ K. sich eine Nacht lang durch die Frankfurter Drogenszene chauffieren. Stolz berichtete er seinem Freund anschließend, dass sein Fremdenführer, ein ehemaliger Zuhälter und Bankräuber, auf insgesamt 27 Jahre Knast-Erfahrung zurückblicken könne, unter anderem weil er einen Menschen angeschossen hatte. "Mal gucken, was draus wird", schrieb K. seinem Vertrauten über seine Zukunftspläne.

Bei all dem plagte den Waffenhändler offenbar immer die Angst, man könnte ihm auf die Schliche kommen. Mögliche Treffpunkte mit Kunden observiert er im Vorfeld tagelang. Gewehre wurden zur Tarnung in einem Gitarrenkoffer transportiert. Wenn seine Mutter das alles wüsste, so der 32-Jährige zu einem 17 Jahre alten Kunden, dann würde sie sagen: "Philipp, was machst du da? Was kann da alles passieren?"

Doch nicht nur diese Sorge trieb K. um. Der Waffenhändler und seine Chatpartner im Darknet äußerten immer wieder ihre Angst vor "Uwe". Uwe - das war der gängige Deckname für die Polizei. "Die Paranoia war allgegenwärtig", schildert ein Waffensammler die Stimmung in der Szene. Die Angst der Waffenhändler vor Verfolgung war nicht unberechtigt: Spätestens seit Sommer 2015 lasen Frankfurter Zollfahnder unter einer übernommenen Identität im Forum mit.

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