Prozess: Arbeiter gegen Baufirma:Illegale Lohnpraktik oder alles rechtens?

Entweder lügt die Firma, die den Bauarbeiter Cemal Aktay eingestellt hat, oder es lügt Cemal Aktay selbst.

Bernd Kastner

Vielleicht ist Cemal Aktay gar nicht der Betrogene, vielleicht ist er derjenige, der abzocken will. So zumindest sieht es sein ehemaliger Arbeitgeber, die türkische Baufirma A. Die hat ihn im vergangenen Jahr angestellt, auf Baustellen nach München geschickt und ihm seinen gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn ausgezahlt.

Ende Januar dieses Jahres sei seine Arbeitserlaubnis im Rahmen des Werkvertrags ausgelaufen. Und nun tue er so, als sei er rausgeworfen worden, als habe er nur einen Hungerlohn gekriegt. Zu Unrecht habe er seinen Arbeitgeber verklagt, obendrein widerspreche er sich in seinen Anschuldigungen. So stellt Lutz Schorler die Geschichte dar, der Anwalt der Firma A.

Diese sei seit 15 Jahren unbeanstandet auf dem deutschen Markt tätig. ,,Der Mann macht Ansprüche geltend, die nicht existieren,'' sagt Schorler. Kein Fall von Ausbeutung also, alles rechtens.

So könnte es gewesen sein. Die Geschichte könnte sich aber auch so zugetragen haben, wie der Arbeiter sie erzählt. Cemal Aktay ist sein echter Name, er will kein Pseudonym wie sonst die wenigen, die überhaupt bereit sind, über die dubiosen Vorgänge im Baugewerbe zu sprechen.

Wenn seine Version stimmt, ist sie ein weiteres Beispiel für illegale Lohnpraktiken auf hiesigen Baustellen. Beim Zoll sagt man, dass auf fast jeder der großen Baustellen in München Hungerlöhne gezahlt werden.

Der 36-jährige Cemal Aktay, Vater von vier Kindern im Alter von sieben bis 14 Jahren, kommt aus einer Stadt östlich von Ankara. Ein Freund zeigte ihm eine Stellenanzeige, im Juli 2006 heuert er in Istanbul als Eisenflechter bei der Firma A. an. Diese agiert als Subunternehmer für deutsche Generalunternehmen auf deutschen Baustellen.

Illegale Lohnpraktik oder alles rechtens?

Man verspricht ihm einen Nettolohn von gut 1500 Euro, und er unterzeichnet eine Reihe von Dokumenten. Dabei habe es sich teilweise um Blankopapiere gehandelt, meist aber habe er den Text oberhalb der Signatur gar nicht lesen dürfen. Auf seine Frage, was er da unterschreibe, habe es nur geheißen: Formalitäten für die Arbeitsämter in der Türkei und Deutschland. Du brauchst das nicht zu wissen.

Rätselhafte Kündigung

Im Juli 2006 fliegt er nach München, wo er tags darauf zu arbeiten beginnt. Bei drei Baustellen wird er eingesetzt im nächsten halben Jahr. Allein, das versprochene Geld bleibt aus. Statt des Mindestlohnes von netto rund neun bis zehn Euro bekommt er nur die Hälfte.

Es gibt Lohnlisten mit den korrekten Zahlen, unterzeichnet auch von Aktay. Er sagt, zur Unterschrift habe man ihn genötigt. Laut Aktays Anwalt Rolf Gneiting gibt es zwei Stundenlisten: Demnach habe Aktay im Oktober offiziell 168 Stunden gearbeitet, tatsächlich aber 254. Die ,,offizielle'' Zahl werde mit dem korrekten Stundenlohn den Behörden mitgeteilt.

Im Oktober protestieren Aktay und ein paar Kollegen gegen die Ausbeutung. Sie treten in eine Art Streik. Daraufhin zahlt die Firma zusätzliches Geld aus. Aktay pocht immer wieder auf den ihm zustehenden Lohn, solange, bis er seinem Arbeitgeber zu unbequem wird. Ende Januar kündigt man ihm fristlos - mündlich. Er solle auch aus dem Wohnheim verschwinden, sagt man ihm.

Seither lebt Aktay ohne Job, ohne Einkommen, ohne Wohnung und ohne sicheren Aufenthaltsstatus. Das Kulturzentrum Wörthhof in Haidhausen und Freunde helfen ihm, sich über Wasser zu halten. Er reicht Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht ein.

Im März einigt man sich auf einen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbestehe. Noch offen sind die Klagen um das fehlende Geld, es geht um einen Nettolohn von rund 11.000 Euro.

Illegale Lohnpraktik oder alles rechtens?

Im April kündigt die Firma A. das Arbeitsverhältnis schriftlich. Im Juni aber, man trifft sich erneut vor Gericht, legt der Arbeitgeber plötzlich zwei bemerkenswerte Dokumente auf Türkisch vor. Das eine ist eine Kündigung vom 31. Januar, ausgesprochen von Aktay selbst.

Das andere ist eine umfassende Erklärung, wonach er auf alle Ansprüche gegen seinen bisherigen Arbeitgeber verzichte. Wieder auf den 31. Januar datiert, wieder von ihm unterzeichnet. Aktay aber sagt, er kenne diese Texte gar nicht, er habe sie nicht wissentlich unterschrieben.

Sie müssen in dem dicken Papierstapel gewesen seien, den er in der Türkei ,,blind'' unterschrieben habe. In der Tat machen diese Erklärungen den Eindruck, im Voraus angefertigt worden zu sein: Das Datum 31. Januar 2007 wurde ganz offensichtlich nachträglich mit Schreibmaschine eingetragen.

Warum, fragt sein Anwalt Gneiting, hätte sein Mandant Ende Januar für die Kündigung eigens in die Türkei reisen sollen, um dann wieder, ohne Job und ohne Familie, nach Deutschland zurückzukehren? Warum hätte er gegen die Kündigung seiner Firma klagen sollen, wenn er selbst längst gekündigt hat? Warum kündigt der Arbeitgeber im April, wenn Aktay dies schon längst selbst getan hat?

Als Aktay nach seinem Rauswurf zur Ausländerbehörde gegangen ist, um einen Aufenthaltstitel zu bekommen, habe man ihm auch dort ein von ihm unterzeichnetes Dokument vorgelegt: Damit habe er selbst sich aus München abgemeldet. Auch das stimme nicht, sagt Aktay.

Kann so eine Geschichte stimmen? Gut möglich, sagt René Matschke. Als Chef der Finanzkontrolle Schwarzarbeit beim Münchner Hauptzollamt versucht er, illegale Hungerlöhne auf Baustellen aufzuspüren und hört solche Berichte von eingeschüchterten Arbeitern immer wieder: ,,Das ist gang und gäbe.''

Wie es weitergeht für Aktay ist offen. Die Prozesse laufen, auch eine Strafanzeige ist gestellt. Bei der Staatsanwaltschaft liegt schon eine andere Anzeige, eine der Firma A. Sie hat ihren Exmitarbeiter angezeigt. Weil er ihr kriminelle Machenschaften unterstelle.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: