Protestkapelle in der Fußgängerzone:Eine Stadt gibt Kontra

Gegen Hundescheiße, schimpfende Papas und Enten: Fabian Vogl sammelt in der "Kathedrale der öffentlichen Meinung" in der Münchner Fußgängerzone Beschwerden von Passanten. Am Ende soll daraus ein Buch der öffentlichen Meinung entstehen.

Katja Riedel

Es muss auch Menschen geben, die sich über Regen freuen. Fabian Vogl ist so einer, aus ganz körperlichem Interesse. Denn wenn die Sonne vom Himmel über der Neuhauser Straße brennt, wird sein begehbares Kunstwerk zur Schwitzhütte, der Künstler zum Hitzeopfer.

Protestkapelle in der Fußgängerzone: Kunst im Öffentlichen Raum von Fabian Vogl, Kapelle der öffentlichen Meinung in der Fußgängerzone beim Stachus, 12.Juli 2011,Foto : C : Stephan Rumpf

Kunst im Öffentlichen Raum von Fabian Vogl, Kapelle der öffentlichen Meinung in der Fußgängerzone beim Stachus, 12.Juli 2011,Foto : C : Stephan Rumpf

(Foto: Stephan Rumpf)

Die Hitze passt zum Thema: Denn was Fabian Vogl, 33, da in die Münchner Fußgängerzone gebaut hat, nennt er selbst "Kathedrale der öffentlichen Meinung" - für die erhitzten Gemüter. Die temporäre Installation hat Vogl für einen Kunstwettbewerb des Kulturreferates entworfen und aus Holz gezimmert. Sie soll, gemeinsam mit anderen, die Ausstellungsreihe "Protest in München nach 1945" begleiten.

Unter dem Plastik-Kathedralendach hat Vogl alte Protestplakate an die Wände geklebt. Die können die Besucher noch bis zum 25. Juli mit ihrem Protest überkleben - als Symbol der Hoffnung, dass ihre Sorgen gehört werden. In ein Mikrofon können sie ihre Beschwerden schreien, ein Computer verarbeitet die Worte zu einer hallenden Klangwolke.

Für den jungen Aktionskünstler Fabian Vogl ist das der Reiz: die Interaktion mit den Menschen, die in seine weltliche Kathedrale kommen. Vor vier Jahren hat er zum ersten Mal im öffentlichen Raum ausgestellt, nahe dem Sendlinger Tor. "Ich will da sein, wo der normale Mensch auf mich reagiert, nicht im geschützten Raum", sagt er.

Er bespielt die öffentliche Bühne gekonnt, vor der Installationskunst hat er Bühnenbild studiert. "Ich hänge eher nichts an die Wand, sondern stelle auf", sagt er. Immer wieder errichtet er seine "Passivbaustellen": temporäre, unangemeldete Kunst, Absperrbänder. Wie sie abgebaut werden, interessiert Vogl, er beobachtet die Reaktionen und dokumentiert den Abbau fotografisch.

Fabian Vogl interessieren vor allem diejenigen, die nie ein Museum betreten würden. Sie sollen Teil von Kunst werden - "auch wenn sie sich selbst nicht mit Kunst beschäftigen und ihnen nicht klar ist, dass es um Kunst geht", sagt Vogl. So wie die drei Jugendlichen, die jetzt in der Kathedrale das Mikrofon gar nicht mehr freigeben wollen. Ihre Stimmen werden zum ohrenbetäubenden Geschrei, das mögliche Besucher zögern lässt, einzutreten.

Nur deshalb sieht Vogl sich in der Pflicht einzuschreiten, er klingt dabei ein bisschen wie ein Sozialarbeiter. Mit Kindern und Jugendlichen hat er Erfahrung, im Haus der Kunst gibt er Kurse, um sie an die Ausstellungen heranzuführen.

15 Prozent Blödsinn

Es ist ein zweites Standbein - obwohl er, wie er sagt, mittlerweile auch allein von der Kunst leben könne. Er ist nicht der Einzige in seiner Familie: Sein Atelier "Zum Künstlerhof" hat er von seiner Großmutter Zenta Vogl-Zizler geerbt, die im Dezember mit 101 Jahren gestorben ist. Bis zuletzt hat sie gezeichnet, in der Münchner Innenstadt sind ihre Brunnenfiguren zu sehen.

Auch Großvater Hans Vogl hat in der Stadt künstlerische Spuren hinterlassen: Er hat die Figur des Homer vor der Bayerischen Staatsbibliothek geschaffen und Teile der Bauplastik am Deutschen Museum. Fabian Vogls Eltern sind beide Kunsterzieher. Nicht alle Projekte des Jüngsten heißen sie gut. "Sie sagen auch, wenn ihnen etwas nicht gefällt", sagt Fabian Vogl.

Von der Kathedrale scheint Vater Michael angetan zu sein. Gemeinsam mit dem Sohn beaufsichtigt er sie jeden Nachmittag. "Das ist kein Quatsch, das ist ernst", ermahnt er zwei Jugendliche, die herumalbern. Der Sohn würde hingegen am liebsten gar nicht einschreiten, sondern der Kathedrale einfach beim Werden zuschauen. Zensur lehnt er ab. Die Debatte reguliert sich ohnehin meist von selbst, wie bei Toilettenkritzeleien: "Ich bin gegen Schwule und Lesben", hat einer geschrieben. Ein anderer hat hinzugefügt: "Gezeichnet: der Gehirnlose".

Mehr als tausend Münchner haben schon ihren Protest an die Wände geheftet: "Gegen Hundescheise in der Schtat", "Gegen das Dagegen", "Gegen schimpfende Papas", "Kein Mensch ist illegal". Aus den Zetteln könne man die unterschiedlichen gesellschaftlichen und sozialen Schichten der Stadt ablesen, findet Vogl. Ein Lieblingszettel: "Gegen Enten". 15 Prozent Blödsinn habe er ausgemacht, doch etwa jeden fünften Zettel könne er selbst unterschreiben, sagt er.

Selbst hat er noch keinen Zettel geschrieben, bis jetzt. Mehr Kunstunterricht für Kinder würde er fordern. Am Ende wird Vogl die Wände seiner modernen Wallfahrtskirche zerschneiden und ein Buch der öffentlichen Meinung daraus binden.

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