Proteste im Internet:Gegen Acta und Aperol Sprizz

Ob für den Erhalt einer Schwabinger Boazn, gegen die Gentrifizierung Untergiesings, gegen das Urheberrechts-Abkommen Acta oder einfach nur zum Saufen: In München werden zunehmend Proteste über das Internet organisiert.

Beate Wild

Es war ein aussichtsloser Kampf, doch leidenschaftlicher wurde in München wohl selten für etwas demonstriert. Als im vergangenen Sommer klar war, dass die legendäre Kneipe Schwabinger 7 abgerissen werden soll, kochten die Emotionen hoch. "Rettet die Münchner Freiheit - für ein kulturelles Schwabing" hieß die Bürgerinitiative, die Liebhaber der Kneipenkultur flugs im Internet gründeten. Bis heute gibt es diese Gruppe beim sozialen Netzwerk Facebook mit 3685 Mitgliedern.

Proteste im Internet: Acta Gegner demonstrieren am 26. Februar 2012 auf dem Münchner Odeonsplatz.

Acta Gegner demonstrieren am 26. Februar 2012 auf dem Münchner Odeonsplatz.

(Foto: Catherina Hess)

Die Bemühungen, den Abriss der Schwabinger 7 zu verhindern, waren letztendlich umsonst. Doch der Fall ist ein Lehrstück darüber, wie schnell man heutzutage mit Hilfe des Internets eine Interessensgruppe im digitalen Raum ins Leben rufen kann. Innerhalb von wenigen Tagen schafften es die Initiatoren mittels ihrer Facebook-Gruppe, eine Protestaktion an der Münchner Freiheit mit rund 1000 Teilnehmern auf die Beine zu stellen. Mit von der Partie waren die Kabarettisten Michael Mittermeier und Erwin Pelzig sowie die Liedermacher Konstantin Wecker und Willy Michl, die ihre Stimme gegen die Gentrifizierung Altschwabings erhoben. Für München war es ein erster Schritt in Richtung digital angestoßener Bürgerbeteiligung.

Ähnliches bewegt die "Aktionsgruppe Untergiesing", die gegen die Umwälzungen in dem Arbeiterviertel kämpft. "Wenn die Tanzschule um die Ecke durch das 23. Architekturbüro im Viertel ersetzt wird, wenn alteingesessene Bäckereien großen Backketten weichen und eine Glockenbach-Wirtin nun versucht, Aperol-Sprizz in einem Lokal in Untergiesing zu verkaufen, finden wir das komisch", heißt es auf der Facebook-Seite.

Freilich ist dieses Grüppchen, das in München noch nicht größer in Erscheinung getreten ist, nicht zu vergleichen mit den 16 000 Menschen, die im Februar in der bayerischen Landeshauptstadt gegen das geplante internationale Urheberrechts-Abkommen Acta auf die Straße gegangen sind. Die Facebook-Seite "No to ACTA!" hatte zu Protestaktionen aufgerufen. In ganz Deutschland demonstrierten insgesamt 100 000 Menschen, doch die größte Protestaktion fand nicht in Berlin, sondern ausgerechnet in München statt. Selbst Veranstalter Roland Jungnickel war überrascht von dem Ansturm der Demonstranten. "Auf Facebook hatten wir 8000 positive Klicks. Social-Media-Experten aber haben mir erklärt, dass so ein Sympathieausdruck nicht bedeutet, dass die auch alle kommen. In meinen größten Träumen waren es 4000, realistisch ging ich aber von 1000 aus", sagt er.

Warum es dann 16 000 Teilnehmer wurden, bleibt bis heute ungeklärt. Doch offenbar entdecken zumindest junge Münchner die Protestkultur via Internet für sich. Den Erfolg bei der Acta-Demo erklärt sich Jungnickel so: "Ganz entscheidend war, dass wir ein Bündnis gebildet haben, überparteilich. Dass man es nicht einer Partei überlässt, auch nicht den Piraten. Die Leute, die dagegen protestieren wollen, sind ja eher parteiverdrossen, die wollen einfach sagen: So geht es nicht!"

Es gibt aber auch weniger schöne Beispiele. Über Facebook hatten sich im Dezember 2011 mehrere tausend Partyfreunde zu einem Massenbesäufnis in der Münchner S-Bahn verabredet - einen Abend bevor das Trinken von Alkohol in öffentlichen Verkehrsmitteln verboten wurde. Das Party-Event, das sich "MVV-Abschiedstrinken" nannte, eskalierte gewaltig. Die Bilanz waren jede Menge demolierte Züge, herausgerissene Deckenverkleidungen, kaputte Lichter. Die Polizei wurde vom Ansturm der 1000 Feierwilligen überrumpelt.

Aus Angst vor weiteren Eskalationen verboten die Ordnungshüter kurz darauf den Spaß-Flashmob "Stehen - Damit es weitergeht", ebenfalls eine über Facebook organisierte Aktion. Als sich die 400 Teilnehmer trotzdem trafen, kam es sogar zu Festnahmen.

Doch egal welches Ziel die Facebook-Aktionen auch verfolgen, ob sie ernsthafte Absichten hegen oder nur aus Jux und Tollerei einberufen werden - die Mobilisierung von Gleichgesinnten über das Internet entwickelt sich auch in München. Ob digital organisierte Zusammenkünfte allerdings per se ein Zeichen für mehr gelebte Demokratie sind, darf derzeit noch bezweifelt werden.

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