Protest:Licht aus für die Freiheit

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Jan Böhmermann stimmt ein Lied im Dunkeln an - und setzt sich damit in den Kammerspielen für Deniz Yücel ein

Von Christiane Lutz, München

Am Ende geht das Licht aus. Stockfinster ist es in den Kammerspielen, die Kameras filmen ins Schwarze. Genau so hat Jan Böhmermann das gefordert. Er lacht ins Dunkel hinein und stimmt dann die erste Strophe von "Die Gedanken sind frei" an. Der Saal singt zaghaft mit. Niemand soll eine Aufnahme dieses Liedes machen, damit nichts ablenkt von der Botschaft des Abends: Free Deniz!

Es ist der "Wir wollen das Meer sehen"- Abend am Mittwoch in den Münchner Kammerspielen, eine Lesung als Solidaritätsbekundung mit Deniz Yücel. Der Journalist der Welt (vorher Taz) ist seit etwas mehr als 100 Tagen in Haft in Istanbul. Vorwurf von Präsident Erdoğan: Yücel sei "Terrorist" und "Agent". Wann er einen Prozess bekommt und wie dieser ablaufen wird, ist auch nach 100 Tagen Haft völlig unklar.

Diesen Zustand beklagt eine Gruppe von Künstlern, Journalisten und Autoren, die zu der Solidaritätslesung geladen haben. Allen voran die Journalistin Doris Akrap und Autor İmran Ayata, die die Lesung vor beinahe ausverkauftem Hause eröffnen. Man sei hier, um Deniz zu zeigen, dass er nicht allein sei, sagt Akrap. Über seine Anwälte, die ihn regelmäßig sprechen dürfen, erfahre Yücel von den Autocorsos, die Menschen für ihn fahren, und von den vollen Theatersälen, in denen seine Texte vorgetragen werden. Ähnliche Solidaritätslesungen wie in München gab es bereits in Berlin und in Frankfurt.

In den Kammerspielen liest Zeit-Journalistin Özlem Topçu einen Text von Yücel aus seinem Buch "Taksim ist überall. Die Gezi-Bewegung und die Zukunft der Türkei". Ex- Titanic-Chefredakteur Leo Fischer ist dabei, Autorin Helene Hegemann, SZ-Journalistin Johanna Adorján. In den ausgewählten Texten arbeitet sich Yücel vor allem an Themen wie der Türkei, dem Deutschsein, Thilo Sarrazin und der deutschen Fußballnationalmannschaft ab. Komischer Höhepunkt eines Abends mit solch traurigem Anlass: Der Text "Schämt euch, ihr Gurken!", den er nach dem Ausscheiden der Nationalmannschaft bei der WM in Südafrika 2010 rausgehauen hat.

Die Journalistin Doris Akrap liest dann einen offenen Brief an Kanzlerin Angela Merkel vor, der am Mittwoch in der Taz erscheint. Darin fordert sie konkrete wirtschaftliche Konsequenzen: "Können Sie nicht einfach mal klar sagen: Es wird so lange kein Geld fließen, bis Yücel frei ist?" Man dürfe nicht so lange warten, bis sich Präsident Erdoğan neue Märkte erschlossen und neue Partner gewonnen habe. Das Publikum applaudiert kräftig, hier sind sowieso alle der Meinung, dass Yücel auf Recherche gehört und nicht in türkische Einzelhaft. Wie auch die anderen zahllosen Journalisten, die in der Türkei derzeit im Gefängnis sitzen und für die der Abend auch gedacht ist.

Moderator Jan Böhmermann, selbst nicht gerade durch beste Beziehungen zum türkischen Präsidenten bekannt, liest an drei Stellen des Abends Briefe, die Deniz Yücel aus der Haft geschrieben hat. Lakonische Zeilen sind das, Texte voll genauer Beschreibungen und von großer Hoffnung. Bei seinem Auftritt in Frankfurt hatte Böhmermann spontan, so beteuert er, "Die Gedanken sind frei" angestimmt. Tags darauf war das Video überall zu sehen, man sprach wieder mal über ihn, nicht über Deniz Yücel. Einerseits, so Jan Böhmermann, wolle er nicht, dass das wieder passiere. Andererseits: Das Lied steht ja für genau das, um was es im Fall Yücel geht. Um die Freiheit der Gedanken. Das Recht auf Meinungsäußerung. Also bleibt nur: Licht aus! Der Lichttechniker der Kammerspiele lässt sich nicht lang bitten.

© SZ vom 26.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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