Protest:Kein Platz für Spießer

Protest: Betongold statt Subkultur? Das will Norbert Bürger nicht hinnehmen. Er kämpft für den Erhalt seiner Freisinger Kultkneipe "Abseits".

Betongold statt Subkultur? Das will Norbert Bürger nicht hinnehmen. Er kämpft für den Erhalt seiner Freisinger Kultkneipe "Abseits".

(Foto: Marco Einfeldt)

Bürgerintiative statt Bühnenauftritt: Comedian Norbert Bürger will das "Abseits" retten

Von Birgit Goormann-Prugger, Freising

Wer Norbert Bürger einen schrägen Vogel nennt, dem nimmt er das nicht übel. "Eigentlich ist das ja ein Kompliment", sagt er. Der Freisinger ist Mitglied des Ensembles der Münchner Lach- und Schießgesellschaft, studierter Berufsmusiker, Komponist und Comedian. Mit seinem Kabarett-Solo "Bürger from the Hell: I am a Rocker" gibt er am Montag, 14. März, von 20 Uhr an die München-Premiere in der Lach- und Schießgesellschaft. Bürgers Rocker ist ein verklemmter Spießer mit einer unfassbar schlecht sitzenden Lederhose, der gerne den wilden Mann markiert. Nur so ein bisschen, um seinen inneren Zwängen zu entfliehen. "Der Bürger from the Hell, der ist schon ein bisschen schizo", sagt Norbert Bürger. Sein Tourplan ist gefüllt bis zum Jahresende, und eigentlich hat Bürger gar nicht mehr viel Zeit für andere Dinge. Doch er muss genau jetzt in Freising eine Kneipe retten, das "Abseits", und er braucht dafür zwei Millionen Euro. Zeit hat er bis Juli, nicht länger. Das könnte knapp werden.

Das Abseits, ein marodes Gemäuer aus dem 18. Jahrhundert, ist eigentlich eine Spelunke, ein bisschen schmuddelig, dunkel, feucht, die Wände schwarz vom Kerzenrauch und den Nikotinschwaden aus den vergangenen Jahrhunderten. Die Elektrik im Haus hätte wohl noch nicht einmal die Brandschutzauflagen aus dem 18. Jahrhundert erfüllt. Und die sanitären Anlagen machen den Eindruck, als stammten sie aus dieser Zeit.

Egal. In Freising war das Abseits mit seiner Kleinkunstbühne Kult, ein Schmelztiegel der Subkultur, Treffpunkt für Nachtschwärmer, kein Platz für Spießer. Hier wollte man Spaß haben, möglichst laut Musik hören, gerne was Punkiges, Kabarett und Kleinkunst erleben und die Welt retten, zumindest in Theken-Gesprächen - und nur nicht an den nächsten Morgen denken. Norbert Bürger ist einer der vielen, für die das Abseits in den vergangenen 20 Jahren quasi sein Wohnzimmer war. Er wollte es nicht hinnehmen, dass am 31. Dezember 2015 die letzte große Party in der Kultkneipe stattgefunden hat, weil der Besitzer das Haus abreißen und stattdessen dort Wohnungen errichtet will. Bürger ist darum jetzt Vorsitzender des Abseits-Vereins, der sich zur Rettung der Kneipe gegründet hat.

Der 48-Jährige, der sonst als "Bürger from the Hell" vertrottelt über die Bühne stolpert und sein Publikum zum Johlen bringt, wenn er sich umständlich in den Kabeln verheddert, muss sich jetzt um Sanierungs- und Finanzierungskonzepte kümmern, Spenden sammeln, Fördermitglieder werben, Merchandising organisieren, Juristen beauftragen. Er will den "Spirit" der Kultkneipe erhalten, auch wenn sie mal saniert ist und nicht mehr dunkel, feucht und ein bisschen schmuddelig.

Was die Sache so prickelnd macht, ist die Tatsache, dass sich Bürger und seine 30 Mitstreiter im Verein für die Rettung des Abseits jetzt mit Dingen befassen müssen, die sie vorher nicht die Bohne interessiert haben - und mit dem Establishment. Besitzer der Immobilie ist Graf Guy von Moy. Nachdem der Pachtvertrag für das Abseits auslief und eine Sanierung unwirtschaftlich erschien, wollte er die Kneipe abreißen und Wohnungen bauen. Betongold statt Subkultur, Rendite statt Revolution, das passte nicht zusammen, der Widerstand der Abseits-Gänger formierte sich.

Der Wirt bot an, das Gebäude zu kaufen, das Geld könne ihm sein Vater vorstrecken, er biete eine Million Euro. Moy zierte sich, die Kneipengänger wurden nervös, der Ton wurde rauer, "dem Grafen geht es doch nur um die Kohle", hieß es. Schließlich demonstrierten die Kneipenfreunde vor Schloss Steppberg, der Residenz von Moy, für den Erhalt ihres Wohnzimmers. Das hätte der gerade noch hingenommen. Aber dann eskalierte die Sache.

Graffitikünstler hatten die Fassade des Abseits in einer Nacht-und-Nebel-Aktion mit einer überlebensgroßen Figur des Dagobert Duck verziert, gerade auf dem Sprung in sein mit Goldmünzen gefülltes Schwimmbassin. Die Gesichtszüge der Figur waren eindeutig als die des Grafen von Moy zu erkennen. Viele fanden das lustig, der Graf nicht: Er erklärte die Verhandlungen für beendet.

Norbert Bürger wusste damals nichts von der Aktion. "Ich habe das gesehen und habe gleich gewusst, das geht in die Hose." Mittlerweile wurde das Fassadenkunstwerk wieder übermalt, auf Vermittlung zweier Lokalpolitikerinnen von den Grünen kamen die Parteien auch wieder am Verhandlungstisch zusammen und Moy zeigte sich kompromissbereit. Sechs Monate räumte Moy den Freunden der Kulturstätte ein, um einen Verein oder eine Genossenschaft zu gründen und ihm ein handelsübliches Angebot für den Kauf von Kneipe und Grundstück zu unterbreiten. Sechs Monate, drei sind schon fast vorbei.

Für Mitgliederwerbung und für das Crowdfunding machen Bürger und sein Verein erst einmal das, was sie am besten können: feiern. Alle zwei Wochen finden im Freisinger Lindenkeller Abseits-Partys statt, mit den DJs aus der alten Kneipe und mit ihrer Musik. Sogar den alten Kickertisch haben sie dort hingewuchtet. Ein Benefizkonzert ist geplant, ein Abseits-Chor singt sich die Seele aus dem Leib und auf der Website www.abseits.org findet man alles über Fördermöglichkeiten. Auf der Seite gibt es seit Neuestem auch eine Prominenten-Ecke. Münchner Größen wie Ottfried Fischer, Lisa Fitz, Ecco die Lorenzo oder Michael Altinger erklären dort, warum die Kneipenkultur nicht sterben darf und vor allem nicht das Freisinger Abseits, diese Spelunke mit dem Spirit.

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