Prostitutionsschutzgesetz:"Das Gesetz geht an der Realität der Sexarbeiterinnen vorbei"

Prostituierte am Straßenstrich in der Hansastraße in München, 2012

Prostituierte müssen sich künftig bei der Stadt anmelden, bevor sie ihrem Gewerbe nachgehen.

(Foto: Florian Peljak)

Prostituierte müssen sich von 1. Juli an bei der Stadt München anmelden - zu ihrer eigenen Sicherheit, sagt die Politik. Doch der "Hurenpass" stößt auf heftige Kritik.

Von Anna Hoben

Freitagabend, halb elf: Es ist noch nicht lange dunkel, und auf der Hansastraße fängt der Arbeitstag an. Auf dem Bürgersteig preist ein stummer Verkäufer die Schlagzeilen des nächsten Tages an, zwei Meter neben dem Zeitungskasten vorne an der Fahrbahn preisen stumme Verkäuferinnen ihre Körper an. Etwa zehn Frauen sind es, blonde und brünette, kleine und große, dünne und dralle.

Sie gehen auf und ab, klack-klack-klack machen ihre Schuhe, manchmal rufen sie einander etwas zu, ungarische Satzfetzen fliegen über die Straße. Immer wieder schleicht ein Auto im Schneckentempo vorbei. Nur selten sucht sich ein Fahrer einen Parkplatz und steigt aus. Es sind keine guten Zeiten für die Frauen auf dem Straßenstrich in der Hansastraße.

"Katastrophe", schimpft Nadia und zieht an ihrer Zigarette, die ganze Woche habe sie nur einen Kunden gehabt. "Alle nur gucken und fragen", reingehen will keiner. Reingehen, das heißt ins Stundenhotel ein paar Meter weiter, direkt neben der Western-Bar, da, wo früher das Bordell Pussycats war. Die Frauen auf der Hansastraße mieten sich ins Stundenhotel ein, 120 Euro bezahlen sie pro Tag dafür; wie sie Gewinn machen, ist ihre Sache.

Nadia ist 30 Jahre alt und vor drei Jahren nach München gekommen. Ihr Deutsch ist nicht perfekt, aber recht gut. Sie ist die einzige Rumänin auf der Hansastraße, die sich ansonsten fest in ungarischer Hand befindet. Sie ist auch die einzige Frau hier, die Jeans, flache Schuhe und einen kleinen Rucksack auf dem Rücken trägt statt Highheels, Netzstrumpfhosen und Handtasche.

Bianka wartet nebenan auf Kunden. 25 Jahre alt, blonder Pferdeschwanz, Highheels, Netzstrumpfhosen, die Augen dunkel und divenhaft geschminkt, unsicheres Lächeln. Sie erzählt, dass sie erst seit vier Wochen hier stehe. Ein Mann kommt auf die beiden zu, um die 40, Glatze, Turnschuhe. Er mustert Bianka, grinst und geht weiter. In dem Moment fährt ein Rettungswagen vorbei, aber das, was es auf der Hansastraße nach Meinung der Frauen zu retten gäbe, das Geschäft, das kann er nicht retten.

Ob sie von dem neuen Gesetz gehört haben? Verwirrte Blicke. Gesetz? Ja, von Juli an müssen sich Sexarbeiterinnen bei der Stadt anmelden. Nadia und Bianka, die ihre richtigen Vornamen lieber nicht nennen wollen, schütteln die Köpfe. Nichts gehört. Und dann kommt doch noch der Typ mit den Turnschuhen zurück. "Gehen wir", sagt er, und Bianka stakst neben ihrem Freier zum Eingang des Stundenhotels. Ihr Gang in den Highheels erinnert mehr an einen Bauarbeiter als an eine Diva.

Ungefähr 2000 Prostituierte gibt es in München, nur wenige von ihnen arbeiten wie Nadia und Bianka auf dem Straßenstrich, die meisten schaffen in Bordellen an, in sogenannten Laufhäusern oder Terminhäusern. Egal wo ihr Arbeitsplatz ist - vom neuen Prostituiertenschutzgesetz werden sie alle betroffen sein. Es tritt bundesweit am 1. Juli in Kraft; für die Umsetzung sind in Bayern vor allem die Kreisverwaltungsbehörden zuständig.

Prostitution

Die Förderung sexueller Dienstleistungen steht seit dem Prostitutionsgesetz von 2002 nicht mehr unter Strafe, sofern kein Zwang auf die Sexarbeiterinnen ausgeübt wird. Vorher wurde Sexarbeit in Deutschland zwar geduldet, war aber sittenwidrig. Prostitution ist in München nur außerhalb des Sperrbezirks erlaubt. In der Stadt sind etwa 2000 Sexarbeiterinnen aktiv, während Großveranstaltungen wie dem Oktoberfest können es fast doppelt so viele sein. Es gibt neun Anbahnungszonen ("Straßenstrich"), die meisten sind auf die Zeit zwischen 20 beziehungsweise 22 Uhr abends und 6 Uhr morgens beschränkt. Die Arbeit dort macht nur einen sehr kleinen Teil des Geschäfts aus. In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der legalen Bordellbetriebe um 25 Prozent auf 190 gestiegen. Neun von zehn Sexarbeiterinnen sind nicht-deutscher Herkunft, viele stammen aus Osteuropa. Darüber hinaus soll es eine Dunkelziffer von Frauen geben, die ihre Dienste im Sperrbezirk illegal anbieten, etwa im Bahnhofsviertel. hob

Das Gesetz, von Frauen- und Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) auf den Weg gebracht und vergangenen Oktober im Bundestag verabschiedet, soll Sexarbeiterinnen vor Zwangsprostitution und Menschenhandel, ausbeuterischen und menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen schützen. Es sieht eine Anmeldepflicht, verpflichtende gesundheitliche Beratungsgespräche und eine Kondompflicht vor. Letztere gab es in Bayern bereits. Künftig riskieren Freier, die auf ungeschütztem Sex bestehen, überall in Deutschland ein Bußgeld von bis zu 50 000 Euro.

Verschiedene Organisationen hatten das Gesetz im Vorfeld heftig kritisiert. Der Deutsche Juristinnenbund bemängelte die im Gesetz vorgenommene Vermischung von Menschenhandel und Zwangsprostitution einerseits und freiwilliger Prostitution andererseits. Berufsverbände von Sexarbeiterinnen klagten, die Neuregelung gebe nur vor, die Frauen zu schützen, untergrabe in Wirklichkeit aber gleich mehrere ihrer Grundrechte, während es den Behörden umfangreiche Kontrollmöglichkeiten einräume.

Pflichten kämen nur auf die Sexarbeiterinnen zu und nicht auf deren Kunden, abgesehen von der Kondompflicht. Die Anmeldebescheinigung, welche die Prostituierten künftig bei sich tragen müssen, wird in der Szene sarkastisch als "Hurenpass" bezeichnet. Vergangene Woche haben Prostituierte, Bordellbetreiber und Freier in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz eingereicht.

"Das Gesetz geht an der Lebens- und Arbeitsrealität der Sexarbeiterinnen vorbei"

Für Kontrollen im Rotlichtmilieu war in München bisher das Kommissariat 35 der Kriminalpolizei zuständig, in der Szene nur die "Sitte" genannt. Dort konnten sich Sexarbeiterinnen auch bisher schon anmelden - freiwillig. "Mehr als 90 Prozent haben das wahrgenommen", sagt Polizeisprecher Werner Kraus. Künftig werden die Frauen beim Kreisverwaltungsreferat (KVR) erfasst. Natürlich werde die Polizei nach wie vor Kontrollen im Rotlichtmilieu durchführen und präsent sein, sagt Kraus. Wenn sich bei den Beratungen im KVR herausstelle, dass sich eine Frau in einer Zwangslage befinde, werde die Behörde mit der Polizei in Kontakt treten.

Dass solche Zwangslagen in den Pflichtberatungen offenbar werden - Michaela Fröhlich hat da ihre Zweifel. Die Sozialpädagogin leitet die Einrichtung Mimikry, eine Beratungsstelle des Evangelischen Hilfswerks für Sexarbeiterinnen in München, die seit mehr als 25 Jahren existiert. Die Arbeit des vierköpfigen Teams basiert auf mühsam und über lange Zeit aufgebautem Vertrauen. Michaela Fröhlich kennt sich aus im Milieu, sie sagt: "Das Gesetz geht an der Lebens- und Arbeitsrealität der Sexarbeiterinnen vorbei."

Schon der Name - Prostituiertenschutzgesetz - sei irreführend. "Ich frage mich, wer hier vor wem geschützt werden soll." Sie hätte es begrüßt, wenn die Sexarbeiterinnen im Vorfeld nach ihren Wünschen gefragt worden wären. "Statt auf mehr Kontrolle zu setzen, sollte man eher den Ausbau freiwilliger, auf Vertrauen basierender Beratungsangebote fördern."

Aufgrund der gesellschaftlichen Stigmatisierung von Sexarbeit könnte das Gesetz im schlimmsten Fall sogar eine fatale Wirkung entfalten, befürchtet die Sozialpädagogin. "Die Pflichtberatung birgt die Gefahr eines Zwangsoutings und könnte zu einem Abtauchen der Frauen in die Illegalität führen." In solchen Fällen drohten Menschenrechtsverletzungen. "Und die Frauen wären für jegliche Art von Beratungsangebot nicht mehr greifbar."

Auch bei den Feinheiten in der Umsetzung sieht sie noch viele Fragezeichen, etwa was den Datenschutz betrifft. Bei Mimikry häufen sich seit Wochen die Anfragen besorgter Frauen, und das werde in den nächsten Monaten auch so bleiben. "Wir sind mit unseren knappen personellen Ressourcen an der Grenze des Machbaren." 96 Prozent der Klientel sind Migrantinnen, zumeist Osteuropäerinnen. Anders als die beiden Frauen von der Hansastraße hätten die meisten von dem Gesetz gehört, seien aber massiv verunsichert, weil sie "aufgrund der Komplexität des Gesetzes und der damit einhergehenden Bürokratie" nicht wüssten, was auf sie zukommt.

Dass sich die Nachricht von dem neuen Gesetz "wie ein Lauffeuer" unter den Frauen verbreitet habe, hat auch der Geschäftsführer eines großen Münchner Bordells erlebt, der nicht will, dass sein Name oder der seines Laufhauses in der Zeitung stehen. Die "Sitte" habe zwar kürzlich Infomaterial verteilt, doch was genau geschehen werde, "das weiß keiner". Dass auf sein Bordell große Veränderungen zukommen, glaubt er nicht.

"Wir in Bayern machen das zu 90 Prozent eh schon, wie es das Gesetz vorsieht." Auch bei der Ausstattung sei sein Haus auf dem neuesten Stand. Auf die Sexarbeiterinnen in der Wohnungsnot-Hauptstadt München wird indes noch ein ganz anderes Problem zukommen. Bisher konnten sie in vielen Häusern ihre Arbeitsräume tagsüber zum Schlafen nutzen. Künftig soll das verboten sein.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: