Projekt für Studenten und Flüchtlinge:Eine neue Art von WG

Baustelle Kistlerhofstraße 144 (Wohnprojekt für Studenten und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge)

Noch ist das Gebäude in der Kistlerhofstraße eine Baustelle. Aber in einigen Wochen sollen hier insgesamt 110 junge Menschen einziehen.

(Foto: Florian Peljak)
  • Ab dem Sommer wohnen in Obersendling 66 junge unbegleitete Flüchtlinge und 44 Münchner Studenten unter einem Dach.
  • Das Projekt der Hilfsorganisation Condrobs will die Lebenswelt von Flüchtlingen und Studenten näher zusammenbringen.
  • Alle jungen Leute profitieren von dem Projekt: Den Flüchtlingen wird das Ankommen erleichtert, die Studenten zahlen weniger Miete, wenn sie Flüchtlinge zu Behörden begleiten oder Deutschunterricht geben.

Von Ruth Eisenreich

Die einen haben sich mit 15 Jahren ohne ihre Eltern zu Fuß, in Lastwagen versteckt oder auf überfüllten Booten von Syrien oder Afghanistan aus nach Deutschland durchgeschlagen. Die größte Sorge der anderen war im selben Alter die anstehende Mathe-Prüfung. In einem ehemaligen Bürogebäude in Obersendling sollen bald die Lebenswirklichkeiten von jungen unbegleiteten Flüchtlingen und deutschen Studenten aufeinanderprallen. Die Hilfsorganisation Condrobs will sie im "Integrationsprojekt Kistlerhofstraße" zusammenbringen.

Die eigenen Probleme relativieren

Noch steht ein Dixi-Klo vor dem großen Eckhaus, noch hängen drinnen Kabel von der Decke, noch wuchten Arbeiter Stahlrohre und Pressspanplatten ins Gebäude. Aber ab dem Sommer sollen hier 110 junge Menschen einziehen: 44 Studenten und 66 Flüchtlinge, die ohne Familie nach Deutschland gekommen sind. "Wir wollen erreichen, dass Menschen aus unterschiedlichen Kulturen sich verständigen und voneinander lernen", sagt Frederik Kronthaler, Geschäftsführer des Bereichs "Angebote für Jugendliche und junge Erwachsene" bei Condrobs. Die Flüchtlinge sollen sich dadurch schneller in Deutschland integrieren, das Zusammenleben könne allen Beteiligten außerdem helfen, ihre eigenen Probleme in Relation zu setzen.

Kann diese Kombination funktionieren? Das Projekt sei in dieser Form bisher einzigartig in Deutschland, sagt Kronthaler. Ähnliche Einrichtungen gibt es aber anderswo bereits, Condrobs hat sich von ihnen inspirieren lassen. Im "Mittendrin" in Wien etwa leben seit 2013 Studenten und ehemals Obdachlose zusammen und arbeiten gemeinsam im gleichnamigen Restaurant. Ebenfalls in Wien hat die Caritas vor Kurzem "Magdas Hotel" eröffnet, in dem junge Flüchtlinge arbeiten und ausgebildet werden. Und das "Grandhotel Cosmopolis" in Augsburg ist Hotel, Café, Ateliergebäude und Asylbewerberheim in einem, Flüchtlinge und Urlauber heißen hier "Hotelgäste mit Asyl" und "Hotelgäste ohne Asyl".

Ein paar Bier trinken mit den neuen Mitbewohnern

Michael Walter war einer der ersten Studenten, die sich für einen Platz in der Kistlerhofstraße beworben haben. Er habe in der Zeitung von dem Projekt gelesen und gleich eine Mail an Condrobs geschrieben, sagt der 22-Jährige. Er studiert Lehramt Mathematik und evangelische Religion an der Ludwig-Maximilians-Universität, wohnt derzeit noch bei seinem Vater in Gauting und sucht schon seit Monaten nach einem bezahlbaren Zimmer in München.

Bei einem Work-and-Travel-Aufenthalt in Australien nach dem Abitur hat Walter gelernt, wie wichtig die Bekanntschaft mit Einheimischen ist, um in einem Land anzukommen. Er habe dort unter anderem als Küchenhilfe in einem Restaurant in Melbourne gearbeitet, erzählt er, die Kellner dort seien alle in seinem Alter gewesen: "Es ist sehr schnell gegangen, dass wir abends zusammen unterwegs waren oder im Restaurant noch ein paar Bier getrunken haben."

Auch wenn das nicht mit der Situation der Asylbewerber vergleichbar sei, hofft er, den Flüchtlingen in der Kistlerhofstraße etwas Ähnliches bieten zu können: Hilfe dabei, "schneller und direkter ins Leben in Deutschland reinzukommen". Umgekehrt will er durch die Flüchtlinge eine andere Lebensart kennenlernen und mehr über die Welt erfahren, aus der sie kommen: "Man liest darüber, schaut Nachrichten, macht sich ein Bild - aber es ist schon etwas anderes, wenn man es aus erster Hand erzählt bekommt."

Kochen, Kosten, Kennenlernen

So richtig zusammenwohnen werden die Studierenden und die Flüchtlinge in der Kistlerhofstraße nicht: "Die Heimaufsicht, die Regierung von Oberbayern, schreibt vor, dass das Flüchtlingsheim klar abgetrennt wird", sagt Frederik Kronthaler von Condrobs. Jedes Stockwerk wird in der Mitte geteilt, die Raumaufteilung ist auf der Baustelle schon erkennbar. Pro Etage wird es auf der einen Seite zwei Flüchtlingswohngruppen mit elf bis 16 Quadratmeter großen Einzelzimmern, Gemeinschaftsküche, Esszimmer, Waschraum und einem Raum für das Betreuungsteam geben. Auf der anderen Seite elf Studentenwohnungen, 16 bis 29 Quadratmeter groß, mit jeweils eigenem Bad und einem Gemeinschaftsraum. Etwa 400 000 Euro wird die Erstausstattung laut Kronthaler kosten, größte Brocken sind die Küchenausstattung und die elektronische Schließanlage. Die ganze Summe hat er bisher nicht zusammen, er sucht noch Spender.

Damit die beiden Bewohnergruppen trotzdem miteinander und nicht nur nebeneinander leben, soll es unter anderem einmal pro Woche einen gemeinsamen Kochabend geben. In einem Bistro im Erdgeschoss wird untertags das Projekt Viva Clara, das langzeitarbeitslose Frauen auf den Arbeitsmarkt vorbereitet, Essen für Mitarbeiter der Firmen in der Umgebung anbieten; abends soll sich der Raum in eine Teestube für die Hausbewohner verwandeln, den Betrieb sollen dann jeweils ein Student und ein Flüchtling zusammen organisieren. Ein von den Bewohnern gewähltes "Parlament" soll sich jede Woche unter Anleitung von Sozialpädagogen treffen, um Probleme und die gemeinsame Freizeitplanung zu besprechen.

Wenn ein Behördengang die Miete mindert

Die Studenten sollen für die 16- bis 20-jährigen Jugendlichen die Rolle von Mentoren oder großen Geschwistern übernehmen, sagt Kronthaler. Sie können ihre Miete, regulär 490 Euro, verringern, indem sie an der 24-Stunden-Rezeption arbeiten, die Flüchtlinge bei Behördengängen begleiten, ihnen Deutsch-Nachhilfe geben oder Freizeitaktivitäten organisieren. Bei letzterem will sich auch Michael Walter einbringen. Er hat, wie er sagt, noch keine Erfahrungen mit Flüchtlingsarbeit, mit Jugendlichen dafür umso mehr. Seit Jahren gebe er ehrenamtlich Volleyballtrainings für Jugendliche, jeden Sommer arbeite er als Betreuer für ein Zeltlager. Seine Erfahrungen und Kontakte im Sportverein sollen auch den jungen Flüchtlingen zugutekommen: "Es gibt da bestimmt die Möglichkeit, etwas für die Freizeit zu organisieren."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: