Innenstadt:Warum München mehr Fußgängerzonen braucht

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Dieser Bereich der Sendlinger Straße ist bereits für den Autoverkehr gesperrt worden. Über den Rest wird noch gestritten. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Schlendern statt parken: Der Bereich zwischen Stachus und Marienplatz ist die Mutter aller Flaniermeilen. Davon würde auch die Sendlinger Straße profitieren.

Kommentar von Alfred Dürr

Erinnert sich noch jemand? Kann man sich überhaupt vorstellen, wie es war, als es im Zentrum der Stadt noch keine Fußgängerzone gab? Einer hat die Situation akribisch, wie es nun mal seine Art ist, beschrieben: 75 000 Autos und 1400 Straßenbahn-Züge querten einst täglich diesen Bereich. Die 500 000 Menschen in diesen Fahrzeugen hätten die Häuser und Plätze "nur aus der verzerrten Perspektive dessen, der mehr oder weniger verkrümmt 80 Zentimeter über dem Erdboden dahingleitet oder in einem Blechgehäuse mit Dutzenden von Leidensgefährten zusammengepfercht ist" wahrgenommen. Die Fußgänger drängten sich auf schmalen Bürgersteigen inmitten einer dichten Abgaswolke.

Das ist Lebensqualität

Alt-OB Hans-Jochen Vogel berichtet aus einer Zeit, die 45 Jahre zurückliegt. Die bevorstehenden Olympischen Spiele von 1972 beschleunigten die Stadtentwicklung enorm. Und dazu gehörte eben auch die Schaffung der Fußgängerzone zwischen Stachus und Marienplatz - die Mutter aller Flaniermeilen in der Stadt. Bis heute ist sie ein Erfolgsmodell, Touristen und Einheimische mögen sie gleichermaßen. Eine gute Entscheidung also. Um an Vogels Beschreibung anzuknüpfen: Die Menschen können die City aufrecht gehend erleben, sie schlendern unbelästigt vom Verkehr an den Geschäften entlang, und sie rasten in einem der vielen Gasthäuser auf der Route. Das ist Lebensqualität.

Innenstadt
:Warum München genug Fußgängerzonen hat

Kommerz-Einerlei statt Vielfalt: Es wäre kein Gewinn, die Sendlinger Straße komplett für Autos zu sperren, sondern ihr Ruin.

Kommentar von Gerhard Matzig

Man kann die Nase rümpfen, keine Frage: Fußgängerzonen sind auch vom Umsatz- und Renditedenken geprägt, von einer Vereinheitlichung des Warenangebots, vom Luxus bis zum Ramsch. In allen Städten sieht für die Kritiker diese City-Welt inzwischen uniform aus; überall die gleichen Kettenläden und die auf Schnelligkeit getrimmte Gastronomiekultur.

In München stellt sich die Situation etwas anders dar. Natürlich geht es auch hier um Geschäft und Konsum. Aber die autofreien Bereiche sind eingebettet in das denkmalgeschützte Erscheinungsbild der Altstadt. Nach den Zerstörungen im Krieg gründet sich die anhaltende Neubautätigkeit auf die traditionellen städtebaulichen Strukturen. Die Altstadt ist mit ihren Stadttoren und der Residenz als Eckpunkten ein klar umgrenzter Ort - das macht ihn mit seinen Gassen, Durchgängen und Plätzen unverwechselbar.

Prächtige Fassaden, mächtige Türme

Kaufinger- und Neuhauser Straße sind nicht nur gesäumt von einer streng funktionalen und manchmal auch langweiligen Stahl-Glas-Architektur. Die prächtig renovierte Jesuitenkirche St. Michael steht am Wegesrand, aber auch die Fassaden der Alten Akademie oder des Oberpollinger und, nicht zu vergessen, die mächtigen Türme der Frauenkirche prägen die Silhouette. In der Sendlinger Straße setzt die Asamkirche ein eindrucksvolles Zeichen.

Die Mischung macht die Qualität aus: Neben den Filialen internationaler Großunternehmen befinden sich alteingesessene Traditionshäuser wie Hirmer, Beck oder in der Sendlinger Straße der Juwelier Fridrich. Aber wahr ist auch, dass wegen der hohen Kaufkraft der Stadt- und Umlandbürger die Innenstadt zu einem heftig umkämpften Raum geworden ist. Hausbesitzer sind auf der Suche nach dem zahlungskräftigsten Mieter. Auf der anderen Seite finden Großkonzerne angesichts der hohen Nachfrage schwer Räume für Filialen im Herzen der Stadt.

Das Experiment muss gewagt werden

Dieses Problem ist vorhanden, unabhängig davon, ob weitere Fußgängerzonen eingerichtet werden oder nicht. Wobei die kleinteilige Struktur der Häuser in der Sendlinger Straße kaum erwarten lässt, dass nur noch wenige Großflächen-Kaufhäuser die Szene beherrschen werden.

Bei allem Verständnis dafür, dass sich Anwohner wegen der Veränderungen in ihrer unmittelbaren Umgebung Sorgen machen: Das Experiment Sendlinger Straße muss gewagt werden. Oder sollen sich die Fußgänger wirklich weiterhin auf engen Bürgersteigen an geparkten Autos vorbeidrücken beziehungsweise dem durchrauschenden Verkehr ausweichen müssen? Das klingt wie aus vergangenen Zeiten. Wer seine Stadt genießen will, dem wird die neue Fußgängerzone gut tun - das gilt nicht zuletzt auch für die Anwohner.

© SZ vom 09.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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