Premiere:Gegen ein tödliches Ritual

Die Schauspielerin Sibel Kekilli hat bei der Premiere des Kurzfilms "Tradition" mutige Worte gegen so genannte Ehrenmorde gesprochen.

Birgit Lutz-Temsch

Sibel Kekilli ist aufgeregt, ihre Stimme zittert, und dann kippt auch noch ein Glas Wasser über ihre vorbereitete Rede. Dabei ist diese Rede das einzige, was sie sagen wird an diesem Abend. Denn der Kurzfilm "Tradition" von Peter Ladkani und Wolf-Dieter Moelter, der im Filmtheater am Sendlinger Tor erstmals dem Team und der Presse präsentiert wird, handelt von einem so genannten Ehrenmord. Ein ernstes Thema, ein wichtiges Thema. Bei dem Kekilli nicht falsch zitiert werden will, denn sie weiß, welche fatale Wirkung Presse haben kann. Trotzdem engagiert sie sich bei der Frauenrechtsorganisation Terre des femmes im Kampf gegen diese Morde an jungen Frauen, die einfach nur ein eigenes Leben führen wollen.

Die Luft steht in dem überfüllten Kinosaal, es herrscht eine drückende Hitze. Doch das merkt erst einmal niemand mehr, als der Film beginnt, der in Gegenschnitten eine Familie und eine junge Frau mit ihrem Freund zeigt, untermalt mit schneller orientalischer Musik. Die Familie feiert ein Fest, in dessen Mittelpunkt ein Junge steht, er bekommt ein Geschenk, Männer schütteln ihm die Hand. Die Frau ist besorgt, ihr Freund heitert sie auf. Dann steigt sie in ihr Auto, gutgelaunt, sie will ihren kleinen Bruder abholen. An der Bushaltestelle packt ihr Bruder das Geschenk aus. Es ist eine Pistole. Und er schießt.

Der Schuss ist - neben der Musik - das einzige Geräusch. Der Film kommt ganz ohne Sprache aus. Regisseur Peter Ladkani sagt: "Ich will keine bestimmte Nationalität angreifen, keine Religion, deshalb spricht niemand in dem Film. Denn Ehrenmorde passieren überall, in Europa, in Asien, mitten in Deutschland."

Sibel Kekilli wird noch deutlicher: Von den durchweichten Blättern liest sie Fragen ab: Warum der Islam nichts zu tun habe mit Ehrenmorden, wenn doch im Islam das Jungfernhäutchen mehr zähle als das Leben einer Frau, und wenn sich doch die Mörder so sicher seien, nicht von Allah bestraft zu werden für ihre Tat.

Kein Mucks regt sich unter den mehr als 500 Gästen während der atemlosen Ansprache Kekillis. "Vögeln stutzt man die Flügel, bevor sie fliegen", sagt sie, "der Frau nimmt man den Verstand weil das gefährlich für den Mann sein kann". Auf das Vergehen, einfach nur so zu sein, wie man will, stehe für viele Mädchen die Todesstrafe, "es gibt zu viele Gründe für diese Morde, und am schlimmsten ist es, dass es sogar noch Beifall dafür gibt."

Als Kekilli endet, setzt lang anhaltender Applaus ein. Dann nimmt sie gerade noch den Blumenstrauß der Terre-des-femmes-Geschäftsführerin entgegen, bevor sie auf ihren Kinosessel flüchtet als wolle sie lieber wieder unsichtbar sein.

Der Film wird im September beim Filmfestival in Montreal laufen, bei mehreren Fernsehsendern und als Vorfilm im Kino. "Im vergangenen Jahr waren diese Morde ein riesiges Thema, viele Politiker meldeten sich, man müsse etwas unternehmen", sagt Ladkani. "Und ist dann etwas passiert?" Wenn er mit seinem Film wieder einen Anstoß gebe zum Nachdenken und zum Handeln, habe er sein Ziel erreicht, sagt er. Im Publikum sitzt auch Susanne Korbmacher, Förderschullehrerin und Vorsitzende des Vereins Ghettokids im Hasenbergl. Sie hat ein paar ihrer Jungs mitgebracht, die auch öfter Sprüche über die Ehre ihrer Schwester machten. "Die haben jetzt was zu denken", sagt sie.

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