Prekäre Beschäftigung:Musikhochschulen: Lehrbeauftragte wollen streiken

München:  Bauten des Nationalsozialismus

Die Dozenten wollen von der Musikhochschule vors Maximilianeum ziehen - nicht mit Trillerpfeifen, sondern mit ihren Instrumenten.

(Foto: Johannes Simon)
  • Die Existenzen vieler Lehrbeauftragte an den bayerischen Musikhochschulen sind bedroht.
  • Grund ist, dass die Universitäten nun prüfen, ob Vorschriften beim Arbeitsverhältnis eingehalten werden. Das ist in diesem Bereich oft nicht der Fall.
  • Ab Mitte November wollen die Lehrbeauftragten für zwei Wochen in ganz Bayern streiken.

Von Jakob Wetzel

Die Hochschule für Musik und Theater München ist ein klingender Ort: Nicht nur in den Konzertsälen und Proberäumen, auch im Keller ertönt Musik, die Studierenden nutzen jeden Platz, um zu üben. Mitte November aber könnte es vorübergehend deutlich stiller werden in dem Bau an der Arcisstraße. Denn die Lehrbeauftragten haben angekündigt, zu streiken.

Zwei Wochen lang wolle man nicht nur in München, sondern in ganz Bayern die Arbeit niederlegen, heißt es von der Bundeskonferenz der Lehrbeauftragten an Musikhochschulen (BKLM). Auch Lehrbeauftragte für Musik an den Universitäten wollen sich beteiligen. Zum Auftakt ziehen sie alle am 13. November von der Arcisstraße vor den Landtag, um zu demonstrieren - nicht mit Trillerpfeifen, sondern mit ihren Instrumenten, gleichsam als protestierendes Orchester. Dann wollen sie streiken. Denn viele Dozenten, die zum Teil seit Jahrzehnten für den Freistaat arbeiten, fürchten derzeit unmittelbar um ihre Existenz.

Der Anlass erscheint zunächst als eine reine Verwaltungsroutine: Die Hochschulen und Universitäten prüfen derzeit, ob ihre Vergabe von Lehraufträgen eigentlich den Vorschriften entspricht - und berufen sich dabei auf Vorgaben des Wissenschaftsministeriums und des Bayerischen Obersten Rechnungshofes. In anderen Fächern ist das ganz normal, bei Musik-Dozenten aber weniger harmlos, als es klingt: Denn hier wurden die Regeln oftmals eben nicht eingehalten. Hochschulen beschäftigen Lehrbeauftragte seit vielen Jahren in weit größerem Umfang, als sie es sollten. Umgekehrt unterrichten Lehrbeauftragte mehr, als sie dürften.

Die Idee war ursprünglich, dass Musiker, die anderswo bereits ein Auskommen haben, erfahrene Orchestermusiker etwa oder Experten für außergewöhnliche Musikinstrumente, neben ihrem Hauptberuf an den Hochschulen unterrichten und so die Lehre dort bereichern sollten. Ein solcher Auftrag soll nur ein Nebenjob sein, das steht ausdrücklich im Gesetz. Deshalb fordern die Vergütungsvorschriften, dass ein Lehrbeauftragter maximal neun Stunden pro Woche unterrichten darf, bei Lehramtsstudenten zwölf, und zwar nicht etwa pro Hochschule, sondern insgesamt für den Arbeitgeber Freistaat.

Die Wirklichkeit vieler der laut Ministerium etwa 900 vom Staat bestellten Musik-Lehrbeauftragten in Bayern ist freilich eine andere. Orchesterstellen sind rar, der Arbeitsmarkt ist schwierig; längst nicht alle Dozenten haben ein festes Standbein außerhalb der Hochschule. In einer Umfrage gab zuletzt mehr als die Hälfte der Befragten aus Bayern an, existenziell von den Lehraufträgen abhängig zu sein.

Die Hochschulen aber greifen dennoch auf die Musiker zurück: Sie bereichern keineswegs nur den regulären Stundenplan, sondern sind oft ein hoch qualifizierter, aber günstiger und flexibler Ersatz für Professoren. An den staatlichen Musikhochschulen in München, Nürnberg und Würzburg bestritten Lehrbeauftragte zwischen 36,2 und 50 Prozent des obligatorischen Unterrichts, erklärte das Wissenschaftsministerium Ende 2015. Sie leisteten also eine Arbeit, die eigentlich Hauptberufler übernehmen sollten. Und die Hochschulen wissen das auch, doch für mehr Professoren fehlt das Geld.

Auf dem Papier aber sind Lehraufträge noch immer Nebenjobs. Für die Dozenten, die sie zum Teil seit vielen Jahren ausüben, gibt es deshalb keinerlei soziale Absicherung: Sie haben keine dauerhaften Verträge, sondern werden jeweils von Semester zu Semester bestellt. Garantien gibt es nicht, wer krank wird, verdient nichts. Urlaub gibt es nicht, Anspruch auf eine gesetzliche Rente auch nicht. Die Lage vieler Lehrbeauftragter ist daher prekär. Viele fürchten sich vor der Altersarmut.

Die Angst vor Formularen

Erreicht haben sie in den vergangenen Jahren zumindest, dass einzelne Hochschulen höhere Honorare bezahlen. Die Unsicherheit aber ist geblieben - und eine Besserung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Jetzt geht die Angst um, in Gestalt von Formularen. Die Hochschulen erfassen, ob ihre Dozenten noch an weiteren Hochschulen tätig sind und so die zulässige Stundenzahl überschreiten. Dabei sagt ein BLKM-Sprecher, viele Kollegen bräuchten dringend mehrere Lehraufträge, um über die Runden zu kommen. In Würzburg mussten die Dozenten gar eine Erklärung unterschreiben, wirtschaftlich nicht von ihrem Lehrauftrag abhängig zu sein, andernfalls könne ihnen kein Lehrauftrag mehr erteilt werden.

Es gehe darum, "die Nebenberuflichkeit der Lehraufträge zu gewährleisten", teilt das Wissenschaftsministerium mit. Dazu seien die Hochschulen verpflichtet. Dagegen sehen die Lehrbeauftragten den Staat in der Pflicht. Zuletzt wandte sich BKLM-Sprecherin Ulrike Höfer hilfesuchend mit Briefen sowohl an den Rechnungshof als auch an Wissenschaftsminister Ludwig Spaenle (CSU). Es sei richtig, darauf zu achten, dass die Vorschriften eingehalten werden, schrieb sie. Doch dies geschehe zu spät: Der Staat habe lange toleriert und davon profitiert, dass Lehrbeauftragte über Gebühr beschäftigt wurden. Nun trügen Regierung und Hochschulen doch eine soziale Verantwortung für die Dozenten.

Der Rechnungshof antwortete mit wenig mehr als einem Hinweis auf die Rechtslage. Spaenle bemühte sich zumindest um einen verbindlichen Ton: Die Lehrbeauftragten leisteten "eine herausragende und hoch qualifizierte Arbeit, mit der sie einen erheblichen Beitrag dazu erbringen, dass unsere Hochschulen für Musik im In- und Ausland hoch angesehene Ausbildungseinrichtungen sind", schrieb er. In der Sache sei aber nichts zu machen. Die Hochschulen müssten sich an die Gesetze halten. Daher sei "gegen eine solche Abfrage seitens der Rechtsaufsicht nichts einzuwenden".

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