Porträt eines Münchner Originals:Trachtler und schwul - na und?

Michael K. ist ein Münchner Urgestein, allerdings ein recht unkonventionelles. Er ist leidenschaftlicher Trachtler und - schwul. Aber das soll man bloß nicht überbewerten.

Pia Röder

Lederhosen, grauer Schnauzbart und Reiherfeder am Hut. Rechts a fesches Madel und links eine Maß. Genau so stellt man sich doch den typischen Bayern vor. Michael K. passt ins Klischee - zunächst. Der 79-Jährige trägt einen buschigen Schnauzer und die bayerische Tracht ist seine große Leidenschaft. Bier mag er auch. Nur eines ist anders: Herr K. interessiert sich ausschließlich für fesche Buam. Er ist homosexuell - ein schwuler Urmünchner in Tracht.

München Michael K.

Michael K. auf dem Balkon in seiner Wohnung in Neuperlach.

(Foto: Foto: Pia Röder)

"Wenn der Michael mal 21 ist, dann heiratet der und hat fünf oder sechs Kinder", so dachte seine Familie als er gerade 15 war. Doch es kam ganz anders. Beim Sonnenbaden an der Isar wurde er von einem fremden Mann verführt. Das war im Sommer 1949. Er war gerade 20 und hatte eigentlich eine Freundin. Solche pikanten Erlebnisse waren aber plötzlich viel interessanter für ihn. "Michel, I glaub du bist a warma Bruada." Das für sich zu akzeptieren, war sein erster erwachsener Entschluss, sagt er über diesen Wendepunkt in seinem Leben.

Hausieren ist er mit seiner Vorliebe nie gegangen. Seine Familie und seine engsten Freunde wussten Bescheid und hatten kein Problem damit. Er selbst aber war unsicher: Schwul? Und wie soll es weitergehen? Von der Szene hatte K. keine Ahnung. Wo man als Homosexueller in München hingehen kann, wusste er damals noch nicht.

Der erste Freund war 62

Ihn zog es wie üblich ins Hofbräu-Haus. Er wartete auf einen Bergsteiger-Kumpanen und wie es der Zufall wollte, lernte er just an diesem Tag dort seine erste große Liebe kennen. Franz hieß er und war 62 - über vierzig Jahre älter als er. "Du schaust so aus als bräuchtest du mehr Selbstbewusstsein", hat der erfahrene Mann zu ihm gesagt. Michael hat nicht lange gefackelt und ihn prompt seiner Familie vorgestellt. "Das ist der Franz - die liebste Person, die ich kenne. Wenn ihr ihn nicht mögt, könnt ihr mich auch vergessen." Und die Familie mochte ihn.

Franz war kein "Gigerl", wie Michael K. es nennt, also "keine Tunte mit goldenen Schuhen". Mit solchen konnte er nie etwas anfangen. Franz war ein solider, selbstbewusster Mann, ohne Flausen im Kopf. Genau wie Michael. Er hat sein Schwulsein nie zum Lebensmittelpunkt gemacht. Der lag eher bei der Tracht.

Trachtler und schwul - na und?

Stolz zeigt er seine schwarze Lederhose und seinen Trachtenhut mit Reiher-Feder. "Der hat damals 300 Mark gekostet. Heute bekommt man so einen gar nicht mehr, unbezahlbar." Eigentlich sei er ja kein Vereinsmeier, aber Mitglied ist er dann doch bereits seit 1965. "Tracht ist doch wirklich sexy. Meinen Sie nicht?" Ein alter Mann in Lederhosen - da kann man als Außenstehender nur nicken.

Ein viertel Jahrhundert im kalifornischen Homo-Mekka

Gerade in einer traditionellen Riege, wie einem Trachtenverein, ist es sicher nicht einfach für einen Schwulen. Erfahren hat es dort niemand, aber die Münchener seien ja unkompliziert, sagt Michael: "Die leben nach dem Motto 'Was der im Bett duat, is mia wurscht.'"

Neben dem Trachtenverein, lag seine Priorität auch bei seiner Arbeit. Er ist gelernter Elektriker und war angesehen bei den Kollegen. Dass er schwul ist, wusste keiner von ihnen. Als Vorgesetzter wäre das damals unmöglich gewesen. "Ich war vierzig und unverheiratet. Wer einigermaßen klar denken kann, wird gewusst haben, was los ist." Ein Mann im besten Alter ohne Frau, das kann nur heißen: "Entweder schwul oder impotent. Schwul ist da wahrscheinlicher", lacht K.

Seine Arbeit führte ihn auch in die Staaten. 25 Jahre lebte er in San Francisco - dem Schwulen-Mekka an der Westküste der USA. Dort hat er sich sehr wohl gefühlt: "Die Menschen sind toleranter. Da ist ja praktisch jeder eine Minderheit." Es interessiere keinen, ob man schwarz oder weiß, schwul oder hetero ist.

Trachtler und schwul - na und?

Trotzdem ist er 1997 wieder nach München zurückgekehrt - der Liebe wegen. Sein ganzes Leben lang hat K. in langjährigen, festen Beziehungen gelebt. "Das war für mich die angenehmere Art, schwul zu sein". Cruisen, wie es auf Neudeutsch heißt, mochte er nicht. "In Pissoirs rumstehen und warten bis einer vorbeikommt? Das war nie was für mich!"

"Prost Michel. Ab heute darfst du schwul sein!"

Obwohl er stets diskret mit seiner Homosexualität umgegangen ist und nie Probleme hatte, wurde ein bestimmter Tag zum Wendepunkt in seinem Leben, dem zweiten seit seinem Coming-out an der Isar. Am 1. September 1969 wurde der Schwulenparagraph 175 gekippt und Michael verfolgte die Entscheidung damals live im Radio. Schwul zu sein, war ab nun keine Straftat mehr. Mit Tränen in den Augen erzählt er von diesem Meilenstein. Ihm war vorher nie bewusst, dass er sich so, wie er ist, strafbar macht. Und plötzlich war alles anders. An diesem Abend ist er ins Weinhaus gefahren und hat sich zum ersten und einzigen Mal in seinem Leben richtig betrunken: "Prost Michel. Ab heute darfst du schwul sein!"

Damals ist er gerne durch die Schwulen-Kneipen Münchens gezogen: Die "Duldstube" bei der Sendlinger Straße, "Die Goldene Tapete" beim Isartor-Platz oder die "Schlangengrube" in der Reisingerstraße. Heute ist Michael K. out, das heißt von der Szene bekommt er nicht mehr viel mit. Lieber trifft er sich mit anderen älteren Schwulen zum wöchentlichen Stammtisch im "Grabler Garten": "Aber wir haben nichts miteinander. Nicht, dass Sie das denken!" Vor viereinhalb Jahren ist sein Lebensgefährte an Krebs verstorben. Seitdem wohnt er alleine im achten Stock eines Hochhauses in Neuperlach.

Sein Schwulsein sollte man nicht überbewerten, rät er den Jungen. Die Homosexualität hat nie sein Leben bestimmt. "Wenn man gut im Beruf ist und ein gutes Wissen hat, ist das doch schön. Dann ist es wurscht, ob man auf Männer oder Frauen steht", sprichts und streicht sich die Lederhose zurecht.

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