Popkonzert bei den 6Days:Drummer müsste man sein

Wenn Teenager bei einem Radrennen hysterisch kreischen, muss man sich noch keine Sorgen machen. Sondern einsehen, dass deutsche Popmusik nicht mehr aufzuhalten ist.

Jürgen Schmieder

Radfahrer zu sein ist nicht leicht. Da müht man sich sechs Tage und sechs Nächte lang ab, strampelt Runde um Runde, kämpft gegen Müdigkeit und Erschöpfung. Da tut es gut, wenn am Rand Tausende Menschen stehen und jubeln wie verrückt. Dumm nur, wenn die nicht deswegen da sind, weil Erik Zabel gerade zu einem Weltklasse-Spurt ansetzt. Sondern weil auf der Bühne vier Teenager stehen, die sich selbst Killerpilze nennen und davon singen, dass es ihnen "richtig scheiße" geht, aber "auf 'ne schöne Art und Weise".

Aber so sind die Münchner Sixdays nun einmal: eine Mischung aus Sport und Show. Und der Samstag Nachmittag gehört seit 28 Jahren den Kids und ihren Idolen. Da sind die Sportler nur Randfiguren - oder wie es Moderator Jan formuliert: "Und jetzt nur ein Spot, äh, eine Radrunde, und dann geht's gleich weiter mit Musik!" Dann kündigt er gleich die nächste Band an: Tic Tac Toe.

Weihnachten mit der Familie

Deren Fangemeinde hat das Teenageralter längst hinter sich. Verhaltener Jubel zu Beginn, respektvoller Applaus nach dem ersten Lied. Dann spielen die drei Ex-Girlies ihren Comeback-Hit "Spiegel" - und treffen damit genau die Teenie-Seele.

Alle singen sie mit und beweisen, dass sich die Wiedervereinigung von Tic Tac Toe gelohnt hat. Ja, sie sind wieder zusammen, haben sich richtig lieb und sehen besser aus als je zuvor. Ricky in Schlagjeans, Blazer - und vor allem fast ungeschminkt.

Ex-Skandalnudel Lee erscheint komplett in weiß. Nur Jazzy bleibt ihrem Proll-Image treu und sieht aus wie noch vor zehn Jahren. Ein wenig brav sind sie geworden, die ehemaligen Bad Girls der deutschen Popmusik. Händchen haltend spazieren sie hinter der Bühne, wünschen sich Weltfrieden und Weihnachten mit der Familie.

Da ist LaFee schon ein anderes Kaliber - zumindest auf der Bühne. Da singt sie von einem Virus, den sie der ehemaligen besten Freundin wünscht und von ihrem Hass auf verwöhnte Gören. Backstage allerdings ist die 15-Jährige erstaunlich zahm. Selbst bei der Frage, wie es ihr denn geht, blickt sie zuerst schüchtern zu ihrer Managerin.

Erst als die zustimmend nickt, antwortet sie leise: "Mir geht's super. Erfolg ist toll, Schule läuft toll. Ich bin wunschlos glücklich." So glücklich, dass sie sich nicht einmal etwas zu Weihnachten wünscht. Im Hintergrund steht ihre neue beste Freundin - also die, die keinen Virus bekommen soll - und langweilt sich.

LaFees beste Freundin ist zufälligerweise die Schwägerin von Marc Terenzi, der auch zum Familientreffen in die Olympiahalle gekommen ist. Er stellt sein neues Lied vor, wird aber weniger von aufgeregten Kindern angehimmelt als von deren hysterischen Müttern. Macht ihm nichts, er versucht lieber, jedem den Text seiner Single "Rock the Nation" beizubringen. Klappt super.

"P.S.: Ich bin auch 13!"

Das hat Part Six gar nicht nötig, ihre Texte kann sowieso jedes Mädchen von elf bis 15 Jahren mitsingen. Dafür betonen die Mitglieder, wie sehr sie sich von anderen Boybands unterscheiden. Individualisten wollen sie sein, Jungs zum Anfassen. Dann treten sie auf die Bühne: im Partnerlook bestehend aus einheitlicher Jeans, weißem Hemd und brauner Jacke - und liefern eine durchchoreografierte Tanzperformance ab. Das mit dem Anfassen nehmen sie jedoch wörtlich.

Während der Show legen sie sich fast in die Menge kreischender Fans und treiben so jeden gewissenhaften Security-Mitarbeiter in den Wahnsinn. Und nach dem Auftritt geht's sofort wieder raus zu den Anhängern. Schließlich müssen jede Menge Autogramme verteilt werden.

Die Stars des Nachmittags sind ohne Zweifel die Killerpilze. Liebling der Fans ist der 13-jährige Drummer Fabi. Verknallte Mädchen werfen Liebesbriefe auf die Bühne oder stecken sie Backstage-Mitarbeitern zu. Auf einem der zusammengefalteten Zettelchen steht: "Fabi, ich lieb' Dich. Schreib mir! P.S.: Ich bin auch 13!"

Kein Wunder: Er begrüßt seine Fans wie ein echter Rockstar, wirbelt auf der Bühne wie ein tasmanischer Teufel und lässt die Trommelstöcke lässig zwischen den Fingern kreisen. Die Sticks wirft er am Ende der Show seinen Verehrerinnen zu. Die Killerpilze sind aber nicht nur eine süß anzusehende Band für pubertierende Mädchen, sondern spielen erstaunlich reifen Punkrock.

Nach dem Auftritt geht es jedoch schnell, die Pilze haben's eilig: keine Autogramme, kein Abklatschen mit den Fans. Denen war es egal, sie bekamen als Entschädigung von Moderatorin Sabrina immer wieder Handtücher und Pappbecher zugeworfen: "Die haben die Mörderschwammerl gerade benutzt."

Erik Zabel und seine radfahrenden Kollegen können sich nur wundern - und stolz auf sich sein. Denn sie schaffen es, dass Teenager, die nur wegen Musik in die Olympiahalle gekommen sind, bei den spannenden "Einlagen" zu kreischen beginnen und immer wieder eine La-Ola-Welle starten. Wenn man für seine sportliche Leistung gefeiert wird wie ein Popstar, dann hat sich die Quälerei gelohnt.

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