Pop:Spieltrieb

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"Niveau Weshalb Warum" - mit ihrem aktuellen Album schaffen die Elektro-Hip-Hopper von "Deichkind" die Rückkehr zu alter Größe und klingen doch ganz neu. Am Sonntag spielen sie im Zenith

Von THERESA HEIN

Wir sind wie Pur", sagt DJ Phono von der Hamburger Hip-Hop-Gruppe Deichkind, und muss über den Witz lachen. Witzig ist das, weil Deichkind so gar nicht sind wie Pur. Weil sie die Journalisten vor dem Interview fragen, welche Art von Gespräch (ein Gespräch über Gott und die Welt, ein Gespräch über Liebe - oder doch lieber ein Gespräch, bei dem die Band die Fragen stellt?) sie führen möchten. Weil sie während des Interviews die Anziehsachen tauschen und einander imitieren, weil sie Füße abschlecken und wahnsinnig stolz auf ihr selbst entworfenes Brettspiel sind, aber vor allem: Weil es ihnen absolut egal ist, wie sie auf den, der da sitzt und sie interviewen soll, wirken.

Eine böswillige Unterstellung wäre es, ihnen dies als Marketing-Strategie anzukreiden. Im Interview stellt sich heraus: Es ist einfach so. Während man bei einigen Bands in den 2000er Jahren das Gefühl hatte, als würde ihnen eine schulterzuckende Attitüde vom Management empfohlen, weil das authentisch wirke, ist es Deichkind wirklich und ehrlich wurscht. Im Gegensatz zu anderen Hip-Hop-Künstlern im deutschen Sprachraum sind Deichkind schwer auf eine Zielgruppe festzulegen. Dabei ist das Erfolgsrezept der seit knapp 15 Jahren stetig beliebter werdenden Musiker nicht, einfach das zu machen, was ihnen passt, sondern die Balance zu wahren. "Als Künstler muss man den Spagat schaffen zwischen den eigenen Erwartungen an ein neues Projekt und der Erwartungshaltung des Publikums. Wenn du allerdings immer nur das machst, was die Leute gerade wollen, wo bleibt denn da die Weiterentwicklung?", fragt Henning Besser, der DJ der Band.

Und so ist das neue Album eine geglückte Mischung, die sowohl eingeschworene Fans als auch die neu gewonnenen Liebhaber der sehr kommerziellen Hits der letzten Jahre ("Bück dich hoch") bedient. Die Mitglieder von Deichkind haben nicht nur ein Brettspiel entworfen, sondern beweisen, dass sie echte Strategen sind - als Marketingprofis haben sie immer ein Ohr für die Feuilletons des Landes. Als Musikprofis konzentrieren sie sich auf den eigenen Geschmack und die Erwartungshaltung der Fans. Auch deswegen spielen sie am Sonntagabend in der ausverkauften Zenith-Halle und nicht irgendwo. Weiterentwickelt, wie Besser meint, haben sich Deichkind mit dem neuen Album "Niveau Weshalb Warum" in jedem Fall.

Im ersten Song, "So 'ne Musik", der zugleich die erste Single-Auskopplung des Albums ist, gehen sie selbstreferenziell und ironisch auf die Struktur ihres Songs ein. Der kann von der Qualität locker mit einem Beginner-Hit von vor zehn Jahren mithalten und schafft den Absprung aus der "Leider Geil"-Tiefe von 2012, die für die frühen Bewunderer der Hip-Hop-Elektroniker eine unerträgliche Schmach war. Tatsächlich kehren Deichkind mit "Niveau Weshalb Warum" zwar nicht zu den Wurzeln zurück. Dazu gibt es zu viele neue, ungewohnte Elemente, wie ein extrem ausgedehntes Rock-Gitarrensolo bei dem Track "Denken Sie groß", der zweiten Single, oder den Dubstep-Aufbau mancher Songs. Aber sie bringen endlich wieder ein Hip-Hop-Album auf den Markt, das mit der Verklärung der wunderbar-angepassten Gesellschaft ( Marteria) bricht und ohne Pandamaske (Cro) auskommt.

Der Song "Hauptsache nichts mit Menschen" beschreibt die Flucht aus einer vernetzten, verketteten, überfüllten Welt und "ein Gefühl, das jeder kennt", wie Sebastian Dürre meint, der gemeinsam mit Philipp Grütering für die Texte verantwortlich ist. Ein ehrliches Gefühl, dem mit diesem Song Raum gegeben wird: "Auf Facebook finden alle immer nur alles toll. Aber das ist auch kein guter Realitätsspiegel", sagt Henning Besser.

Voraussetzung für eine musikalische oder textliche Veränderung und Weiterentwicklung sei der Rückhalt innerhalb der Band, sagt Besser, der bei den Live-Auftritten für die spektakulären Bühnenshows von Deichkind verantwortlich ist: "Ich finde es gut, sich Ideen zuzutrauen, bei denen dann erstmal keiner 'yeah' ruft. Ich glaube, diesen Raum und dieses Vertrauen muss es in einem Projekt wie Deichkind, das ja schon am Mainstream andockt, einfach geben." Tatsächlich spiegelt sich das Vertrauen im Publikum der Band wieder: "Das junge, neue Publikum wächst nach, aber die älteren Fans gibt es natürlich immer noch."

So selbstverständlich ist das nicht, nach dem, was Deichkind in den letzten Jahren emotional und musikalisch durchgemacht hat: Wechselnde Bandmitglieder und Produzenten, fulminante Bühnenshows, ausverkaufte Hallen, musikalische Orientierungen in jede Richtung, die Gründung einer eigenen Plattenfirma. Dabei hat es sich für die Band bewährt, ihren Fans offen gegenüber zu treten, das wissen die Musiker: "Durch das Internet weiß jeder ungefähr, welche Musik auf ihn zukommt. Früher ist man dagegen in den Laden gegangen und hat sich eine Langspielplatte für 18 Mark gekauft, die dann eventuell totaler Schrott war", sagt Henning Besser. Das Vertrauen, dass Henning Besser in seine Kollegen hat, dürfen wohl auch die Konzertbesucher am Sonntag in die Band setzen. Strategiespiel inbegriffen.

Deichkind , So., 26.April, 20 Uhr, Zenith, Lilienthalallee 29 (ausverkauft)

© SZ vom 25.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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