Polyamorie: Phänomen Viellieberei:Sex im Plural

Lebensentwurf, Veranlagung oder Sucht? Polyamore führen mehrere sexuelle Beziehungen gleichzeitig - doch Offenheit und Gefühle sind ihnen wichtig. Ein Besuch beim Polyamorie-Stammtisch.

Lisa Sonnabend

Philipp sitzt auf der Couch in der WG-Küche und hat einen Arm um seine Freundin gelegt. Sie schmiegt sich an seine Schulter. Philipps zweite Freundin ist an diesem Abend nicht da. "Wenn ich mich in ein neues Mädchen verliebe", sagt der 24-Jährige, "dann werden meine Gefühle immer stärker." Auch die zu seiner bisherigen Partnerin. "Verliebt sein wirkt bei mir wie ein Katalysator", fügt er hinzu und streicht sich seine langen, blonden Haare aus dem Gesicht.

Polyamorie

Erkennungszeichen: Bei den Treffen ist die Polyamor-Flagge immer dabei.

(Foto: Grafik: sueddeutsche.de)

Philipp bezeichnet sich als polyamor. Das bedeutet: Er liebt nicht nur eine Frau, sondern führt mehrere Beziehungen gleichzeitig. Dabei handelt es sich nicht um eine heimliche Affäre, sondern alle Beteiligten wissen davon und sind damit einverstanden.

Mehrmals im Monat organisiert Philipp Treffen mit anderen Polyamoren aus München - in seiner WG in der Maxvorstadt oder in der Kneipe Klenze 17. Über das Netzwerk StudiVZ hat der Student Kontakt zu anderen Münchner Polyamoren aufgebaut, inzwischen dient die Seite www.polyamorie-muc.de als Plattform. Gleichgesinnte können sich so über Erfahrungen austauschen und Tipps geben.

Denn das Wichtigste, damit eine polyamore Beziehung funktioniert, ist Kommunikation und Offenheit. "Wenn ich eine Frau kennenlerne, spreche ich das Thema immer schnell an", sagt Philipp. "Ist sie nicht offen für Polyamorie, ist das natürlich ein K.-o.-Kriterium." In einem späteren Stadium einer polyamoren Beziehung müssen dann ständig Zweifel, Unsicherheiten oder Eifersucht thematisiert werden. Philipp sagt: "Früher war ich manchmal eifersüchtig, inzwischen freue ich mich häufig mit, wenn eine von meinen Partnerinnen sich für einen anderen interessiert."

Als vor zwei Jahren seine Freundin verreist war, bemerkte Philipp, dass er sich plötzlich auch für andere Mädchen interessierte. Erst hat er seine Gefühle unterdrückt, dann hat er ihnen freien Lauf gelassen. Als er im Internet nach "mehrere Menschen gleichzeitig lieben" suchte, stieß er auf den Begriff Polyamorie, der sich zusammensetzt aus dem griechischen Wort poly (viele) und dem lateinischen amor (Liebe). Er hatte eine Erklärung für seine Gefühle gefunden. Heute ist Philipp sich sicher: Eine polyamore Lebensweise ist für ihn erfüllender.

An diesem Freitagabend sitzen 15 Menschen an Philipps Küchentisch, trinken Bier und essen Salzstangen. Junge Leute und ältere, elf Männer und vier Frauen. Da ist zum Beispiel Diana, die nach sieben Jahren beschlossen hat, eine offene Beziehung mit ihrem Freund zu führen. "Ich habe mich gesellschaftlich gelangweilt", sagt Diana. "In meinem Bekanntenkreis reden alle nur noch darüber, welche Fliesen sie sich legen lassen und fragen: 'Wie schaut's bei euch mit Kindern aus?'" Ihr Freund war von der Idee nicht begeistert, macht aber ihr zuliebe mit.

Sex im Plural

Johannes hat schon mit 17 nach mehreren Mädchen gleichzeitig Ausschau gehalten. Aber erst viel später, als er sich in eine vergebene Frau verliebte und gar nicht wollte, dass sie sich von ihrem Partner trennt, hat er gemerkt, dass er polyamor ist. Er sagt: "Ich arbeite im künstlerischen Bereich - da sind die Leute zum Glück offener für solche Lebensentwürfe."

Sex ist nicht das entscheidende Kriterium

Lukas, ein starker junger Mann, bringt sich ständig in die Diskussion ein. Er verspüre eine Sucht nach Nähe, die durch seine schwere Kindheit bedingt sei, sagt er. "Vielleicht wird diese Sucht eines Tages gestillt sein." Die Polyamorie ist für ihn die beste Variante, "da sie mir und den Menschen, die ich liebe, die größtmögliche Freiheit lässt". Eine Freundin von ihm habe drei Liebesbeziehungen und sei ein freier und glücklicher Mensch.

Ob Polyamorie (auch Polyamory) ein Lebensentwurf, eine Veranlagung oder eine Art Sucht ist, können die Anwesenden ebenso wenig erklären wie Wissenschaftler. Die Grenze zwischen einer polyamoren und einer offenen Beziehung ist oft nicht leicht zu ziehen. Polyamorie-Anhänger legen viel Wert auf eine emotionale Bindung zum Partner, Sex gilt nicht als das entscheidende Kriterium. Aber wie misst man Gefühle, Intimität oder Rücksicht? Und ist Polyamorie nicht einfach eine Legitimation für Seitensprünge oder für aufregende Affären - mit dem Vorteil, dass die ganze Geheimnistuerei wegfällt? "Es zählt die Qualität nicht Quantität", sagt Philipp, der eher ein nachdenklicher als ein draufgängerischer Typ ist.

In der Gesellschaft ist das Phänomen Polyamorie weitgehend unbekannt, Philipp und die anderen vermissen deswegen Toleranz für ihre Lebensform. Eine rechtliche Gleichstellung mit monogamen Beziehungen ist Zukunftsmusik. Für Münchner gibt es bislang keine Partnerbörsen im Internet oder Diskoabende nur für Polyamore. "Es ist extrem schwierig, Gleichgesinnte zu treffen", sagt Philipp. Seine Eltern wissen Bescheid über Philipps Lebensform. "Meine Mutter findet es richtig gut", sagt er. "Und mein Vater sagt scherzhaft: 'Du wirst die Richtige schon noch finden.'"

Philipps feste Freundin lebt nicht polyamor, akzeptiert aber seinen Lebensstil. Die zweite Beziehung ist noch recht frisch. Philipp ist nicht sicher, ob die neue Partnerin seine Lebensform letztendlich akzeptieren wird.

Das nächste Treffen der Münchner Polyamoren findet am Freitag, den 17. Oktober im Klenze 17 statt. Weitere Informationen unter www.polyamorie-muc.de.

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