Polizisten in Bayern:Beleidigt, bespuckt, geschlagen

Früher hieß es "Herr Wachtmeister", heute "Bulle": Der Respekt vor Polizisten schwindet. Die Beamten müssen auch in scheinbar harmlosen Situationen damit rechnen, beleidigt oder selbst angegriffen zu werden. Die Zahl der Gewalttaten gegen sie nimmt dramatisch zu, der Job als Polizist ist so gefährlich wie nie.

Florian Fuchs

Früher, so vor zehn Jahren, sagt Alexander Hoskara, da war es noch leichter. Auch damals gab es schon brenzlige Einsätze, auch damals gab es verletzte Polizisten. Trotzdem hat er noch einen gewissen Respekt verspürt. "Früher haben uns die Leute mit 'Herr Wachtmeister' angesprochen", erinnert sich Hoskara. "Heute sagen sie 'Bulle'."

Reportage zum Fußball Champions League Spiel FC Bayern - FC Basel, 2010

Immer in Hab-Acht-Stellung, immer mit dem Schlimmsten rechnen: Beamte beim Einsatz während eines Fußballspiels in München.

(Foto: Johannes Simon)

Alexander Hoskara, der die Polizeiinspektion am Mariahilfplatz in München leitet, macht diese Entwicklung Sorgen. Die Arbeit als Polizist ist heute so gefährlich wie nie, und das ist nicht nur das dumpfe Gefühl eines Beamten, der das Schimpfwort "Bulle" leid ist. Diese Einschätzung ist belegt durch Statistiken. Von 2003 bis 2009 haben die Fälle von Widerstand gegen Vollzugsbeamte in Bayern um mehr als 20 Prozent zugenommen.

Der Bundestag hat darauf reagiert und das Strafmaß heraufgesetzt. Seit einer Gesetzesänderung im Sommer 2011 kann Widerstand gegen Polizisten nicht mehr nur mit zwei, sondern mit drei Jahren Gefängnis geahndet werden. Den Einsatzkräften allerdings reicht das noch nicht, viele haben Angst in ihrem Job. "Wichtiger als die Erhöhung des Strafmaßes wäre es", sagt Jürgen Ascherl von der Deutschen Polizeigewerkschaft, "dass die Justiz die Strafmaße endlich konsequent anwendet."

Alexander Hoskara zum Beispiel hat in seiner Inspektion Kollegen, die sich nicht mehr für den Außendienst einteilen lassen wollen. "Die wollen am liebsten nur den Dienst auf der Wache, alles andere ist ihnen zu gefährlich." Die Dienststelle am Mariahilfplatz ist eine besondere Polizeiinspektion in München, zu ihrem Einsatzgebiet zählt die Kultfabrik am Ostbahnhof. Dort gibt es viel Nachtleben, viel Alkohol und viele Straftaten.

Die Inspektion hat Einsatzorte in ihrem Überwachungsgebiet, zu denen die Polizisten grundsätzlich mit zwei Streifenwagen fahren. Ein Fahrzeug alleine, mit nur zwei Polizisten, das wäre zu gefährlich. "Bei uns ist jeder schon mal Opfer eines Angriffs geworden", sagt Hoskara.

Die Probleme im restlichen Bayern stellen sich nicht ganz so drastisch dar wie bei der Dienststelle in der Au, die Zahlen lesen sich aber trotzdem dramatisch. Weil das Problem so überhand nimmt, hat das Bayerische Innenministerium für das Jahr 2010 erstmals eine neue Statistik anfertigen lassen, die Gewalt gegen Polizeibeamte bis ins Detail analysiert. Demnach sind im vergangenen Jahr im Freistaat fast 13.000 Polizisten im Dienst beleidigt, bespuckt, gestoßen, geschlagen und getreten worden. Es gab 2178 Körperverletzungen und elf versuchte Tötungsdelikte.

"'Scheiß Bullen' hat er geschrien und ist auf uns losgegangen"

Und das sind nur die Fälle, die die Beamten tatsächlich gemeldet haben. "Wenn wir jeden Schubser melden würden, kämen wir zu nichts anderem mehr", sagt Hoskara.

Die mit Abstand meisten Gewalttaten gegen Polizisten ereignen sich am Wochenende, und auch da meistens nachts. Über 70 Prozent der Tatverdächtigen standen laut Statistik des Innenministeriums unter Alkohol- oder Drogeneinfluss. Meist schlugen die Angreifer mit der Faust zu oder traten die Polizisten. In 31 Fällen hatten die Täter Stichwaffen wie Messer dabei, 17 Mal setzten sie diese auch ein. Geschossen wurde in Bayern im Jahr 2010 auf Einsatzkräfte drei Mal.

Auch Hoskara ist im Dienst schon einmal mit einem Messer bedroht worden, es war die brenzligste Situation in seiner Karriere. Die Einsatzbeschreibung lautete: "Randalierer in Jugendunterkunft". Als Hoskara mit einem Kollegen ankam, standen zwei 17-Jährige im Hausgang, einer von ihnen hatte blutige Hände - und hielt ein 20 Zentimeter langes Küchenmesser in der Hand. "'Scheiß Bullen' hat er geschrien und ist auf uns losgegangen", erzählt Hoskara, "sein Freund hat ihn im letzten Moment zurückgehalten und ihm das Messer aus der Hand geschlagen."

Wenn eine harmlose Kontrolle mit einem Desaster endet

Die Polizisten bereiten sich auf solche Situationen mit speziellen Trainings vor. Dort werden die Beamten mindestens zweimal im Jahr in Selbstverteidigung geschult, außerdem üben sie anhand von Rollenspielen Einsatzmuster, Fahrzeugkontrollen zum Beispiel oder eben bewaffnete Übergriffe. Und auch die Ausstattung wird stetig verbessert. Jeder Polizist besitzt eine kugelsichere Weste, die er möglichst immer im Dienst tragen sollte. Zudem soll jeder Polizist in Bayern einen Gehörschutz erhalten, weil gerade gewalttätige Demonstranten oft Böller werfen. "Der Testversuch ist gerade erfolgreich beendet", berichtet Peter Burghardt, Sprecher des Innenministeriums.

"Das Schwierigste in unserem Job ist die Abwägung"

Alexander Hoskara findet die Trainingseinheiten und die Verbesserungen alle gut und wichtig. "Im Ernstfall hilft uns das aber auch nicht immer." Im Ernstfall nämlich weiß ein Polizist selten, was ihn erwartet. Da kann eine harmlose Kontrolle mit einem Desaster enden, wie bei dem Ende Oktober in Augsburg erschossenen Beamten. "Das Schwierigste in unserem Job ist die Abwägung zwischen dem geringsten Mittel und der eigenen Gesundheit", sagt deshalb Hoskara.

Er kennt sie ja auch, die Beschwerden, dass Polizisten übermäßig hart eingriffen. "Deshalb versuchen wir wirklich immer, so freundlich und zurückhaltend wie möglich zu sein." Aber oft sei es schwierig, den richtigen Ton zu treffen. "Weil mich bei der harmlosesten Situation plötzlich einer angreifen kann", sagt Hoskara. "Und dann bin ich lieber einmal zu schroff, als mich in Gefahr zu begeben."

Seine Kollegin Julia Ziegler hatte erst so einen Fall, da bat sie einen Autofahrer in Haidhausen, sein Fahrzeug aus dem Halteverbot zu bewegen. Noch nicht mal den Abschleppdienst hatte sie verständigt. Der Mann rastete derart aus, dass er mit dem Fuß gegen das Verbotsschild trat und nur mit Unterstützung eines anwesenden Umzugshelfern gebändigt werden konnte. Die Polizistin verletzte sich am Finger, das Verfahren gegen den Angreifer aber wurde eingestellt. "Manchmal fühlen wir uns von der Justiz im Stich gelassen", sagt Hoskara.

Das Strafmaß bei Widerstand gegen Polizeibeamte auf drei Jahre heraufzusetzen - das sieht Hoskara genauso wie Jürgen Ascherl von der Gewerkschaft - nütze nur dann etwas, wenn die Gerichte die Strafen auch konsequent verhängen. "Nur dann ist die Abschreckung so groß, dass unser Job wieder ein bisschen sicherer wird." Denn dann, da ist sich der Polizist sicher, würde auch wieder der Respekt wachsen.

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