Polizei:Wie Zielfahnder Flüchtige jagen

Polizei: Untergetaucht seit dem 16. August: Roland Burzik soll in München seine Ex-Freundin getötet haben.

Untergetaucht seit dem 16. August: Roland Burzik soll in München seine Ex-Freundin getötet haben.

(Foto: Polizei)

Wenn ein Tatverdächtiger verschwindet, durchleuchten die Ermittler das Leben des Gesuchten bis ins kleinste Detail. Und finden ihn in den meisten Fällen.

Von Martin Bernstein und Susi Wimmer

Gute Zielfahnder müssen das richtige Gespür haben, Ausdauer besitzen, technisch versiert sein - und einfach mal in die sozialen Netzwerke schauen. Denn dort breiten die Gesuchten gerne ihr komplettes Leben aus und ersparen so den Fahndern jede Menge Arbeit. Zurzeit jagen die Ermittler den 45-jährigen Roland Burzik aus München. Er soll am 16. August in Obergiesing seine frühere Lebensgefährtin getötet haben. Seitdem ist er spurlos verschwunden. Und sein Facebook-Profil haben die Zielfahnder abgeräumt. Ob sie mit den Inhalten weiterkommen, wird sich zeigen. An diesem Donnerstag jedenfalls stellen die Fahnder den Fall im Fernsehen vor.

Nach der Tat gegen 15.30 Uhr an der Bayrischzeller Straße in Obergiesing war Burzik zur U-Bahn-Station Untersbergstraße geflohen. Mantrailer-Hund "Buddy" hatte seine Spur bis dorthin verfolgen können. Burzik fuhr, so viel wissen die Fahnder inzwischen, noch einmal in seine Wohnung im Glockenbachviertel und wechselte dort seine Kleidung. Sein Handy ließ er in der Wohnung zurück, offenbar aber nicht seinen Personalausweis. In der Wohnung fanden die Ermittler Hinweise darauf, dass Burzik gerne in den Bergen unterwegs war. So hatte er für den Samstag nach der Tat einen Platz auf dem Purtschellerhaus am Hohen Göll im Berchtesgadener Land reserviert. Er wollte sich dort mit Freunden treffen, tauchte aber nicht auf.

Hier setzen nun die Zielfahnder an. Acht Experten sind es am Polizeipräsidium München, die den Gesuchten quasi mit Röntgenaugen durchleuchten. "Am Anfang wird ein sogenanntes Personagramm erstellt", sagt Arno Helfrich, stellvertretender Leiter des Dezernats Fahndung und Prävention. Angefangen vom Geburtsort über Schulen, Beruf, Freunde, Hobbys oder Arbeitszeit wird alles recherchiert. Wo war der Gesuchte in seiner Freizeit, wohin fuhr er in den Urlaub, welche Stammkneipe besuchte er, welche Zigarettenmarke raucht er?

Fragen, die auf den ersten Blick merkwürdig erscheinen, die aber einen "Anfasser" liefern können: Eine Spur, die man anpacken kann. Denn eines wissen die Zielfahnder auch: Kaum jemand verschwindet an einen Ort, an dem er noch nie gewesen war oder zu dem er keinerlei Bezug hat. Burzik stammt aus Hildesheim. In Niedersachsen hat er auch seine aus Braunschweig stammende Architektenkollegin kennengelernt, die er nach dem Ende der kurzen Beziehung sechs Jahre lang verfolgte. So zog er ihr auch hinterher, als sie später nach Wolfratshausen und dann nach München ging.

Natürlich schauen sich die Fahnder auch die Kontobewegungen an, überprüfen das Vermögen des Betreffenden. Sie checken sein Handy und sehen nach, in welchen Funkmasten es eingeloggt war oder ist. Im Fall Burzik: Fehlanzeige. Wenn es Anhaltspunkte gibt, dass der Gesuchte sich in ein anderes Land abgesetzt hat, dann schalten sich auch die Kollegen vom Bundeskriminalamt mit ihren Verbindungsbüros im Ausland kurz. Burzik könnte theoretisch im europäischen Ausland unterwegs sein.

Die neuen Medien helfen der Polizei häufig

Natürlich kommt den Ermittlern das Mitteilungsbedürfnis der Menschen in den neuen Medien zugute. Der Mann, der im Juni 2015 eine Bankiersgattin aus ihrem Wohnhaus in Ottobrunn entführt hatte, konnte wenig später in Thailand verhaftet werden. Den Bogen nach Asien zu spannen, war nicht schwer. Denn der 52-jährige Täter hatte einen Facebook-Account, auf dem er der Welt sein neu gebautes Haus in Thailand präsentierte, samt Ehefrau und riesigem Freundeskreis. Das war freilich bei Weitem nicht der einzige Fehler, den der Kidnapper gemacht hatte. Sein Opfer war ihm auf einem Supermarkt-Parkplatz in München entkommen, als ihm das Magazin seiner Softair-Waffe zu Boden gefallen war. Auf Burziks Accounts in den sozialen Netzwerken herrscht seit 16. August offenbar völlige Funkstille.

"Unsere Erfolgsquote liegt bei nahezu 100 Prozent", sagt Fahnder-Chef Arno Helfrich. Weil seine Leute einen langen Atem haben und auch, weil es kaum jemand schaffe, alle persönlichen Kontakte komplett für immer abzubrechen. "Eine Zeitlang schaffen sie es ohne Geld und Kontakte, aber irgendwann kommt der Fehler", sagt Helfrich. Ein Betrüger etwa kroch aus seinem Versteck, weil eine Erbschaft anstand, ein Drogendealer rief bei seiner Mama an, um zu sagen, dass es ihm gut gehe.

Auch der Millionendieb Sven K., der 2007 nahe München eine Geldtransporter überfallen und 3,6 Millionen Euro gestohlen hatte, flog auf: Nachdem er sich ins Ausland abgesetzt hatte, zog es ihn doch nach Deutschland zurück. Bei einer Routine-Passkontrolle in einem Regionalzug in Franken zeigte er auch noch seinen eigenen Ausweis vor - und wurde verhaftet.

Die Mordkommission erhofft sich möglicherweise entscheidende Hinweise, wenn ein Zielfahnder den Fall Burzik am Donnerstag von 20.15 Uhr an in der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY . . . ungelöst" vorstellt. Die Sendung sei gut recherchiert, sagt Herbert Linder, Vize-Chef der Mordkommission, "die legen Wert auf Einzelheiten." Und das XY-Publikum sei groß - und interessiert. Im Fall des mutmaßlichen Stalking-Mords gab es in den vergangenen drei Wochen knapp 70 Hinweise. Als die Sendung vor Kurzem wieder einmal über den drei Jahre zurückliegenden Isarmord berichtete, meldeten sich 120 Anrufer.

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