Polizei:Wenn ein Smartphone plötzlich Gefahrgut ist

  • Wegen einer EU-Richtlinie muss die Polizei zum Beispiel Handys, Blut- und Speichelproben oder Silvesterböller als Gefahrgut behandeln.
  • Die Umsetzung der Regelung ist für die Polizei mit einem hohen Arbeitsaufwand verbunden.
  • Das Münchner Präsidium und die Deutsche Polizeigewerkschaft wollen sich nun beim Innenministerium für Ausnahmen einsetzen.

Von Thomas Schmidt

Eine Änderung im EU-Recht treibt obskure Blüten, mit denen sich zunehmend die Polizei herumärgern muss. Sichergestellte Handys und Feuerzeuge, Blut- oder Speichelproben, Parfüms, Silvesterböller - das alles und noch viel mehr muss von den Beamten nun als Gefahrgut behandelt werden.

Mit enormen Konsequenzen für die tägliche Polizeiarbeit: Tausende zusätzliche Arbeitsstunden müssen jährlich aufgewendet werden, um die strengen Gefahrgut-Bestimmungen der Europäischen Union zu befolgen. Das Münchner Präsidium und die Deutsche Polizeigewerkschaft wollen sich jetzt beim Innenministerium für eine Ausnahmeregelung einsetzen.

Der Umgang mit Gefahrgütern ist europaweit geregelt. Von den strikten Vorschriften waren die Polizeibehörden der Mitgliedsstaaten jedoch ausgeschlossen - bis zum Jahr 2012. Dann wurde die neue "Richtlinie 2008/68/EG" erlassen, die Ausnahme für die Polizei gestrichen. Es dauerte ein paar Jahre, bis diese Änderung aus Brüssel vollumfänglich in den Präsidien in Deutschland umgesetzt wurde. Inzwischen aber ruft sie Murren und zum Teil blankes Unverständnis bei vielen Beamten hervor. Auch in München.

Sicherheitsvorschriften, die bei Sprengstoffen oder Giften noch absolut sinnvoll sind, werden bei Alltagsgegenständen zur Skurrilität. Wie absurd sie sind, wird deutlich am Beispiel Smartphone: In dem Moment, in dem ein Polizist ein Handy sicherstellt, wird aus dem harmlosen Allerweltsgerät ein Gefahrgut. Der Polizist darf es zwar noch als "Notfalltransport" zur nächstgelegenen Dienststelle bringen, danach aber wird es umständlich: Das Handy muss klassifiziert und in einem speziellen Pappkarton verpackt werden, wird beschriftet mit einer "UN-Nummer" für Gefahrstoffe, bekommt einen Warnaufkleber und einen Begleitzettel.

Der Weitertransport zur Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft muss zudem offiziell angemeldet werden. Wenn der Polizeibeamte jedoch mit seinem eigenen Smartphone im Dienst telefoniert, dann handelt es sich nicht um ein Gefahrgut. Das Verständnis für diesen Widerspruch hält sich bei den Einsatzkräften in Grenzen.

Auch Alkohol gilt als Gefahrgut

"Wenn man das hört, meint man, das wäre ein Aprilscherz", ärgert sich Jürgen Ascherl, Münchner Bezirksvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft. "Das ist ja lächerlich!" Mehr als 3000 unterschiedliche Artikel stünden auf der Gefahrgutliste. Darunter fallen auch DNA-Proben von Speichel- oder Blutspuren.

Denn die werden von der Spurensicherung in einer Alkohollösung aufbewahrt, und Alkohol gilt ebenfalls als Gefahrgut. Genauso wie Rauschgift. Alle Polizisten, die im Dienst möglicherweise mit Drogen, Handys oder anderen "Gefahrgütern" in Kontakt kommen könnten, müssen sorgfältig geschult werden. Denn Verstöße gegen die Bürokratie werden mit Bußgeldern geahndet.

Ab einer größeren Menge Gefahrstoffe braucht der Beamte, der sie transportiert, zudem einen "ADR-Schein". Für diesen Schein muss er eine spezielle Ausbildung absolvieren, was wiederum Zeit und Geld kostet. Auch dürfen manche Gefahrstoffe nur getrennt voneinander gefahren werden, auch das muss der Polizist beachten.

Im schlimmsten Fall, sagt Gewerkschafts-Vorsitzender Ascherl, könne der Mehraufwand Menschenleben gefährden: Nämlich wenn wichtige Beweismittel tagelang liegen bleiben, "weil gerade kein Fahrer mit ADR-Schein verfügbar ist". Wertvolle Zeit könnte verstreichen, während der Täter womöglich erneut zuschlägt. "Es muss für die Polizei eine Ausnahmemöglichkeit gefunden werden", fordert Ascherl.

Auch das Münchner Polizeipräsidium will sich mit dem bayerischen Innenministerium darüber beraten. "Wir müssen uns an die gesetzlichen Vorgaben halten", betont Polizeisprecher Marcus da Gloria Martins. Die Vorgaben einfach zu ignorieren komme nicht infrage. Deswegen brauche es eine Ausnahme.

Die Gendarmerie in Frankreich oder die italienischen Carabinieri hätten die Probleme nicht, denn sie seien den Streitkräften zugeordnet - und die Armee ist von der EU-Regelung ausgenommen. Zudem gibt es ein Land in Europa, das ebenfalls explizit ausgenommen ist: Schweden. Ausnahmen sind also möglich. Genau darauf hoffen jetzt auch die Münchner Polizisten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: