Polizei in München:Schüsse im Einsatz: "Halt, Polizei. Waffe weg!"

Polizei in München: Die Beamten üben das Schießen regelmäßig.

Die Beamten üben das Schießen regelmäßig.

(Foto: Stephan Rumpf)
  • Polizisten in München müssen immer wieder zur Waffe greifen.
  • Die Deutsche Polizeigewerkschaft kritisiert, es gebe zu wenig Schießtraining, zudem sei das Material veraltet.
  • Das Münchner Präsidium sieht das anders.

Von Susi Wimmer

Eine Waffe in der Hand fühlt sich kalt an und hart. Ein tödliches Instrument, mit dem sieben Polizeibeamte gerade im Schießkino der Münchner Polizei trainieren. Bunte Ballons steigen auf, und es ist für einen Laien gar nicht so leicht, die Dinger zu treffen. Draußen auf der Straße sieht die Realität für Polizeibeamte mitunter anders aus: Im April kam es zu einer Schießerei in der Zentnerstraße, bei der zwei Beamte 15 Schüsse abgaben, im Mai feuerten drei Polizisten vor der Arbeitsagentur zehn Projektile ab, um einen psychisch Kranken mit einer Schere zu stoppen.

"Wir haben einfach zu wenig Schießtraining, und die Beamten kommen vor lauter Überstunden gar nicht richtig zum Üben, ganz zu schweigen von der veralteten Ausstattung", wettert Jürgen Ascherl von der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG). Dem widerspricht das Münchner Polizeipräsidium - und eine Beamtin, die selbst einmal einen Schuss auf eine Frau abfeuern musste.

Dass Beamte im Einsatz zur Waffe greifen müssen, kommt relativ selten vor. 2015 etwa wurden überhaupt keine gezielten Schüsse abgegeben, lediglich zwei Warnschüsse. Zur Zeit allerdings haben die internen Ermittler im Landeskriminalamt jede Menge zu tun: mit zwei Fällen von gezieltem Schusswaffengebrauch.

Sobald jemand durch den Schuss aus einer Polizeiwaffe getroffen wird, werden interne Ermittlungen eingeleitet, ob die Waffe rechtmäßig gebraucht wurde. Die Ermittler befragen die Beamten, Zeugen, werten Schussgutachten aus und legen die Ergebnisse der Staatsanwaltschaft vor. Jeder einzelne Schuss wird bewertet. Der wirre Scherenstecher, der im Mai am Kapuzinerplatz Passanten und Polizisten bedrohte, konnte laut Polizei nicht mit Worten beruhigt werden, auch Pfefferspray habe nicht gewirkt, ein Warnschuss ebenso wenig.

Als der Mann dann nach Polizeiangaben auf einen Polizisten zugerannt sei, habe dieser geschossen: siebenmal. Der Täter wurde von mehreren Kugeln getroffen, er überlebte schwer verletzt. "Ziel eines Schusswaffengebrauchs ist bei uns immer die Angriffsunfähigkeit. Unsere Beamten sind darauf trainiert, nur so lange zu schießen, bis von dem Angreifer keine Gefahr mehr ausgeht", sagt Marcus da Gloria Martins, Leiter der Polizeipressestelle.

Training an der Videoleinwand

Jetzt ist es dunkel im High-Tech-Schießkino. Auf der Leinwand läuft ein Film, im Hintergrund ein Sensor, der jeden Treffer erfasst. Das Bild von einem dunklen Gang, plötzlich taucht in der Türe ein Mann auf, maskiert, mit Patronengürtel und Pumpgun. "Halt, Polizei. Waffe weg!", rufen die beiden Beamten im Schießkino. Als das Gegenüber den rechten Arm mit der Waffe nach vorne führt, der Lauf auf die Beamten gerichtet ist, eröffnen sie das Feuer.

Der Film geht weiter. Nächste Szene. Urplötzlich huscht ein Zivilist durch den Gang, ganz schnell, von einer Tür zur nächsten. Die Beamten zucken, aber bleiben ruhig. Als nächstes taucht wieder ein Maskierter auf, er hat vor seinem Körper eine Geisel als Schutzschild, in der rechten Hand eine Pistole. Der Kidnapper legt an, die Beamten ebenso - doch zu spät. Der Bildschirm färbt sich rot, das heißt, dass ein Beamter getroffen wurde.

Keine Zeit für das Schießtraining

"Die derzeitige Einsatzbelastung bei der Polizei ist so hoch, dass die Beamten nicht zum Schießtraining kommen", meint Jürgen Ascherl von der Gewerkschaft. Erst vor kurzem habe man dem Innenminister ein Positionspapier überreicht mit dem Titel "fit für neue Bedrohungslagen". Darin fordert die DPolG etwa eine Optimierung der Schießanlagen und eine "deutliche Intensivierung des Schießtrainings für Einsatzkräfte".

Polizei in München: Das High-Tech-Schießkino ist im Polizeipräsidium untergebracht.

Das High-Tech-Schießkino ist im Polizeipräsidium untergebracht.

(Foto: Stephan Rumpf)

Das Üben des "polizeilichen Einsatzverhaltens", im Fachjargon PE-Training, ist für alle Polizeibeamte Pflicht. Wer im Außendienst eingesetzt ist, muss mindestens viermal im Jahr ran, die Innendienstler zweimal. Dabei geht es nicht nur um reine Schießübungen, sondern auch um Training auf der Matte. Während die sieben Beamte der Inspektion Neuhausen im Schießkino üben, sieht es bei ihren Kollegen im Kellerraum nebenan nach grobem Gerangel aus. Hier geht es gerade um Zugriffstechniken, "wie man gemeinsam das polizeiliche Gegenüber fixiert", wie es Martins nennt. Und man versuche bei dem Training auch, möglichst viele Handlungsoptionen zu vermitteln.

"Die Ausbildung war für mich absolut prägend und die Fortbildung sehr gut und ausreichend. Alle Abläufe sind so verinnerlicht, man kann sie jederzeit abrufen. Es ist wie Fahrradfahren: auch wenn man nicht fünfzigmal übt im Jahr, verlernt man es trotzdem nicht." Das sagt Charlotte Gruber (Name geändert), Polizistin in München. Vor ein paar Jahren, als 24-jährige Polizeiobermeisterin, musste sie in einer Notsituation die Waffe ziehen und schießen.

Eine Frau hatte gedroht, eine andere Frau in ihrer Wohnung zu töten. Gruber und ihr Kollege waren in die Wohnung gestürmt, trafen die Täterin im Wohnzimmer an. Die Frau war psychisch krank und hielt ihrer Geisel ein Messer an den Hals. Der Einsatz, sagt Gruber heute, lief wie nach Lehrbuch ab: Die Polizisten positionierten sich in L-Form. Der Kollege steckte die Waffe weg und versuchte, beruhigend auf die Frau einzureden. Gleichzeitig kam immer wieder die Aufforderung "Das Messer weg, sonst müssen wir schießen".

Gruber sagt, sie hatte Zeit, sich zu positionieren und mit der Waffe zu zielen. Und zu überlegen: Wenn ich schießen muss, wohin? Oberarm, Oberschenkel? Kann man die Verhandlungsgruppe hinzuziehen oder das SEK? Doch die Täterin stellte keine Forderungen. Sie sagte nur: "Ich bring sie um." Und Gruber war überzeugt, dass sie ihre Drohung wahr machen würde. Das Opfer blutete bereits heftig am Arm, da zog die Täterin den Kopf der Geisel ein Stück nach hinten, das Messer an der Kehle. Da drückte Charlotte Gruber ab.

Das Präsidium sieht keine Defizite

Sie achtete zunächst nicht auf das Pfeifen in ihrem Ohr - ein Knalltrauma durch den lauten Schuss im Raum - sie sah die Täterin zur Seite wegsacken und das Opfer freigeben. Ein zuvor schon alarmierter Sanitäter stand an der Tür und kümmerte sich um die Verletzte mit der Kugel im Oberarm. Natürlich seien die Emotionen nach dem Schuss Achterbahn gefahren, meint die Polizistin. "Aber ich wusste immer, dass es das Richtige war, um das Mädchen zu retten." Anschließend ging sie für eine gewisse Zeit in den Innendienst.

Das Münchner Präsidium hält das Schießtraining generell für ausreichend. Die Einsatzbelastung der Beamten sei hoch, was aber noch keine Auswirkungen auf die Häufigkeit des PE-Trainings habe. Mittlerweile sind die Neuhauser Beamten fertig mit Training. Durchfallen kann bei dieser Übung übrigens keiner. Wer bei der jährlichen Kontrollübung schlecht abschneidet, wird vom Schießtrainer gesondert unterrichtet. "Fester Stand, locker bleiben, den Abzug langsam durchziehen", dann trifft auch der Laie den roten Ballon.

Polizei in München: Im Polizeipäsidium gibt es ein Festnahme-Training.

Im Polizeipäsidium gibt es ein Festnahme-Training.

(Foto: Stephan Rumpf)
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