Politiker zu S-Bahn-Gewalt in Solln:Wahlkampf ganz unten

Nach der tödlichen Prügelattacke in Solln wird dem Opfer posthum der Bayerische Verdienstorden verliehen - und Politiker machen sich gegenseitig wüste Vorwürfe. Es ist ja Wahlkampf.

Sarina Pfauth

Es ist ein Thema, das die Deutschen bewegt. Der Tod von Dominik Brunner, den zwei junge Männer in Solln so brutal geschlagen und getreten haben, dass er wenig später starb, ist Gesprächsthema in Wohnzimmern, Büros und Fabrikhallen überall im Land. Auch Politiker reden viel und ausführlich über die Tat, über Jugendgewalt und Zivilcourage. In knapp zwei Wochen ist schließlich Bundestagswahl.

Politiker zu S-Bahn-Gewalt in Solln: Blumen erinnern am S-Bahnhof Solln an die tödliche Prügelattacke von Jugendlichen gegen Dominik Brunner.

Blumen erinnern am S-Bahnhof Solln an die tödliche Prügelattacke von Jugendlichen gegen Dominik Brunner.

(Foto: Foto: ddp)

Am Montag meldete sich Jerzy Montag, Bundestagsabgeordenter und Kandidat für die Grünen in dem Wahlkreis, zu dem auch Solln gehört, zu Wort. Mit politischen Forderungen, natürlich. Und mit vernichtender Kritik und schweren Vorwürfen gegen die CSU.

In seiner Erklärung, die er an verschiedene Medien per Mail verschickte, heißt es: "Während Bürgerinnen und Bürger aus meinem Wahlkreis spontan und sprachlos vor Entsetzen über die Tat Blumen niederlegen und Kerzen anzünden, während sie Betroffenheit und Besonnenheit zeigen, kann die wahlkämpfende CSU ihre klammheimliche Freude über die Tat nicht verbergen. Ist sie doch Wasser auf ihre Mühlen, ihr hysterisches Geschrei nach mehr Überwachung und nach immer schärferen Strafen."

Herrmann: "Entsetzt und tief betroffen"

Damit nicht genug, Jerzy Montag findet weitere harte Worte: "Die CSU hat noch immer mit dem Missbrauch von Verbrechensopfern Politik gemacht, wie zuletzt im Kommunalwahlkampf 2007 in München." Der rechtspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag kritisierte in dem Schreiben insbesondere die bayerische Justizministerin Beate Merk und Innenminister Joachim Herrmann wegen ihrer Forderung nach lückenloser Videoüberwachung und strengerer Bestrafung von jungen Kriminellen.

Die angegriffenen Minister haben nun auf die Vorwürfe von Seiten der Grünen reagiert. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann zeigte sich zunächst bekümmert von dem scharfen Angriff: "Ich bin entsetzt und tief betroffen von der Tat auf dem S-Bahnhof in München-Solln. Über die gehässigen Äußerungen von Herrn Montag kann man nur traurig den Kopf schütteln."

Im nächsten Satz jedoch ging Herrmann zum Gegenangriff über: "Wir können und wollen aber nicht wie die Grünen die Probleme in unserer Gesellschaft aussitzen. Die Politik muss Wege und Möglichkeiten diskutieren, wie die Sicherheit verbessert, und das Sicherheitsgefühl aber auch die Zivilcourage der Menschen gestärkt werden können. Uns ist dabei auch klar, dass deshalb nicht jeder Mord verhindert werden kann. Die Hände in den Schoß zu legen, wie die Grünen es tun, ist uns zu wenig."

Die Mitglieder der Grünen würden sich auf Betroffenheit beschränken und allenfalls gegen mehr Überwachungsstaat demonstrieren. Im Übrigen habe sich in München herausgestellt, dass durch die lückenlose Videoüberwachung in der U-Bahn die Zahl der Delikte deutlich zurückgegangen sei, so lautet zumindest die Schlussfolgerung von Herrmann. "Ich unterstelle nicht, dass sich jeder gewaltbereite alkoholisierte und mental verrohte Täter durch Videokameras von seinen Gewalttaten abhalten lässt, ich unterstelle aber, dass durch eine lückenlose Videoüberwachung der Bereich der Bahnhöfe deutlich sicherer wird."

Bayern verleiht posthum Verdienstorden an Dominik Brunner

Der Innenminister unterstrich auch noch einmal seine Forderung nach härterer Bestrafung volljähriger Straftäter: "Warum soll ein 18-jähriger, der einen Mord begeht, anders beurteilt werden als ein 23-jähriger Mörder? In allen anderen Lebensbereichen gilt für den 23-Jährigen das gleiche Recht wie für den 18-Jährigen. Wir fordern, dass eine Bestrafung nach dem Erwachsenenstrafrecht für 18-Jährige die Regel statt die Ausnahme wird."

Auch Justizministerin Beate Merk wollte die Vorwürfe von Seiten der Grünen nicht auf sich sitzen lassen - sie zog es allerdings vor, einen versöhnlicheren Ton anzuschlagen: "Ein Leben ist mit rohen, grausamen Tritten ausgelöscht worden. Angesichts dieses furchtbaren Verbrechens sollten wir gemeinsam darüber nachdenken, wie wir darauf als Gesellschaft reagieren. Zumindest das sind wir dem Opfer und seinen Angehörigen schuldig", schrieb sie in einer Stellungnahme an sueddeutsche.de.

Ihre Parteikollegen legen nach Montags Äußerungen jedoch ganz offensichtlich keinen gesteigerten Wert mehr auf gemeinsames Nachdenken mit dem Grünen: CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt sagte: "Das ist ein übles Foulspiel von Herrn Montag, das sich unter Demokraten verbieten sollte." Der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Hartmut Koschyk, nannte die Anwürfe des Grünen-Abgeordneten "eine mit Herrn Montags Übereifer im Wahlkampf nicht mehr zu entschuldigende Entgleisung".

Trotz aller Querelen

Jerzy Montag widerum antwortete auf Koschyks Kommentar mit einem offenen Brief - und legte noch einmal drauf: "Eine solche Tat macht für eine Weile ratlos und still, mir jedenfalls ging es so. Nicht so aber Politikerinnen und Politiker der CSU, namentlich der Innenminister Herrmann und die Justizministerin Merk. Das Blut war noch nicht verwischt am Tatort, so gut wie nichts war bekannt über den Verlauf der Auseinandersetzung und die Motive der Täter. Da ertönten von Seiten der CSU die Forderungen nach einer Videoüberwachung auf allen Bahnhöfen der Münchner U- und S-Bahn."

Merk und Herrmann hätten schreckliche und brutale Angriffe gegen die Gesundheit und das Leben von Menschen für die eigene politische Propaganda ausgenutzt. Und dann, am Ende des zweiseitigen Schreibens, ändert der Grüne den Tonfall abrupt: Er bietet Koschyk an, sich gemeinsam mit ihm für Jugendarbeit und eine bessere Ausstattung der Justiz einzusetzen und schließt: "Vielleicht fällt es Ihnen leichter, dieses Angebot zu bedenken, wenn ich es mit der Versicherung verbinde, dass ich weder Sie noch andere Funktionsträger der CSU persönlich herabsetzen oder beleidigen wollte."

Wenn Koschyk seine auf die Politik der CSU gemünzte Kritik in diesem Sinne missverstanden habe, bedauere Montag dies.

Trotz aller Querelen: Was Politiker quer durch alle Fraktionen teilen, ist die Hochachtung vor dem Mut des Opfers. Ministerpräsident Horst Seehofer teilte am Mittwoch mit, dass Dominik Brunner posthum der Bayerische Verdienstorden verliehen wird. "Wir trauern um ihn und werden sein Andenken auch öffentlich bewahren", sagte CSU-Chef Seehofer. "Das gesamte bayerische Kabinett verneigt sich mit Respekt und in Hochachtung vor dem Opfer von Solln." Sein Verhalten sei Vorbild für eine menschliche Gesellschaft, sein Tod Mahnung gegen Gleichgültigkeit, Brutalität und Gewalt.

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