Politik:Warum sich immer mehr Menschen in Parteien engagieren

Warum sich immer mehr Menschen in Parteien engagieren

Immer mehr Menschen engagieren sich, wie Mursal Noorzai und Lucas Kripp, in Parteien.

(Foto: Robert Haas)
  • Spätestens seit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten verzeichnen die meisten Parteien deutliche Mitgliederzuwächse.
  • Die Menschen wollen sich offenbar wieder mehr für die Demokratie engagieren.
  • Seit Jahresbeginn hat allein die Münchner SPD 820 Neumitglieder, allerdings sind gut 100 nach der Abstimmung über die Groko wieder ausgetreten.

Von Dominik Hutter

Zu erwarten war das nicht unbedingt: Dass eine erbittert ausgetragene Kontroverse sogar noch die Attraktivität der Partei erhöht. Inzwischen macht in der Münchner SPD der Spruch die Runde, der ganze Groko-Knatsch sei die beste Werbeaktion seit "Willy wählen". So hieß die legendäre Kampagne für die Bundestagswahl 1972, aus der Willy Brandt als Kanzler hervorging. Damals explodierten die Mitgliederzahlen bei der SPD, und zumindest im kleineren Maßstab findet derzeit Ähnliches statt.

Damit sind die Sozialdemokraten aber nicht allein. Die meisten Parteien verzeichnen spätestens seit der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA erkleckliche Mitgliederzuwächse. Viele Münchner engagieren sich offenbar aus Sorge um den demokratischen Konsens und ganz explizit gegen eine gesellschaftspolitische Kehrtwende, wie ihn die erstarkenden Rechtspopulisten anstreben. So zumindest ist in den Parteizentralen die Motivation zum Neueintritt angekommen.

Keine Partei kann allerdings so starke Sondereffekte vorweisen wie die in den vergangenen Monaten doch ziemlich gebeutelte SPD. Los ging es mit der Trump-Wahl im November 2016, die "ein paar progressive Menschen wachgerüttelt" hat, wie es SPD-Sprecher Arno Laxy formuliert. Nur wenige Wochen später begann der noch deutlich stärker ausgeprägte Schulz-Effekt - nach der Ausrufung von Martin Schulz als Kanzlerkandidat. Im vergangenen Jahr wurden in der Zentrale am Oberanger mehr als 600 neue rote Parteibücher ausgefertigt. Bis der Groko-Knatsch das alles noch überstrahlte. Ja oder Nein, dazu die Beitrittskampagne der Jusos - 820 Neumitglieder kann die Münchner SPD allein seit Jahresbeginn verzeichnen.

Knapp 100 sind nach dem deutlichen Ja zur großen Koalition wieder ausgetreten. Viele davon, so berichtet Laxy, räumten ganz offen ein, dass sie sich überhaupt nur angemeldet haben, um mitabstimmen zu können. Es bleibt aber trotzdem ein Plus von gut 700 Mitgliedern: mehr Männer als Frauen, der Altersdurchschnitt beträgt etwa 45 Jahre. "Toll" sei das, findet Laxy. Als Motivation sei von den Neu-Sozis oft zu hören gewesen, dass man den Laden endlich wieder nach vorne bringen müsse. Die Münchner SPD hat nun etwa 6200 Leute in ihrer Mitgliederkartei. Weniger als in den Achtzigerjahren, aber eben auch deutlich mehr als in den Nuller-Jahren.

Groko und Martin Schulz haben weder Grüne noch Linke vorzuweisen - die Mitglieder-Tendenz ist hier aber die gleiche wie bei der SPD: aufwärts, und das mit hohem Tempo. Die Münchner Grünen haben seit der Trump-Wahl um mehr als 25 Prozent zugelegt, auf nunmehr etwa 1600 zahlende Unterstützer - nie waren es so viele. "Ziemlich gemischt" sei die Zusammensetzung der Neu-Grünen, berichtet Stadtchef Sylvio Bohr, ein typischer Querschnitt der Bevölkerung.

Gegen den Rechtspopulismus, für die Demokratie

Viele davon, so entnimmt Bohr aus Gesprächen, sehen mit dem Erstarken des Rechtspopulismus die pluralistische Gesellschaft und die deutsche Demokratie in Gefahr. "Es lohnt sich, sich einzusetzen", laute ein Leitspruch - gegen den politischen Rechtsruck und für Ziele wie Umweltschutz, die Gleichberechtigung aller Geschlechter und sexueller Ausrichtungen sowie die Grundwerte der Demokratie. Viele Neumitglieder seien auch besorgt wegen der zunehmenden Zahl an Hasskommentaren im Internet, berichtet Bohr. In den Ortsverbänden gehe es dann gleichermaßen um lokale Themen wie die "große Politik" auf der Bundesebene.

Die Münchner Linken freuen sich vor allem über die vielen jungen Neumitglieder in ihren Reihen: Zwei Drittel von ihnen sind unter 35. Dies widerlege den "Mythos der politisch desinteressierten Jugend", analysiert Landessprecher Ates Gürpinar. "Viele wollen nicht nur ihr Kreuz bei der Wahl machen, sondern wirklich aktiv werden." Wie bei den Grünen fallen zwei Zäsuren auf: Trump und die Bundestagswahl. 440 Namen standen noch zu Zeiten des US-Präsidenten Barack Obama in der Kartei der Münchner Linken, inzwischen sind es 590. "Großartig" sei das, findet Gürpinar; vor allem der Widerstand gegen rechts sowie die Hilfe für Flüchtlinge habe viele dazu bewegt, in die Partei einzutreten.

Auch bei der FDP geht es aufwärts, laut München-Chef Fritz Roth hat die Partei nach dem Aus für eine Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen sogar noch zugelegt: um etwa 50 bis 60. Zum Jahreswechsel habe es 1260 Münchner Liberale gegeben. Die Neuen hätten vor allem für gut befunden, dass die Partei zu ihrer Überzeugung stehe und "klare Kante" zeige, berichtet Roth - wohl wissend, dass es unter Alt-Liberalen durchaus konträre Ansichten zu diesem Thema gibt.

CSU wirbt um Mitglieder

Etwas aus der Reihe fällt die CSU - nicht bei der Tendenz, aber bei der Motivation. Gut 6300 Christsoziale führt die Parteizentrale aktuell in München, und die Zahl steigt. Trump, die AfD oder die große Koalition scheinen darauf jedoch keine Auswirkungen zu haben, wie Korbinian Eder berichtet - zumindest bei der Jungen Union, deren Vorstand er angehört. Dass es relativ stetig aufwärts gehe, liege nicht zuletzt an den vielen Veranstaltungen und der Mitgliederwerbung.

Für viele Neu-JUler spiele auch das gesellschaftliche Miteinander eine Rolle, viele würden durch Freunde angeworben. Maßgeblich sei aber der Wunsch, sich in der Politik aktiv zu engagieren. Dafür schrecken die Neuen nicht einmal vor den oftmals so gefürchteten Parteiämtern nicht zurück, selbst in sehr jungen Jahren. So gebe es einen Ortsverbandsvorsitzenden, der erst 18 Jahre zählt. Und eine Menge Schüler mit politischen Ambitionen.

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