Plastik- statt Reisigbesen:Kehrt, marsch!

Straßenreinigung in München, 2010

Der Reisigbesen der Münchner Straßenkehrer soll aussortiert werden und durch Plastik ersetzt werden - das freut nicht alle.

(Foto: lok)

München gilt als besonders sauber. Das Geheimnis? 856 Jahre lang wurden Münchens Straßen erfolgreich mit Reisigbesen gefegt. Doch künftig müssen die Straßenkehrer mit Plastikborstenbesen arbeiten.

Von Thomas Anlauf

Wohl kaum ein Ding beschäftigt Dichter und Denker seit Menschengedenken so sehr wie der Besen. Da gibt es den wildgewordenen Besen in Goethes Hexenmeister, seit Harry Potter diskutiert die Fachwelt über den perfekten Langstreckenrennbesen, und im Alten Testament fegt ein Besen des Verderbens das sündige Volk hinfort.

Mit gutem Grund kann man also den Besen als das Kulturgut der Menschheit schlechthin bezeichnen, allein in Deutschland befinden sich nachweislich drei Museen, die den Straßenfeger zum Topos haben. Auch in München ist es nun höchste Zeit für eine Pinakothek des Kehrens.

Das Geheimnis der Münchner Straßenkehrer

Denn es ist leider denkbar schlecht bestellt um die Besenkultur der Stadt. 856 Jahre lang wurden Münchens Straßen erfolgreich mit Reisigbesen gefegt. Wie man weiß, kamen Touristen aus aller Welt vor allem wegen der von Unrat leer gefegten Straßen hierher, selbst das geschleckte Zürich schickte heimlich Beobachter nach München, um herauszufinden, was das Geheimnis der Münchner Straßenkehrer war.

Liebe Zürcher, es war die toskanische Erika. Plantagenbesitzer zwischen Siena und Florenz machten blühende Geschäfte mit dem Export von Erika-Reisig nach München, wo die Straßenkehrer die Büschel täglich zu Besen banden und so ökologisch zuträglich die Straßen streichelten.

Aber die guten alten Zeiten sind vorbei. Das städtische Baureferat hat den Münchner Fegern nun Plastikborstenbesen in die Hand gedrückt, zunächst, um zu testen, ob die neuen Besen besser kehren als die alten. Nun teilt die Stadt mit: Die Testphase ist abgeschlossen, der Reisig hat seine Schuldigkeit getan. Besen, Besen, seid's gewesen!

50 000 Besen mussten die Straßenkehrer jährlich binden

Die Rechnung, die das Baureferat aufstellt, ist einfach. 50 000 Besen mussten die Straßenkehrer jährlich binden. Die Kehrer waren also fast täglich damit beschäftigt, ihr Werkzeug herzustellen, um dann das sich selbst zerbröselnde Gerät wieder zusammenzukehren. Wie schön musste da das Gefühl sein, endlich einen beständigen Plastikbesen in Händen zu halten! Aber wie es scheint, wollen viele der Münchner Straßenreiniger den guten alten Reisigbesen behalten. Die Wählergruppe Hut zumindest will unter den Fegern geballte Wut auf das neue Arbeitsgerät ausgemacht haben.

Bald werden sie wohl auf die Straße gehen und mit gereckten Reisigbesen die gute alte Zeit beschwören. Als sie wie Beppo, der Straßenkehrer, frühmorgens durch die Stadt zogen: Bei jedem Schritt einen Atemzug und bei jedem Atemzug einen Besenstrich. "Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du?", sagt Beppo zur kleinen Momo. "Man muss nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich." Nach einer Pause sagt er zu Momo: "Dann macht es Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein."

Der gute Straßenkehrer in Michael Endes wunderbarer Geschichte von den Zeitdieben ist ein schönes Sinnbild für eine Welt, in der nicht alles ganz schnell gehen musste. Der große Schriftsteller musste das Ende des guten alten Reisigbesens in seiner Heimatstadt München nicht mehr erleben.

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