Plädoyer im Prozess gegen Demjanjuk:17 Stunden wettern gegen das Gericht

Mehrere Tage hat das Plädoyer des Verteidigers von John Demjanjuk gedauert. Anwalt Ulrich Busch hält seinen Mandanten für unschuldig - und greift das Gericht und Staatsanwaltschaft mehrmals an. Eine Analyse.

Robert Probst

Der Staatsanwalt brauchte zweieinhalb Stunden, kein Vertreter der Nebenkläger mehr als zwei Stunden. Am Ende ihrer Ausführungen stand für sie alle fest: John Demjanjuk, 91, ist schuldig. Für die Verteidigung steht ebenso fest: John Demjanjuk ist unschuldig. Folglich fordert sein Pflichtverteidiger Günther Maull den Freispruch für seinen Mandanten. Dafür braucht er lediglich eine knappe halbe Stunde.

Prozess gegen Demjanjuk fortgesetzt

17 Stunden im Redefluss: Demjanjuk-Verteidiger Ulrich Busch (im Bild rechts).

(Foto: dpa)

Demjanjuks Wahlverteidiger Ulrich Busch hingegen braucht für sein Plädoyer viereinhalb Tage - oder anders ausgedrückt 17 Stunden. Der Grund dieser umfassenden Darlegung: Staatsanwaltschaft und Gericht hätten ihren Job nicht gemacht und "Tonnen" von Entlastungsmaterial nicht berücksichtigt. Demjanjuk sei nichts weniger als das "Objekt eines illegitimen, verfassungswidrigen Verfahrens". Es geht um den wohl letzten großen NS-Prozess in Deutschland: Der gebürtige Ukrainer Demjanjuk soll im Jahr 1943 im Vernichtungslager Sobibor der SS bei der Ermordung von mindestens 27.900 Juden geholfen haben - der Staatsanwalt fordert sechs Jahre Haft wegen Beihilfe zum Mord, die Verteidigung fordert einen Freispruch, Entschädigung für die Untersuchungs- und Auslieferungshaft sowie die Aufhebung des Haftbefehls.

Es gehe hier nämlich gar nicht um den "kleinsten Fisch der kleinen Fische", behauptet Busch, sondern um Einflussnahme von außen und letztlich die große Politik. Ulrich Busch hat sich im Laufe des 18 Monate dauernden Verfahrens bei allen Beteiligten den Ruf eines "Prozesssaboteurs" erworben - mit Hunderten Anträgen, Dutzenden Befangenheitsanträgen gegen Richter, Zeugen und Sachverständige und langatmigen Ausführungen über die "historische Wahrheit". Vertreter der Nebenklage hatten ihn während der Beweisaufnahme der "organisierten Schlamperei" geziehen und als "kaputte Schallplatte", die sich ununterbrochen wiederhole, bezeichnet. Das Gericht nannte viele seiner Anträge irrelevant oder "ins Blaue hinein gestellt" - praktisch keinem Antrag von Busch wurde stattgegeben. Sein Schlussvortrag war nun die Quintessenz seiner monatelangen Bemühungen.

Anwalt Busch ist ein Einzelkämpfer, der eine bemerkenswert fundierte Aktenkenntnis besitzt. Für seinen Mandanten setzt er sich mit allen Mitteln und "scharfer Waffe" ein - und viele seiner Kritikpunkte sind gar nicht von der Hand zu weisen: Er spricht von einem "Archiv- und Dokumentenprozess ohne Tatzeugen", davon, dass in Deutschland mehr als 60 Jahre lang kein ausländischer NS-Täter für eine Tat im Ausland verfolgt wurde, dass man Demjanjuk keine individuellen Taten nachweisen könne, dass es in den Aussagen früherer Wachmänner Widersprüche gebe, dass ausländische Wachmänner eventuell in einem entschuldigenden Befehlsnotstand handelten und dass Demjanjuk für einen ähnlichen Vorwurf in Israel bereits mehr als acht Jahre in Untersuchungshaft verbrachte.

Das Gericht muss bei einem Urteilsspruch also durchaus diverse juristische Hürden überspringen. Doch Busch ertränkt fast jedes seiner Argumente in einem Meer von Verschwörungstheorien und pathetischen Worten. Im Grunde läuft bei ihm alles darauf hinaus, dass das Office of Special Investigations (OSI), eine Behörde des US-Justizministeriums, seit 35 Jahren versucht, John Demjanjuk mit allen Mitteln irgendwo auf der Welt verurteilen zu lassen. Ursache dieser Kritik ist, dass das OSI einst entlastendes Material im Demjanjuk-Fall unterschlagen hatte, was ein Gericht in den USA auch gerügt hatte. Seit dieser Zeit setzt laut Busch das OSI alles daran, ein Urteil gegen seinen Mandanten zu erwirken.

''Verfolgungsopfer Demjanjuk''

Was in den 1980er und 1990er Jahren in Israel in einem "politischen Schauprozess" nicht gelang, solle also nun in Deutschland vollendet werden - und zwar mit Hilfe eines vom KGB gefälschten Dienstausweises, der Demjanjuks Anwesenheit in Sobibor beweisen soll. Und mit Aussagen ehemaliger sowjetischer SS-Helfer, die in den "Folterfabriken" des KGB entstanden seien. Und durch die Unterdrückung von entlastendem Beweismaterial. Sein Hauptvorwurf: Staatsanwaltschaft und Gericht hätten nur jene Akten vom OSI überreicht bekommen, die belastendes Material enthielten, und keine eigenen Recherchen angestellt.

In diesem Zusammenhang verweist Busch stets auf eine ominöse Akte 1627, die in Moskau lagere und die Demjanjuk von allen Vorwürfen entlaste. Dies sei die "Mutter aller Akten", ihre Beiziehung von "überragender Bedeutung". Weder Staatsanwalt noch Richter halten diese Akte jedoch für relevant, ein Nebenklageanwalt sprach gar von einer "Chimäre". Ein weiterer Vorwurf: Die Nichtbeiziehung der israelischen Gerichtsprotokolle sei "die Mutter aller Gesetzesverletzungen in diesem Prozess".

"Tonnen von Beweismaterial" bestätigten seine Auffassung, behauptet der Verteidiger. Busch baue hier eine "Parallelwelt" auf, sagt dazu der Nebenklagevertreter Cornelius Nestler. Für Busch wurde sein Mandant nie zum SS-Hilfswilligen ausgebildet und war auch nie in Sobibor - die dort eingesetzten Wachmänner nennt er gern "gezwungene Roboter in der Hand der SS" oder "dressierte Diensthunde der SS", Befehlsempfänger ohne Entscheidungsgewalt.

Busch betont dabei stets ausführlich die Verantwortung des NS-Staates für den Mord an den europäischen Juden, gibt aber auch eindeutig besetzten Begriffen eine neue Bedeutung: etwa spricht er von der "Terrorherrschaft Deutschlands" über die ausländischen Wachmänner oder nennt die Lager der Wehrmacht für Rotarmisten "Vernichtungslager" - eine Wortwahl, die durchaus eine Relativierung des Holocaust suggerieren kann. Dazu passt auch der Vorwurf, Deutschland wolle sich mit einem Urteil gegen Demjanjuk von der Alleinschuld am Holocaust "freisprechen" und die Schuld am Judenmord "über Europa" verteilen. In einem "politischen Verfahren" solle nichts weniger als die Geschichte umgeschrieben werden. Angeklagt seien in Wahrheit die Nationen, die dem NS-Staat einst Hilfswillige gestellt hätten.

Gleichzeitig wolle sich Deutschland mit Hilfe des "Sündenbocks" Demjanjuk für die jahrzehntelangen Versäumnisse der Justiz bei der Verfolgung der wirklichen NS-Verbrecher rehabilitieren: "Der Kleinste soll für die Verbrechen der Bosse zahlen." Zur Untermauerung seiner Thesen zitiert Busch oft ausführlich juristische und historische Literatur, sowie aus Gerichtsentscheidungen. Auch diverse Zeitungsartikel kommen auszugsweise zum Vortrag - ein in Plädoyers eher ungewöhnliches Vorgehen. Nebenklageanwalt Nestler verließ gar aufgrund andauernder persönlicher Angriffe aus Protest für fünf Minuten den Saal, was den Vorsitzenden Richter zu der Bemerkung veranlasste: "Das Gericht kann sich leider nicht entfernen."

Zum Schluss appellierte Busch an "Deutschland": "Lassen Sie ab vom Verfolgungsopfer Demjanjuk, lassen Sie John Demjanjuk im Kreise seiner Familie sterben. Sie haben kein Recht, die Schuld für den Holocaust anderswo zu suchen." Bereits an diesem Donnerstag will die Schwurgerichtskammer ihr Urteil verkünden.

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