Pink in München:Pinker geht's nicht

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Die Künstlerin Pink zeigt beim Konzert in der Olympiahalle München: Menschen werden nicht verrückt, weil sie berühmt sind - sie werden berühmt, weil sie verrückt sind.

Jürgen Schmieder

Nein, diese Frau dürfte nicht berühmt sein. Niemals. Wer mit elf Jahren zum ersten Mal Drogen nimmt, wer mit 15 Jahren die Schule schmeißt und bei einem Fast-Food-Restaurant Burger bastelt, wer mit 16 Jahren fast an einer Überdosis Crystal und Angel Dust stirbt, der darf nicht ein paar Jahre später eine der am meisten bewunderten Frauen der Welt sein. Der sollte nicht eines der beeindruckendsten Lieder über einen amerikanischen Präsidenten singen. Der sollte nicht mehr als 30 Millionen Alben verkauft haben. Und der sollte nicht vor mehr als 10.000 Menschen in der Münchner Olympiahalle auftreten.

Ausziehen statt Umziehen: Pink in der Olympiahalle. (Foto: Foto: dpa)

Doch diese Alicia Beth Moore aus dem Kaff Doylestown im amerikanischen Bundesstaat Pennsylvania hat es geschafft. Sie nennt sich Pink, verfügt nicht nur über eine der klarsten und kräftigsten Stimmen in der Rock- und Popwelt, sondern ist auch Idol einer ganzen Generation junger Mädchen. Sie gilt als unabhängige Frau, die nicht mit einem Background-Tänzer oder Schauspieler verheiratet ist, sondern mit einem wilden Motorrad-Weltmeister.

Mit ihren Liedtexten bringt sie nicht nur eine Party zum Starten oder empfiehlt aufdringlichen Verehrern Handarbeit - sondern sie verfasst auch nachdenkliche Textzeilen zur Trennung von Freunden, zum aktuellen Stand der Emanzipation und gar zur Weltpolitik, die sie dann meist mit der formidablen Songschreiberin Linda Perry oder Billy Mann vertont. Diese 30-jährige Sängerin verkörpert ein Frauenbild, das viele junge Mädchen gerne nachahmen - und das viele Männer gerne zur Freundin hätten.

Bereits zu Beginn des Konzertes in der Olympiahalle wird deutlich, dass Pink das Motto ihrer Tour ("Funhouse") sehr ernst nimmt. Die Bühne sieht aus wie eine Zirkus-Manege aus den fünfziger Jahren, ein grusliger Clown torkelt über die Bühne, dann öffnet sich der Eingang zum Laufsteg. Die Hauptdarstellerin des Abends schwebt auf einem Trapez in die Arena und präsentiert stolz den korrekten Sitz der Bauchmuskeln.

Dann beginnt die Show: Schon beim ersten Lied "Electrifying" springen Pink und sechs Tänzer über die Bühne, als wären sie von einer Tarantel gebissen worden oder wollten den - inoffiziell von Axl Rose gehaltenen - Weltrekord für die meistgelaufenen Meter bei einem Rockkonzert brechen.

Was folgt, ist eine Party-Porno-Balladen-Aufführung der Zirkusdirektorin Pink. Nach "Just Like a Pill" verschwindet sie kurz zum Umziehen, obwohl es der Begriff "Ausziehen" besser trifft. In schwarzer Spitzenunterwäsche schreitet sie zu einer Couch, um sich zuerst an der Couch zu reiben, dann von einem Tänzer gerieben zu werden und sich dann durch Löcher in der Couch von Tänzerinnen reiben zu lassen. Währenddessen fasst sie sich öfter in den Schritt, als es Michael Jackson jemals bei einem Konzert getan hätte.

Das Erstaunliche dabei: Trotz aller Rennerei und Anfasserei und Turnerei bleibt Pinks Stimme mitreißend, unverwechselbar - und vor allem perfekt, auch wenn sie kopfüber an einem Seil hängt und gerade in Wasser getaucht wurde. Es ist keine nicht getroffene Note zu hören, kein schiefer Ton. Ihr Gesang ist eine Anleitung an jedes Mädchen, das von einer Karriere als Sängerin träumt: Es braucht nicht nur den Traum und eine verrückte Vergangenheit, sondern Talent und Arbeit an der Stimme.

Der erste Teil des Konzerts erweckt den Eindruck, als würde sich der Zuschauer im "Moulin Rouge" der dreißiger Jahre befinden: Es sind kleine Theateraufführungen, bei denen die Akteure stets ein Kleidungsstück zu wenig anhaben oder alle Kleidungsstücke ein wenig zu kurz sind. Es gibt Kissenschlachten, Trapezkunststücke, Balletteinlagen, Rutschbahnen und ein Spiegelkabinett. Dabei wirkt Pink allerdings derart selbstüberhöht und selbstironisch, dass die Choreographie nicht anstößig, sondern als zu dieser verrückten Person absolut passend wirkt.

Dann wird es dunkel auf der Bühne, es sind nur noch die Klänge eines Klaviers zu hören. Es folgt ein zehnminütiges Pianosolo, bis sich die Melodie Pinks Klassiker "Family Portrait" annähert. In Baggy Pants und weißem Feinripp-Unterhemd kehrt Pink zurück und singt das Lied derart ergreifend, dass es still wird im Publikum. Es gibt zunächst keinen Applaus, einigen Zuschauern stehen die Tränen in den Augen.

Es folgte die Ballade "I Don't Believe You" - und diese sonst so starke Pink verweist auf ihre Schwäche: "Bitte klatscht nicht, sonst komme ich aus dem Takt. Ich kann das nicht so gut." Natürlich kreischten und klatschen die Fans trotzdem - und prompt kam Pink aus dem Takt. Den kleinen Fehler glich sie sogleich durch die gefühlvolle Interpretation ihrer George-W.-Bush-Anklage "Dear Mr. President" aus.

Ein Cover eines Led-Zeppelin-Songs leitet das über zum finale furioso: Nach den Liedern "Sober" und "Funhouse" spielt Pink das Lied eines Musikers nach, der ebenso verrückt war, wie Pink es heute ist: Als die ersten Klänge von Freddie Mercurys "Bohemian Rhapsody" aus den Lautsprechern dröhnen, ist die Skepsis unter den Menschen im Publikum, die sich noch an Live-Konzerte von Queen erinnern, doch deutlich spürbar und mancher Feuilletonist im Pullunder rümpft angewidert die Nase. Am Endes des Liedes gibt es Standing Ovations - von den Pink-Fans, von den Queen-Kennern und vom Feuilletonisten im Pullunder.

Es war ein verrücktes Konzert, das Pink da in der Münchner Olympiahalle gegeben hat. Menschen werden nicht verrückt, weil sie berühmt sind - sie werden berühmt, weil sie verrückt sind. Die Sängerin bewies an diesem Abend, wie wahr dieser Satz doch ist.

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