Pilotprojekt:Eine Art Geheimsprache

Die Französisch-Arbeitsgemeinschaften an der Grundschule an der Weißenseestraße laufen so gut, dass es von September an eine bilinguale Klasse geben wird. Das ist einzigartig in München

Von Jacqueline Lang

Merci, also Danke auf Französisch, konnten die meisten Erst- und Zweitklässler schon sagen, bevor sie in diesem September mit der Französisch-Arbeitsgruppe (AG) angefangen haben. Seitdem haben sie viel dazugelernt. Und das wollen die Kinder der Grundschule an der Weißenseestraße in Giesing natürlich gleich auch erzählen. Farben könnten sie schon, Zahlen und sogar Fragen stellen, berichten Paula, Anika, Fadel und Dzenan. Sie blicken nach oben auf kleine Bilder, die an Fäden quer durch den Raum gespannt sind. Dort hängen zum Beispiel Bilder von lachenden und weinenden Smileys. Sie symbolisieren die Frage nach dem Befinden. Weil die Erstklässler noch nicht alle sofort lesen können, helfen ihnen die bunten Bildchen, sich an die Fragen zu erinnern.

Seit diesem Schuljahr gibt es an der Grundschule Weißenseestraße eine freiwillige Französisch-AG. Die Schule ist damit eine von zwei Grundschulen in München (die andere ist die Grundschule am Winthirplatz in Neuhausen) und von zehn in Bayern, die an der ersten Phase des Modellversuchs "Bilinguale Grundschule Französisch" teilnimmt, einem Projekt, das vom Kultusministerium und von der Stiftung Bildungspakt Bayern gemeinsam gestartet wurde. Mitarbeiter der Universität Erlangen-Nürnberg unterstützen und evaluieren es regelmäßig.

Pilotprojekt: Eine Fremdsprache zu lernen, muss nicht staubtrocken und langweilig sein.

Eine Fremdsprache zu lernen, muss nicht staubtrocken und langweilig sein.

(Foto: Catherina Hess)

Die Eltern hätten sich einstimmig für die Teilnahme an dem Modellversuch gestimmt, erzählt Monica Schröger. Sie ist die Schulleiterin der Grundschule in Giesing und war selbst sofort begeistert von der Idee. "Da wir mit Frau Klessinger bereits eine muttersprachliche Fachkraft hatten, hat es sich angeboten, mitzumachen", sagt sie.

Es gibt jeweils eine AG für die erste und eine für die zweite Klasse, bei der Schüler aus allen fünf Klassen, die Ganztagsklasse ausgenommen, teilnehmen können. In der AG für die erste Klasse sind es 13 Schüler, für die der zweiten Klasse sind es 14. Es sind somit wesentlich kleinere Gruppen, als im regulären Unterricht, in dem meist mehr als 20 Schülersitzen. Das ist es auch, was Schüler Karim besonders gefällt. "Weil wir weniger sind, hören alle viel besser zu und sind nicht so laut", sagt der Achtjährige. Außerdem gefällt ihm, dass so viel gesungen werde, sagt er. Die Kinder sollen Spaß an der Sprache entwickeln. Deshalb geschieht viel spielerisch. Vokabeln pauken muss niemand. Die Schüler sind sich einig: Ihre AGs sind super.

Das Projekt an der Weißenseestraße läuft sogar so gut, dass die Schule im kommenden September mit der zweiten Phase des Modellversuchs startet. Neben den AGs wird es auch zweisprachige Klassen geben. Das Angebot startet in der ersten Jahrgangsstufe und wird dann Jahr für Jahr bis zur vierten Klasse ausgebaut. In den Fächern Mathematik, Heimat- und Sachkunde, Musik, Kunst und Sport findet der Unterricht in Französisch statt, allerdings nur bei geeigneten Themen. Bayernweit wählte das Kulturministerium für diese zweite Phase fünf Grundschulen aus.

Pilotprojekt: An der Giesinger Grundschule läuft im Französisch-Unterricht alles spielerisch und mit vielen bunten Bildern ab. Stur Vokabeln pauken muss hier niemand.

An der Giesinger Grundschule läuft im Französisch-Unterricht alles spielerisch und mit vielen bunten Bildern ab. Stur Vokabeln pauken muss hier niemand.

(Foto: Catherina Hess)

Clio Klessinger, die Französischlehrerin der ersten Klasse, kann den Start kaum erwarten. Sie freue sich darauf, endlich mehr Zeit für den Fremdsprachenunterricht zu haben, sagt sie. Mit nur zwei Stunden pro Wochen, die für die AG zur Verfügung stünden, könnten sich Sprachkenntnisse nicht so gut entwickeln, wie bei der täglichen Übung im regulären Unterricht, sagt die Lehrerin. Sie selbst ist zweisprachig aufgewachsen ist und hat das AbiBac, das deutsch-französische Abitur, absolviert. Auch sie zeigt sich mit dem bisherigen Verlauf des Projekts zufrieden. "Ich bin selbst überrascht, wie viel die Schüler sich merken können", sagt sie. Klessinger hat eine Partnerschaft mit der französischen Grundschule Lycée Jean Renoir in der Nachbarschaft organisiert. Für beide Schulen sei das ein Gewinn: Die deutschsprachigen Kinder können ihr Französisch ausprobieren, die französischsprachigen Kinder haben die Möglichkeit, ihr Deutsch zu verbessern.

Doch warum wollen plötzlich wieder alle Französisch lernen? Die Kinder aus der Weißenseestraße berichten, dass sie französische Freunde hätten oder mindestens ein Elternteil, das Französisch spreche. Fadels Eltern beispielsweise kommen aus Afrika, seine Mutter spricht Französisch. "Ich möchte die Sprache lernen, damit ich auch mit meiner Mama Französisch sprechen kann", sagt der Junge. Sidar erzählt, er nutze Französisch als eine Art Geheimsprache mit seinem Kumpel. Und Karim hofft, es später im Französischunterricht leichter zu haben. Gemeinsam ist den Kindern, dass sie Spaß haben am Sprachenlernen, egal aus welchem Grund auch immer sie das tun.

Das merkt man vor allem daran, dass die Mädchen und Jungen auch außerhalb des Unterrichts Französisch reden. Nur die achtjährige Lorena bleibt bisher skeptisch. Sie übe zu Hause nicht, sagt sie. Und sie meldet sich als eine von nur Dreien nicht auf die Frage von Schulleiterin Schröger, wer im kommenden Schuljahr weitermachen wolle in der AG. Die anderen beiden kommen in die dritte Klasse und glauben, sie würden mit dem regulären Stoff schon genug zu tun haben. Nur drei von 30 Schülern, die Französisch ablegen wollen - im Gymnasium wären die Lehrer bei so einer Quote wohl begeistert. Denn später gehört Französisch bei vielen nicht mehr zum Lieblingsfach.

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