Pflegerin vor Gericht:Mord oder Selbstmord

Eine Frau stirbt im Seniorenheim an einer Überdosis Tabletten. Hat sich die an beginnender Demenz leidende 81-Jährige das Leben genommen? Eine Reihe von Indizien spricht dagegen. In München muss sich jetzt eine Pflegerin gegen den Vorwurf des Mordes verteidigen.

Von Andreas Salch

Andrea T. strahlt über das ganze Gesicht. Sie steht an ihrem Platz hinter der Anklagebank im Schwurgerichtssaal B 266 am Landgericht München II. Als Fotoreporter sich vor ihr aufbauen und ihre Kameras auf sie richten, lächelt sie lange in die Objektive. Auch als Staatsanwalt Florian Gliwitzky die Anklage verliest, lächelt die 42-Jährige viel, so als wolle sie nicht glauben, was man ihr zum Vorwurf macht. Andrea T. soll am Pfingstsonntag 2012 in der "Seniorenresidenz Villa Bruneck" in Kreuth (Landkreis Miesbach) der 81-jährigen ehemaligen Zahnärztin Martha K. mit Gewalt einen "Medikamentencocktail" eingeflößt haben, an dem die Seniorin starb.

Die Staatsanwaltschaft geht unter anderem von Habgier als Motiv für den mutmaßlichen Mord aus. Martha K. hatte Andrea T., die als Pflegerin in dem Heim arbeitete, mehrere goldene Schmuckstücke aus ihrem Besitz vermacht. Ebenso hatte die 81-Jährige ihr hin und wieder kleinere Geldbeträge zugesteckt. Andrea T. hätte dies alles niemals annehmen dürfen. Einerseits weil Pflegern dies verboten ist, andererseits, weil Martha K. an einer beginnenden Demenz litt. Aufgrund eines Beschlusses des Amtsgerichts München stand sie seit Dezember 2011 unter Betreuung. Andrea T. wusste dies.

Ein Jahr zuvor hatte die Seniorin zweimal versucht sich das Leben zu nehmen. Denn ihr war bewusst, dass sie an einer beginnenden Demenz litt. Sollte sich ihr Zustand verschlimmern, so fürchtete sie, werde sie in der geschlossenen Abteilung eines Heims leben müssen. Im August 2010 wollte sie sich deshalb mit Schlaftabletten in ihrer damaligen Wohnung in München vergiften. Später schnitt sie sich die Pulsadern auf. Da sie die Schmerzen nicht ertrug, brach sie diesen Suizidversuch ab.

Im Oktober 2011 wurde Martha K. schließlich in der Seniorenresidenz in Kreuth aufgenommen. Andrea T. hatte von den Suizidversuchen der alten Dame erfahren. Staatsanwalt Florian Gliwitzky geht in seiner Anklage davon aus, dass Andrea T. den Plan gefasst habe, Martha K.s Wunsch aus dem Leben zu scheiden "aktiv zu fördern", um so die Preziosen die sie ihr vermacht hatte, behalten zu können. Andrea T. schüttelt den Kopf. Nein, sie mache sich überhaupt nichts aus Schmuck, sagte die 42-Jährige bei ihrer Vernehmung durch den Vorsitzenden Richter Martin Rieder zum Auftakt der Verhandlung. Martha K. habe ihr die Sachen zur "Erinnerung" gegeben. Als sie ablehnte, habe die Seniorin "unwirsch" reagiert. Andrea T. behauptete, sie habe nach der Aufnahme von Martha K. in das Heim bald deren Vertrauen gewonnen. Sie und ihre ältere Schwester, die damals auch dort arbeitete, hätten die Rentnerin "in ihr Herz geschlossen".

"Ich habe ihre Angst in ihren Augen gesehen"

Anfang März 2012 soll sich Martha K.s Gemütszustand nach einer zwischenzeitlichen Besserung erneut verschlechtert haben. "Ich habe ihre Angst in ihren Augen gesehen. Die Angst, dass die Demenz fortschreitet", sagt die Angeklagte. Es sei Martha K.s Wunsch gewesen "in Würde zu sterben". Ständig habe sie der Gedanke beschäftigt, in der "Psychiatrie eingesperrt zu werden". Immer wieder habe sie davon gesprochen, "Schluss zu machen". Ihr habe die alte Dame "sehr leid getan", so Andrea T. Eines Tages habe Martha K. gefragt, ob "ich ihr nicht helfen könne".

Zunächst sei sie hierauf nicht eingegangen, versichert T. Doch dann soll sie laut Staatsanwaltschaft verschiedene schlaffördernde Medikamente besorgt haben. Außerdem fuhr sie in ihre Heimat Ungarn, wo sie sich über ihren Lebensgefährten, einen Arzt, zwanzig Ampullen des Betäubungsmittels Lidocain beschafft haben soll.

Nach ihrer Rückkehr habe sie im Beisein von Martha K. das Mittel auf Spritzen gezogen, berichtete die Pflegerin. Die Seniorin habe den Inhalt anschließend selbst in zwei Flaschen gespritzt, in denen sich auch die von ihr zuvor selbst zerkleinerten Medikamente befanden. Danach habe sie die 81-Jährige allein gelassen, sagt Andrea T. Als sie später am Abend jenes Pfingstsonntages noch einmal Martha K. in ihrem Appartement besuchen wollte, habe sie tot auf ihrem Bett gelegen. "Ich dachte mich trifft der Schlag", sagt Andrea T. Der Prozess dauert an.

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